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Debatte: Anerkennung – Empowerment – Gerechtigkeit

Ein wichtiges Instrument für die Reduzierung von Ungleichheiten stellt die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft dar. Sie birgt das Potenzial, aktuelle Diskriminierungsformen in Deutschland intersektional zu analysieren und zukunftsorientierte Maßnahmen zu gestalten.

Das Logo der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft, hinterlegt mit ganz vielen Fotos von Menschen afrikanischer Herkunft..
Das Logo der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft, künstlerisch bearbeitet. (OHCHR/Claudie Fioroni)

Anerkennung, Gerechtigkeit, Entwicklung – so lauten die Schlagwörter der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft von 2015 bis 2024. Ziel dieser Dekade ist es, die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen afrikanischer Herkunft auf der ganzen Welt zu stärken, auch in Deutschland. Getreu nach dem Motto “Nothing about us without us”, soll die Umsetzung nicht nur für, sondern auch mit Menschen afrikanischer Herkunft gestaltet werden. Für die Umsetzung richteten die Vereinten Nationen die “Working Group of Experts on People of African Descent” ein, welche durch den UN-Menschenrechtsrat mandatiert ist, Empfehlungen auszusprechen. Mit Hinblick auf die historische Benachteiligung und strukturelle Diskriminierung von Afrikanerinnen und Afrikanern in Deutschland, stellt die Dekade ein wichtiges Momentum dar, um deren wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politischen Rechte zu stärken. Beispielsweise geht aus einem UN-Bericht zur Situation Menschen mit afrikanischer Herkunft in Deutschland deutlich hervor, wie stark diese in der Schule, am Arbeitsplatz und staatlichen Behörden mit Rassismus konfrontiert sind. Institutionelle Diskriminierung in Polizeibehörden, wie etwa Racial Profiling, sind in Deutschland immer noch an der Tagesordnung. Diese Formen der demokratiegefährdenden Ungleichbehandlung wird auch in der Agenda 2030 unter Ziel 10 aufgegriffen. So fordert das Unterziel 10.3. konkret die Abschaffung diskriminierender Gesetze, Politiken und Praktiken und die Förderung geeigneter gesetzgeberischer, politischer und sonstiger Maßnahmen. Wie Albert Denk in seinem DGVN-Debattenbeitrag zum Thema argumentiert, bedarf es beim Blick auf Ungleichheit immer auch den Blick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse entlang der Linien von Privileg und Marginalisierung. Wir sind überzeugt: Um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen, braucht es eine zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit der traditionsreichen Schwarzen und Afro-Deutschen Geschichten und einer stärkeren Förderung der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland.

Schwarze und Afro-Deutsche Stimmen im historischen Kontext

Bereits 1727 setzte sich der promovierte Philosoph Anton Wilhelm Amo an der heutigen Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit der Rechtsstellung Schwarzer Menschen in Europa auseinander. Er gilt somit als wichtiger Schwarzer Vordenker für die Rechte von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland. Der Blick in die Gegenwart zeigt, dass Amos Arbeit weiterhin relevant ist. Beispielsweise attackierten 2021 deutsche Politikschaffende die Schwarze Wissenschaftlerin Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma mit menschenfeindlichen Aussagen. Als Gastprofessorin an der Technischen Universität Berlin forscht sie zu Dekolonialität und Feministischer Theorie. Menschen afrikanischer Herkunft setzen sich nicht nur an Deutschlands Universitäten für Menschenrechte ein. Am 27. Juni 1919 forderte Deutschlands erster Schwarzer Zugführer, Martin Dibobe, mit anderen Mitstreitern in einer Petition die Selbstständigkeit und Gleichberechtigung der Menschen in und aus den deutschen Kolonien. Eine Antwort seitens der Nationalversammlung sowie des Kolonialministeriums blieb jedoch damals aus. Auch heute verläuft die politische Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen im 19. und 20. Jahrhundert schleppend. So bleibt die Zwangssterilisation an Menschen afrikanischer Herkunft durch staatliche Institutionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lediglich eine Randnotiz in der deutschen Erinnerungskultur. Mit der Anerkennung des Völkermordes an den Volksgruppen der Herero und Nama ausgeführt durch Deutschland als Kolonialmacht wurde im Mai 2021 zwar ein wichtiger Meilenstein erreicht, jedoch spiegelt dieser den jahrzehntelangen Kampf der afrikanischen Diaspora in Deutschland und der Herero und Nama in Namibia kaum wider. Die historische Einbettung aus Forschung und Politik zeigt, dass Menschen afrikanischer Herkunft bereits jahrhundertelang ein Ende der strukturellen Diskriminierung in Deutschland fordern.

Halbzeitbilanz der UN Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft

Die Halbzeitbilanz der deutschen Regierung zur Umsetzung der Dekade fällt bisher bescheiden aus (vgl. kleine Anfrage im deutschen Bundestag). Trotz einer Konferenz der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie dem Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus, bleiben viele wichtige Schritte seitens der Bundesregierung ungeachtet. So wurde zum Beispiel die Einrichtung einer Koordinierungsstelle „UN-Dekade Menschen afrikanischer Herkunft“ zwar im Juli 2020 beschlossen, bis dato jedoch nicht umgesetzt. Umso wichtiger sind daher die Bemühungen der Zivilgesellschaft in Deutschland. Der zweite Jahrestag der deutschen Eröffnung der Dekade im Oktober 2018 wurde von der Zivilgesellschaft als Anlass genutzt, um die Öffentlichkeit auf deren Forderungen aufmerksam zu machen. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V., das Afro Deutsche Akademiker Netzwerk e.V. und BrasilNilê e.V. in Kooperation mit Engagement Global riefen eine Veranstaltung in Frankfurt ins Leben. Im Fokus stand hierbei, die existierende Zivilgesellschaft sichtbar zu machen, wie zum Beispiel. die Arbeit zu Diskriminierung und Empowerment an Schulen durch Panafrikanismus e.V.. In ähnlicher Mission schlossen sich auch 2019 über 35 Organisationen zur „People of African Descent (PAD) Week Europe" zusammen. Das offizielle Motto der UN-Dekade wurde dabei abgewandelt in “Anerkennung. Empowerment. Gerechtigkeit”. Die Selbstermächtigung Schwarzer und Afro-deutscher Communities stand so im Vordergrund des Geschehens. Deren Forderung lautet unter anderem, Menschen afrikanischer Herkunft in politischen Diskursen nicht zu bevormunden, sondern eine tatsächliche Partizipation zu gewährleisten.

Hin zu einer pluralistischen Demokratie und Gesellschaft 

In den verbleibenden drei Jahren der UN-Dekade müssen vor allem weiße Politikschaffende ein Bewusstsein entwickeln, dass die gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht nach Ablauf der Dekade enden werden. Rassismus wird auch nach 2024 weiterhin bestehen. Es geht daher auch darum, wie bereitwillig die gesamte deutsche Regierung sein wird, den Forderungen der Zivilgesellschaft Gehör zu verschaffen und diese umzusetzen. Denn insbesondere aus dem Berliner Maßnahmenkatalog 2018, der unter der wissenschaftlichen Begleitung der Schwarzen Feministinnen Prof. Dr. Maureen Maisha Auma, Katja Kinder und Peggy Piesche erstellt worden ist, geht hervor, dass im deutschen Kontext eben nicht Migration die Mutter aller Probleme ist. Sondern dass es um die Teilhabe von Menschen afrikanischer Herkunft in allen Bereichen unserer Gesellschaft geht.

Miriam Mona Müller promoviert zu postkolonialen Theorien im Bereich der Internationalen Beziehungen.
Pelumi Olusanya-Winter arbeitet im Rahmen des Mercator Kollegs für internationale Aufgaben bei der WHO.


Hinweis: Die Autorinnen haben den Text in genderinklusiver Schreibweise verfasst. Aufgrund der Suchmaschinenoptimierung wurde diese von der Redaktion in eine binäre Schreibweise geändert.