Deutschland und die Agenda 2030
Die Agenda 2030 hat die klassische Teilung zwischen "Entwicklungsländern" und entwickelten oder industrialisierten Staaten abgelöst und definiert ein neues Verständnis der internationalen Zusammenarbeit. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 betreffen damit auch Deutschland.
In der Agenda 2030 wird die Notwendigkeit zur Veränderung in jedem einzelnen Land betont, ohne die internationale besondere Verantwortung der reichen Länder aus den Augen zu verlieren. Deutschland wird in der Agenda dreifach in die Pflicht genommen:
1. Umsetzung in Deutschland: Die Agenda 2030 beinhaltet Zielsetzungen, die sich direkt auf die inländische Situation Deutschlands beziehen. Hierzu zählen etwa Ziele, die sich aus Verpflichtungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung ableiten lassen, zum Beispiel die Halbierung des Anteils der Menschen unterhalb der Armutsgrenze in Deutschland. |
2. Umsetzung durch Deutschland: Andere Ziele der Agenda nehmen die externen Auswirkungen deutscher Politik und Wirtschaft in den Blick. Innenpolitisches Handeln kann unmittelbare globale Effekte auf Menschen in anderen Ländern haben, die zukünftig verstärkt zu berücksichtigen sind. Dazu zählen Ziele zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs oder zu nachhaltigen Produktions- und Verhaltensweisen. |
3. Umsetzung mit Deutschland: Hinzukommt, dass in der Agenda 2030 Ziele aufgelistet werden, die die internationale Verantwortung und Solidarität Deutschlands betreffen. Wie bereits in der Vergangenheit durch entwicklungspolitische Maßnahmen geschehen, fordert also auch die Agenda 2030 Staaten wie Deutschland dazu auf, andere Staaten durch Entwicklungszusammenarbeit bei der Umsetzung der Ziele zu unterstützen. |
Deutschlands Strategien zur Einlösung der Verpflichtungen
Um die gesetzten Ziele erfolgreich umzusetzen, erfordert es zum einen die politische Verpflichtung auf ein entsprechendes Leitbild und das Herunterbrechen dieses Leitbildes auf konkrete Ziele. Zum anderen bedarf es der Entwicklung konkreter Umsetzungsstrategien.
Seit der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992, auch Weltkonferenz von Rio genannt, bildet das Konzept der nachhaltigen Entwicklung das Leitbild der internationalen Gemeinschaft. Dieses im Brundtland-Bericht entworfene Nachhaltigkeitskonzept versteht nachhaltige Entwicklung als „Entwicklung […], die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“.
Mit der Unterzeichnung der Rio-Deklaration über Umwelt und Entwicklung hat sich Deutschland gemeinsam mit 177 anderen Staaten zum Leitbild nachhaltiger Entwicklung verpflichtet. Leitbilder sind als „die grundsätzliche Ausrichtung des Denkens und Handelns auf einen allgemeinen erstrebenswerten Zukunftshorizont“ zu betrachten und bilden demnach ein Wertesystem, aus dem sich konkrete Ziele ableiten lassen. Sie können als handlungsleitendes Prinzip gewertet werden, das eine orientierende, koordinierende und motivierende Funktion haben kann.
Zur Umsetzung eines solchen Wertesystems sind konkrete Strategien notwendig. Die deutsche Bundesregierung hat daher im April 2002 erstmals eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie „Perspektiven für Deutschland“ vorgelegt, die auf die Umsetzung des Leitbildes nachhaltiger Entwicklung in Deutschland abzielt. Die Strategie wurde in den vergangenen Jahren immer wieder an neue Entwicklungen angepasst.
Der universelle Anspruch der Agenda 2030
Die Agenda 2030 nimmt alle Staaten in die Pflicht: Anders als bei den Milleniums-Entwicklungsziele sind wohlhabendere Staaten nun nicht mehr nur in der Pflicht, andere Staaten bei ihren Bemühungen um Entwicklung zu unterstützen, sondern müssen die Ziele auch im eigenen Land umsetzen.
Somit werden alle Staaten der Welt zu "Entwicklungsländern", denn auch in wohlhabenderen Staaten gibt es Missstände, zum Beispiel bei der Bekämpfung von Armut oder der Umsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter.
Außerdem sind es gerade wohlhabendere Staaten, welche den vergleichsweise hohen eigenen Entwicklungsstand so verändern müssen, dass er nachhaltiger wird und somit beispielsweise kein Wohlstand auf Kosten von Menschen in anderen Weltregionen ist.
Regelmäßig veröffentlicht die deutsche Bundesregierung eine überarbeitete Fassung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie (DNS). Seit 2015 ist die Agenda 2030 die Grundlage der deutschen Nachhaltigkeitspolitik und prägt seit der 2018 erschienenen Neuauflage auch die DNS. Die DNS beschreibt konkret, wie Deutschland seinen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Agenda 2030 leisten kann.
Die Strategie orientiert sich an sechs Transformationsbereichen, unter anderem Menschliches Wohlbefinden und Fähigkeiten, soziale Gerechtigkeit, Energiewende und Klimaschutz sowie Nachhaltiges Bauen und Verkehrswende. Die DNS legt mittelfristige und langfristige Vorgaben fest, die sich an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 orientieren. Die Vorgaben werden anhand regelmäßiger Fortschrittskontrollen mittels 75 Indikatoren überprüft.
Die in der DNS berücksichtigten Ziele der Agenda 2030 werden jeweils aus den oben beschriebenen drei Perspektiven für Deutschland betrachtet.
Das soll an SDG 1 „Armut in allen ihren Formen und überall beenden“ deutlich gemacht werden. Für Deutschland ist dabei insbesondere das Unterziel 1.2 relevant, das anstrebt, bis 2030 Armut in allen Dimensionen nach der jeweiligen nationalen Definition zu halbieren. Dabei geht es also nicht allein um die Bekämpfung absoluter Armut, die sich auf Hunger oder fehlende Gesundheitsversorgung bezieht, sondern auch um relative Armut. Diese wird anhand der Verteilung von Einkommen innerhalb einer Gesellschaft gemessen. In der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie wird beschrieben, wie Armut in Deutschland, durch Deutschland und mit Deutschland vermieden werden kann:
1. Maßnahmen, um Armut in Deutschland zu vermeiden: Die DNS legt den Fokus eher auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen innerhalb der Gesellschaft. Die DNS betont im Sinne eines präventiven Ansatzes die Wichtigkeit, einen hohen Beschäftigungsstand bei ausreichenden Löhnen zu erreichen. Als weiteren Faktor nennt die DNS Weiterbildungsmöglichkeiten für Beschäftigte zu fördern, damit sie sich dem Strukturwandel anpassen können. |
2. Maßnahmen, um Armut durch Deutschland zu vermeiden: In der DNS wird erklärt, dass Armut durch Deutschland vermieden werden kann, indem die eigene globale Verantwortung anerkannt wird. Als Beispiel nennt die DNS, dass sich Deutschland in seiner Entwicklungszusammenarbeit unter anderem für faire Arbeitsbedingungen und Sozialstandards in globalen Lieferketten einsetzt. |
3. Maßnahmen, um Armut mit Deutschland zu vermeiden: Durch klassische Entwicklungszusammenarbeit unterstützt Deutschland Partnerländer bei der Armutsbekämpfung. So fördert Deutschland beispielsweise die Beschäftigung sowie die Verbesserung des Zugangs zu Gesundheitsversorgung und Bildung in vielen Partnerländern. |
Herausforderungen für Deutschland
Der Erfolg der Agenda 2030 für Deutschland wird sich daran messen, ob die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie praktisch umsetzbar ist. Eine Umsetzung kann nur durch eine kohärente Gesamtstrategie erfolgen, die eine große Anzahl unterschiedlichen Akteure und Ressorts einbindet.
Eine weitere Herausforderung für Deutschland besteht zudem in einer verlässlichen Überwachung der Umsetzung der Ziele. Hierfür sind nicht nur Fortschrittsmessungen anhand klarer Indikatoren vonnöten, sondern auch präzise Definitionen der anvisierten Zielwerte. Einige Vorgaben in der DNS definieren bereits klare Zielwerte, bei anderen scheinen die Bestimmungen jedoch sehr vage formuliert. Es bleibt an in diesen Punkten unklar, wann ein Ziel erreicht und wann es verfehlt ist.