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Debatte: Heute nicht!

Die Vereinten Nationen lagern die Bekämpfung von Überkonsum in die Zukunft aus. Unter dieser UN-Politik leiden und sterben weiter Menschen. Ein politischer Kommentar.

Anlässlich der 'Earth Hour' werden die Lichter im UN-Hauptquartier ausgeschaltet und das Gebäude ist dunkel.
Anlässlich der 'Earth Hour' werden die Lichter im UN-Hauptquartier ausgeschaltet. (UN Photo/Manuel Elías)

Nahezu die gesamte Weltbevölkerung bekommt nichts von den aktuellen Verhandlungen bei den Vereinten Nationen über einen sogenannten Zukunftspakt (Pact for the future) mit. Das nennen die UN-Expertinnen und -Experten dann gerne „high-level“. Dieses globale Unwissen wird aller Voraussicht nach auch am 23. September dieses Jahres Bestand haben. Dann werden sich die Regierungen zur Verabschiedung des Paktes in Manhattan feierlich in Szene setzen. Proteste brauchen die Beteiligten auch deshalb nicht zu fürchten, weil der Verhandlungsort weit weg von den Problemen dieser Welt ist. Außerdem blockt das US-Grenzregime nahezu die gesamte Weltbevölkerung schon an seinen Außengrenzen ab. Selbst wenn am Ende nicht alle Staaten mitmachen werden, kann der Champagner also problemlos bereits jetzt an der Upper East Side kühl gestellt werden.

Mir ist offensichtlich dabei nicht zu feiern. Die Regierungen wollen mit diesem Pakt ein Versprechen nicht an heutige, sondern an zukünftig lebende Menschen geben. Tatsächlich hinterlassen sie aber eine vermüllte wie zerstörte Welt, in der gestern wie heute Menschen für den Lebensstil anderer leiden und sterben – nur eben oft abseits der wohlhabenden Blasen zwischen Berlin, Dubai und New York. Die Vereinten Nationen schaffen es nicht, eine globale Regulierungspolitik zu initiieren.

Beim Zukunftspakt geht es nicht um einen thematischen Fokus wie beispielsweise der einer globalen Gerechtigkeit, der Umverteilungsmaßnahmen im Jetzt zur Folge hätte. Zwar wird auf die bestehende UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verwiesen, die inhaltlich am Phantasma einer nachhaltigen Entwicklung orientiert ist. Nachhaltige Entwicklung bedeutet für die Vereinten Nationen jedoch, dass Konsum und Produktion wie zuvor weiter gehen könnten, nur eben nachhaltig. Ein Selbstbetrug, der nicht der letzte sein wird. 

58 Gebote, sogenannte ‚Actions‘ des Zukunftspakts, sollen beispielsweise die Konfliktparteien im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, in Sudan oder Nahost liebevoll an Menschenrechte erinnern oder Deutschlands Bevölkerung in homöopathischen Dosen von ihrer Weltzerstörung abbringen. Freilich wird dabei nicht Tacheles geredet und niemand muss Konsequenzen fürchten: Statt den Menschen Regeln aufzuerlegen, dass sie im Durchschnitt dreimal weniger in ein Flugzeug steigen oder dreimal weniger ein Smartphone, E-Bike oder Elektroauto kaufen, wird im Entwurf des Zukunftspakts von einer nachhaltigen Zukunft für alle gesprochen. An 158 Stellen im Text taucht das Buzzword nachhaltig auf, sodass am Ende alle glauben, darunter etwas zu verstehen. Der zentrale Begriff des Überkonsums kommt hingegen kein einziges Mal im Textentwurf vor.

Quantität hat beim Zukunftspakt ohnehin System: Der aktuelle Entwurf des Zukunftspakts ist derzeit nur (noch) um wenige Seiten kürzer als die Agenda 2030 von 2015 und in ihrem inhaltlichen Umfang mit dem Einbezug von etwa Atomwaffen, künstlicher Intelligenz und der Weltraum-Governance sogar noch breiter. Präzision und Verständlichkeit gehen anders. De facto handelt es sich also um einen neuen Weltvertrag, mit dem wie bei der Agenda 2030 wieder von New York heraus vorgegeben werden soll, welches Leben für alle Menschen gleichermaßen auf diesem Planeten erstrebenswert sei.

Dem Wortlaut nach bestreben die Verfasserinnen und Verfasser mit dem Zukunftspakt eine bessere Welt. Gut gemeint ist aber oft besonders schlecht. Ein Streben nach einer besseren Welt entpuppt sich im Zukunftspakt als Verschlechtbesserung, in der statt einfach mit schädigenden Verhalten aufzuhören, durch immer mehr Handlungen wie menschlichen Müll in den Meeresboden, umweltzerstörende erneuerbare Energien oder Siedlungsdystopien auf fremden Planeten die Situation verschlechtert wird. Die Party der Wenigen darf einfach nicht enden.

Gegenwarts- statt Zu­kunfts­gipfel?

Die große Leerstelle im Pakt ist das vergangene und heutige Fehlverhalten. Entscheidend wäre statt eines Zukunftsgipfels (Summit of the Future) eine Art Notfallgipfel der Gegenwart. Mit dem Pakt werden schlicht nicht die entscheidenden Probleme angegangen: Wo ist das globale Konsumverbot für Menschen im Jetzt, die mehr als den Durchschnittswert eines Planeten der Erde vernutzen? Wo ist die globale Instanz, die unmittelbar einschreitet, wenn ein Land gegenwärtig einen Angriffskrieg verübt oder ethnische Säuberungen vollzieht? Wo sind heute die globalen Umverteilungsmechanismen etwa in Form eines weltweiten, kaufkraft-unabhängigen Mindestlohns? Staatliche Souveränität bleibt die wesentliche Ursache für Ausbeutung und Umweltzerstörung. Die Debatten zur Reform der Generalversammlung oder des Sicherheitsrates erscheinen als Symptombekämpfung und gehen an der Sache vorbei.

Durch die Zielbeschreibung „für die Zukunft“ kann alles und nichts in den Zukunftspakt subsummiert werden. Suggeriert wird ein Handeln für die Zukunft, nicht für das Jetzt. Im zweiten Punkt dieses Paktes soll zwar einsilbig auf das gegenwärtige Leid hingewiesen werden, aber mit der skurrilen Konsequenz, deshalb Politik für die Zukunft machen zu wollen. Ist denn das gegenwärtige Leid akzeptabel? Oder ist die Gegenwart bereits verloren? Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Weltbevölkerung würde gut daran tun, eine Politik der Zukunft, also eine Langzeitperspektive zu entwickeln. Insbesondere mit Blick auf all jene menschlichen Langzeit-Hinterlassenschaften, die wie etwa der Atommüll für eine Million Jahre, also inklusive zehn Eiszeiten, eine Gefahr für die Menschen darstellen. In Deutschland wird hierzu die gesamte Bevölkerung eingeladen, bei der Politikgestaltung teilzuhaben. Ein Zukunftspakt der Vereinten Nationen könnte also auch eine weltweite, themengebundene Öffentlichkeitsbeteiligung anschieben. Tut er aber nicht. 

Gleich in der ersten Zeile des Zukunftspakts wird behauptet, dass die politischen Eliten die „Völker der Welt“ repräsentieren würden. Tatsächlich sind demokratische Regierungen in der Minderheit der UN-Mitgliedsstaaten und selbst unter diesen verdient eher eine kleine Zahl wiederum das Prädikat „demokratisch“. 

Eine Zukunft des Zusammen­bruchs (A future of breakdown)

Im aktuellen Entwurf wird darüber hinaus eine düstere Zukunft gezeichnet. Ein prognostizierter Zusammenbruch veranschaulicht die elitäre Perspektive der beteiligten, staatlichen Akteure. Denn dabei wird deutlich, dass ein solcher Zusammenbruch offensichtlich bisher nicht in der Lebenswelt dieser angekommen ist. Während die Diplomatin bequem per Flugzeug ins UN-Hauptquartier reist, sind bereits hunderttausende Menschen infolge des menschengemachten Klimawandels verstorben. Dabei glaubt der Diplomat wirklich, er würde durch sein zerstörerisches Verhalten die Zerstörung aufhalten. Selbst die deutsche UN-Zivilgesellschaft, die nicht mit der Zivilgesellschaft in Deutschland verwechselt werden darf, feiert sich aufgrund ihrer diesjährigen Teilnehmerinnengröße in New York. Dabei wird weder der ökologische Fußabdruck, noch das kolonial anmutende Ungleichgewicht zu anderen Weltregionen reflektiert. Die Cocktail-Party in Manhattan ist offensichtlich noch im vollen Gange. Noch gibt es ja die Zukunft, die immer eine Projektionsfläche zur Auslagerung hergibt, in der vielleicht irgendwann die Menschen untereinander und mit ihrer natürlichen Umwelt global gerecht umgehen. Als könnte das nicht unmittelbar jetzt geschehen.

Technologien und Innovation könnten den Durchbruch bringen (Technology and Innovation could deliver a breakthrough)

Klar, eine solche Politik fällt leicht, weil die Zukunft nicht mitredet und schon gar nicht mitentscheidet. Und siehe da, die vermeintliche Lösung der heutigen Regierungen liegt darin, das Glück in der Zukunft zu suchen: Der zentrale Lösungsvorschlag bleibt ein naiver wie zerstörerischer Technologieoptimismus. Die Fortschritte sollen es richten, so steht es gleich in Punkt 3. Mit dieser Verschiebe- wie Verschleierungsrhetorik kann ja vielleicht noch ein paar Jahre weitergemacht, mindestens genauso viel weiter produziert und konsumiert werden. Wer aber auf etwa eine Lösung durch Digitalisierung hofft, hat wohl noch nie eine Kupfer-, Lithium- oder Nickelmine gesehen und deren Folgen für die Menschen und ihre natürliche Umwelt mitbekommen. Aber gerade diese sind das unausweichliche Resultat für etwa die vielen Batterien, Displays oder Rechner für eine sogenannte Transformation (13Nennungen). Durch solche Technofixes können wir in Deutschland noch weiter so tun, als würden unter Beibehaltung unserer Lebensweise keine Menschen – vor allem im Globalen Süden - mehr ausgebeutet und unsere Umwelt nicht zerstört werden. 

Internationale Zusammenarbeit geleitet von Vertrauen (In­ter­national cooperation guided by trust)

Die UN-Zukunftsauslagerungspolitik passt in das Vergangenheitsvergessen bei den Vereinten Nationen, welches ich wiederkehrend in meiner Forschung um die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) festgestellt habe. Statt Historikerinnen dienen vor allem die Ratschläge von Ökonomen, für die Regulierung und Verzicht meist keine, schon gar nicht globale Option darstellen (Stichwort Freihandel). Wo ist die Aufarbeitung und Wiedergutmachung hinsichtlich der ungleichen Planetenzerstörung pro Kopf und nicht nach maximal ungleichen Staaten? Pro Kopf ist etwa ein Mensch in Deutschland um ein Vielfaches umweltzerstörender als in China. Wo sind die UN-Maßnahmen hinsichtlich Verursachung, Betroffenheit und Handlungsfähigkeit auf weltgesellschaftlich individueller Ebene? Beispielsweise wäre mit einer globalen Vermögenssteuer heute schon das Hungerproblem beendet. Eine globale Instanz könnte alle Schlupflöcher schließen und damit Steueroasen auflösen. Wieso wurde das nicht schon vor Jahrzehnten gemacht? Aus meiner Sicht, weil Einzelstaaten mit dem Argument der staatlichen Souveränität das verhindern.

In diesem Pakt wird schließlich deutlich, wie sehr die Beteiligten selbst Angst um ihre Cocktail-Party an der Upper East Side haben. Das multilaterale System wird im Entwurf als notwendig, also alternativlos beschrieben. Dabei wird ein blindes Vertrauen verlangt sowie eine Stärkung der Vereinten Nationen. Der Glaube an die Vereinten Nationen wird vor allem durch autoritäre, rechtsnationale Regierungen erschüttert. Durch das Paktieren der Vereinten Nationen über unbekannte Zukünfte werden diese jedoch noch weiter begünstigt.

Albert Denk arbeitet am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin

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