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Debatte: Die Generalversammlung als zentraler Netzwerkknoten einer fragmentierten Global Governance

Der Zukunftsgipfel im September bietet ein Gelegenheitsfenster für Deutschland, eine Erweiterung der Arbeitsmethoden der Generalversammlung der Vereinten Nationen voranzutreiben.

Blick in den Sitzungssaal der Generalversammlung, während der Präsident der Generalversammlung spricht.
Dennis Francis, Präsident der 78. Generalversammlung, im September 2023. (UN Photo/Cia Pak)

In seinem 2021 veröffentlichten Bericht „Unsere gemeinsame Agenda“ (Our Common Agenda) hat UN-Generalsekretär António Guterres einen vernetzten und inklusiven und daher auch effektiveren Multilateralismus beworben. Dabei hat er die Reformen der Hauptorgane der Vereinten Nationen eher am Rande behandelt. Einige Mitgliedstaaten haben jedoch darauf bestanden, sie im Zukunftspakt (Pact for the Future) zum Thema zu machen. 

Und so sind in Kapitel 5 des aktuellen Entwurfs des Zukunftspaktes auch einige »Actions«, also Handlungsabsichten und Selbstverpflichtungen der Mitgliedstaaten, aufgeführt, die sich auf die Generalversammlung (General Assembly – UNGA), den Wirtschafts- und Sozialrat (Economic and Social Council - ECOSOC) und den Sicherheitsrat beziehen. Hauptsächlich behandelt der Entwurf die etablierten Themen und Gremien, die die ohnehin bereits länger laufenden Reformdebatten bestimmen. Es wäre eine verpasste Chance, dies nicht auszubauen, insbesondere mit Blick auf die Generalversammlung und deren Rolle in einem stärker vernetzten und inklusiven Multilateralismus.

Die Neubelebung der General­versammlung

Der Entwurf des Zukunftspaktes hebt die Sitzungen der UNGA nach dem Veto im Sicherheitsrat oder ihre erweiterte Rolle bei der Wahl eines UN-Generalsekretärs oder einer UN-Generalsekretärin hervor. Beide Elemente, die bereits im Rahmen der Debatten zur Neubelebung der Generalversammlung behandelt werden, sollen weiterentwickelt werden. 

Die letzte Resolution zur Neubelebung (A/RES/77/335), die im September 2023 verabschiedet wurde, hob bereits die Rolle und Autorität der UNGA in Fragen rund um internationalen Frieden und Sicherheit hervor. Und auch de facto verabschiedeten die Mitgliedsstaaten wegen der Blockade des Sicherheitsrates Resolutionen zum Krieg in der Ukraine und zum Nahostkonflikt vorwiegend in der Generalversammlung. Die genannte Resolution behandelt auch die Rolle der Präsidentschaft der Generalversammlung (PGA) und stärkt deren Mandat in der strategischen Auslegung des Arbeitsprogrammes der Generalversammlung (Para 79). Im Zukunftspakt wird dies bislang nicht aufgegriffen. 

Anknüpfungspunkte im Zu­kunfts­pakt

Der revidierte Entwurf des Zukunftspaktes betont eher allgemein, man wolle die Rolle und Autorität der Generalversammlung stärken, um zukünftige globale Herausforderungen zu adressieren (Action 38, 48:a). Es wird jedoch nicht weiter ausgeführt, wie dies geschehen soll. Der Pakt beschwört außerdem ein „multilaterales System mit den Vereinten Nationen im Zentrum“ (Action 36). Er enthält außerdem die Selbstverpflichtung der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass dieses „multilaterale System die vorhandenen institutionellen Kapazitäten bündeln“ kann, um „Fragmentierung zu überwinden und multidimensionale, multisektorale Herausforderungen adressieren“ zu können (Action 36, 47:e). Zudem wird mehr Kooperation mit regionalen, subregionalen und anderen Organisationen angestrebt, um die Ziele der Vereinten Nationen zu erreichen (Action 51, 62:f). Auch der Bericht des Hochrangigen Beirats für Effektiven Multilateralismus (High-level Advisory Board on Effective Multilateralism) aus dem Jahr 2023 schlug vor, ein stärker vernetztes multilaterales System zu entwickeln, in dem die Entscheidungsfindung verteilt ist und in dem die Bemühungen einer großen Zahl unterschiedlicher Akteure für kollektive Aufgaben genutzt werden.

Denkt man die drei Passagen im Entwurf des Paktes zusammen, bietet sich die Generalversammlung als „Hub“ für diese Vorhaben an. Je mehr die Fragmentierung des internationalen Regierens zunimmt, desto wichtiger wird es, Kanäle für die regelmäßige Kommunikation aller mit allen offen zu halten. Die Generalversammlung bietet einen Ort dafür. Der Zukunftspakt könnte die Aufgabe enthalten, hierfür passende Formate zu entwickeln, vielleicht sogar als Auftrag an den Generalsekretär oder ein Panel, hierzu Empfehlungen zu erarbeiten.

Innovative Formate

Wie kann es also gelingen, die Generalversammlung zu dem zentralen Netzwerkknoten in einer zunehmend fragmentierten Global Governance zu machen? Insbesondere kleine Staaten legen besonderen Wert auf die Vereinten Nationen als inklusive multilaterale Institution, in der sie eine Stimme haben. Und sie würden es wertschätzen, zumindest darüber reden zu können, was in anderen mini- oder plurilateralen Foren (etwa G7, OECD, G20, BRICS+ oder der SCO) beschlossen wird. 

So hat der brasilianische G20-Sherpa bei einem Briefing der Generalversammlung angekündigt, dass Brasilien im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft zu einem Treffen der Außenministerinnen und Außenminister der G20 in der Eröffnungswoche der Generalversammlung einlade, erstmals in den Räumen der UN, um Reformvorhaben mit allen interessierten Mitgliedstaaten zu diskutieren. Das wäre genau im Sinne der vorgeschlagenen Innovation. Der Sherpa betonte die Relevanz von Reformen, um der zunehmenden Fragmentierung etwas entgegenzusetzen und zitierte die Vorjahresrede des Generalsekretärs: „Die Alternative zur Reform ist eine weitere Fragmentierung. Es gibt nur Reform oder Bruch."

Derartige Briefings sind nicht unüblich. Der Zukunftsgipfel bietet die Chance, dass die Mitgliedsstaaten darauf drängen könnten, solche Formate zu vertiefen beziehungsweise zu entwickeln und institutionalisieren, und auf alle Fälle besser zu nutzen. Zwar mögen die UN-Mitglieder ein unterschiedliches Verständnis von den Hauptmerkmalen des Multilateralismus und der UN-Charta haben. Und sie werden auch die Kapazitäten der verschiedenen mini- und plurilateralen Clubs unterschiedlich hochschätzen. Es wäre jedoch interessant auszuloten, ob sie alle unterstützen könnten, dass der PGA, in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten, relevante mini- und plurilaterale „Governance Clubs“ dazu einlädt, ihre Vorhaben in regelmäßigen Abständen in der UNGA vorzustellen und mit allen Mitgliedstaaten zu diskutieren. Diejenigen Mitgliedstaaten, die nicht Mitglied im Club sind, sollten dann vorrangig die Agenda bestimmen können und das Wort haben. Wenngleich das keine starke Rechenschaftslegung wäre, so würde es doch immerhin zu mehr Transparenz und Mitsprache beitragen. Und damit könnte ein solches Format zum expliziten Ziel des Zukunftsgipfels beitragen: das gegenseitige Verständnis und Vertrauen zu stärken. Eine Herausforderung wird sein, den Austausch danach auf beiden Seiten in praktikables Handeln umzusetzen, ohne dass es zu Verwerfungen, Konkurrenz oder Dopplungen kommt.

Deutschland in der General­ver­sammlung

Deutschland stellt aktuell mit der Ständigen Vertreterin bei den UN in New York eine Ko-Fazilitatorin des Zukunftsgipfels samt ihrem Team. Die Übernahme dieser Rolle schafft eine Menge Wissen, ein gutes Netzwerk und auch Ownership. In der Sitzungsperiode 2025/26 wird Deutschland den gewählten PGA stellen. Das böte die Chance, die Diskussion wieder aufzugreifen und geeignete Formate auszutesten und zu entwickeln. Das im Jahr 2023 gestärkte Mandat des PGAs unterstützt dies.

Deutschland ist Mitglied in der G7 und G20, hat viel Erfahrung in anderen plurilateralen Formaten und zudem gute Kontakte zu vielen Mittelmächten und kleineren Staaten. Und Deutschland hat sich in New York bereits in der Vergangenheit als Brückenbauer verstanden und einen Namen als Vorreiter einer breiten Allianz für den Multilateralismus erarbeitet. Sowohl realweltliche Ereignisse – wie die sich verhärtende Blockade des Sicherheitsrats und die zunehmende Fragmentierung von Global Governance – als auch die Gelegenheit, die der Zukunftsgipfel für entsprechende Initiativen bietet, eröffnen ein Gelegenheitsfenster für Deutschland, eine solche Erweiterung der Arbeitsmethoden der Generalversammlung voranzutreiben.

Marianne Beisheim, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), und Constantin Knuhr, MSc International Relations and Diplomacy, Universiteit Leiden 

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