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Deutschland und die Agenda 2030

Die Agenda 2030 hat die klassische Teilung zwischen "Ent­wicklungs­ländern" und ent­wickelten oder indus­triali­sierten Staaten ab­gelöst und definiert ein neues Ver­ständnis der inter­nationalen Zusammen­arbeit. Die Nach­haltig­keits­ziele der Agenda 2030 betref­fen damit auch Deutsch­land.

Bundeskanzler Olaf Scholz steht am Rednerpult der 77. UN-Generaldebatte.
Bundeskanzler Olaf Scholz hält während der 77. UN-Generaldebatte in New York eine Rede. (UN Photo/Cia Pak)

In der Agenda 2030 wird die Not­wendig­keit zur Veränderung in jedem einzelnen Land betont, ohne die inter­nationale besondere Verant­wortung der reichen Länder aus den Augen zu verlieren. Deutsch­land wird in der Agenda dreifach in die Pflicht genommen:

  1. Umsetzung in Deutschland:
    Die Agenda 2030 beinhaltet Ziel­setzungen, die sich direkt auf die in­ländische Situation Deutsch­lands beziehen. Hierzu zählen etwa Ziele, die sich aus Ver­pflichtungen in den Bereichen Bildung, Gesund­heit und soziale Sicherung ableiten lassen, wie z.B. die Halbierung des An­teils der Menschen unterhalb der Armuts­grenze in Deutsch­land.
  2. Umsetzung durch Deutschland:
    Andere Ziele der Agenda nehmen die externen Aus­wirkungen deutscher Politik und Wirt­schaft in den Blick. Innen­politisches Handeln kann un­mittel­bare globale Effekte auf Men­schen in anderen Ländern haben, die zukünftig verstärkt zu berück­sichtigen sind. Dazu zählen Ziele zur Reduzierung des Ressourcen­verbrauchs oder zu nach­haltigen Produktions- und Verhaltens­weisen.
  3. Umsetzung mit Deutschland:
    Hinzu­kommt, dass in der Agenda 2030 Ziele auf­gelistet werden, die die inter­nationale Verant­wortung und Solidarität Deutsch­lands betreffen. Wie bereits in der Vergangen­heit durch ent­wicklungs­politische Maß­nahmen geschehen, fordert also auch die Agenda 2030 Staaten wie Deutsch­land dazu auf, andere Staaten durch Ent­wicklungs­­zusammen­arbeit bei der Umsetzung der Ziele zu unterstützen.

Deutsch­lands Strategien zur Ein­lösung der Ver­pflichtungen

Um die gesetzten Ziele erfolg­reich umzu­setzen, erfordert es zum einen die politische Ver­pflichtung auf ein entsprechendes Leit­bild und das Herunter­brechen dieses Leit­bildes auf konkrete Ziele. Zum anderen bedarf es der Ent­wicklung konkreter Um­setzungs­strategien.

Seit dem Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992, der „Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Ent­wicklung“ (UNCED) bildet das Konzept der nach­haltigen Ent­wicklung das Leit­bild der inter­nationalen Gemeinschaft. Dieses im Brundtland-Bericht ent­worfene Nach­haltig­keits­konzept versteht nachhaltige Entwicklung als „Entwicklung […], die die Bedürfnisse der Gegen­wart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“.

Mit der Unter­zeichnung der Rio-Deklaration über Umwelt und Ent­wicklung hat sich Deutsch­land gemeinsam mit 177 anderen Staaten zum Leit­bild nach­haltiger Entwicklung verpflichtet. Leit­bilder sind als „die grund­sätzliche Aus­richtung des Denkens und Handelns auf einen all­gemeinen erstrebens­werten Zukunfts­horizont“ zu betrachten und bilden demnach ein Werte­system, aus dem sich konkrete Ziele ableiten lassen. Sie können als handlungs­leitendes Prinzip gewertet werden, das eine orientierende, koordinierende und motivierende Funktion haben kann.

Zur Um­setzung eines solchen Werte­systems sind konkrete Strategien not­wendig. Die deutsche Bundes­regierung hat daher im April 2002 erstmals eine Nationale Nach­haltigkeits­strategie „Perspektiven für Deutsch­land“ vorgelegt, die auf die Um­setzung des Leit­bildes nach­haltiger Ent­wicklung in Deutschland abzielt. Die Strategie wurde in den vergangenen Jahren immer wieder an neue Ent­wicklungen angepasst.

Der universelle Anspruch der Agenda 2030

Die Agenda 2030 nimmt alle Staaten in die Pflicht: Anders als bei den Milleniums-Entwicklungs­ziele sind wohl­habendere Staaten nun nicht mehr nur in der Pflicht, andere Staaten bei ihren Be­mühungen um Ent­wicklung zu unter­stützen, sondern müssen die Ziele auch im eigenen Land umsetzen.

Somit werden alle Staaten der Welt zu "Ent­wicklungs­ländern", denn auch in wohl­haben­deren Staaten gibt es Miss­stände, z.B. bei der Bekämpfung von Armut oder der Um­setzung der Gleich­berechtigung der Geschlechter.

Außer­dem sind es gerade wohlhabendere Staaten, welche den vergleichs­weise hohen eigenen Ent­wicklungs­­stand so verändern müssen, dass er nach­haltiger wird und somit beispiels­weise kein Wohl­stand auf Kosten von Menschen in anderen Welt­regionen ist.

Regelmäßig ver­öffent­licht die deutsche Bundes­regierung eine über­arbeitete Fas­sung der Deutschen Nach­haltig­keits­strategie. Grund für die weit­reichende Über­arbeitung war ins­besondere die neu eingeführte Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Die Strategie ist jetzt inter­nationaler aus­gerichtet und beschreibt konkret, wie Deutsch­land seinen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Agenda 2030 leisten kann.

Die Strategie berück­sichtigt vier Handlungs­felder: Generationen­gerechtig­keit, Lebens­qualität, sozialer Zusammen­halt und inter­nationale Verant­wortung. Zu den jeweiligen Handlungs­feldern werden mittel­fristige und lang­fristige Vorgaben fest­gelegt, die sich an den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 orientieren. Die Vorgaben werden anhand regel­mäßiger Fort­schritts­kontrollen mittels 38 Indikatoren überprüft.

Die in der Nationalen Nach­haltigkeits­strategie berück­sichtigten Ziele der Agenda 2030 werden jeweils aus den oben beschriebenen drei Perspektiven für Deutsch­land betrachtet.

Das soll am ersten Nach­haltigkeits­ziel „Armut in jeder Form und überall beenden“ deutlich gemacht werden. Für die Um­setzung Deutsch­lands ist dabei insbesondere das Unter­ziel 1.2 relevant, das anstrebt, bis 2030 Armut in allen Dimensionen nach der je­weiligen nationalen Definition zu halbieren. Dabei geht es also nicht allein um die Bekämpfung absoluter Armut, die sich auf Faktoren der physischen Existenz wie Hunger oder fehlende Gesund­heits­versorgung bezieht, sondern auch um relative Armut. Diese wird anhand der Ver­teilung von Ein­kommen inner­halb einer Gesell­schaft gemessen. In der Nationalen Nach­haltig­keits­strategie wird beschrieben, wie Armut in Deutschland, durch Deutschland und mit Deutschland vermieden werden kann:

  1. Maßnahmen, um Armut in Deutschland zu vermeiden:
    Um Armut in Deutsch­land zu vermeiden, wird in der Nationalen Nach­haltig­keits­strategie u.a. eine Ver­besserung der der­zeitigen Ein­kommens­situation durch die Schaf­fung eines gesetz­lichen Anspruchs auf befristete Teil­zeit­arbeit und ein Ausbau der flächen­deckenden Kinder­betreuung angestrebt. Auch sollen verbesserte Rahmen­bedingungen für die Verein­barkeit von Familie und Beruf geschaffen werden. Die Schaf­fung von einer zusätz­lichen Alters­vorsorge neben der gesetzlichen Rente sowie der Zugang zu bezahl­barem Wohn­raum für die Menschen in Deutsch­land sind weitere Maß­nahmen, die die Bundes­regierung definiert.
  2. Maßnahmen, um Armut durch Deutschland zu vermeiden:
    In der Nach­haltig­keits­strategie wird erklärt, dass Armut durch Deutsch­land vermieden werden kann, indem die eigene globale Verant­wortung an­er­kannt wird, und in allen Politik­bereichen dazu bei­getragen wird, Armut welt­weit und in allen Dimen­sionen zu beenden.
  3. Maßnahmen, um Armut mit Deutschland zu vermeiden:
    Durch klassische Ent­wicklungs­zusammen­arbeit unter­stützt Deutsch­land Partner­länder bei der Armuts­bekämpfung. So fördert Deutsch­land beispiels­weise die Beschäf­tigung sowie die Ver­besserung des Zugangs zu Gesund­heits­ver­sorgung und Bildung in vielen Partner­ländern.

Herausforderungen für Deutschland

Der Erfolg der Agenda 2030 für Deutsch­land wird sich daran messen, ob die Nationale Nach­haltig­keits­strategie praktisch umsetzbar ist. Eine Um­setzung kann nur durch eine kohärente Gesamt­strategie erfolgen, die eine große An­zahl unter­schiedlichen Akteure und Ressorts einbindet. 

Eine weitere Heraus­forderung für Deutsch­land besteht zudem in einer verlässlichen Über­wachung der Um­setzung der Ziele. Hierfür sind nicht nur Fort­schritts­messungen anhand klarer Indikatoren vonnöten, sondern auch präzise Definitionen der anvisierten Zielwerte. Einige Vorgaben in der Nationalen Nach­haltig­keits­strategie definieren bereits klare Ziel­werte, bei anderen scheinen die Bestimmungen jedoch sehr vage formuliert. Es bleibt an in diesen Punkten unklar, wann ein Ziel erreicht und wann es verfehlt ist.