Zwischen anhaltender Stigmatisierung und medizinischem Durchbruch
Mittlerweile gehen Forscherinnen und Forscher davon aus, dass das Humane Immundefizienz-Virus (HI-Virus) schon vor 100 Jahren auftrat. Doch erst Anfang der 1980er-Jahre berichten Ärztinnen und Ärzte in den USA das erste Mal über Fälle des Erworbenen Immunschwächesyndroms (Acquired Immune Deficiency Syndrome - AIDS). AIDS rückte plötzlich in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Bis heute haben sich mehr als 88,4 Millionen Menschen mit dem HI-Virus angesteckt, über 42,3 Millionen Menschen sind an den Folgen von AIDS, das durch das HI-Virus ausgelöst werden kann, gestorben.
Diskriminierung von Menschen mit HIV und AIDS
Anfänglich erkrankten besonders häufig Männer, die Sex mit Männern hatten, und Menschen, die Drogen gebrauchten. Unwissen, Ängste und Ignoranz führten dazu, dass Menschen, die sich mit HIV infizierten oder an AIDS erkrankten, diskriminiert und ausgegrenzt wurden. Mit HIV infiziert zu sein bedeutete damals oft, zu einer gesellschaftlichen Randgruppe zu gehören. Auch die mediale Berichterstattung trug zur Stigmatisierung bei.
Insbesondere in Ländern in Afrika südlich der Sahara waren viele Menschen von Infektionen betroffen. Auch im Jahr 2023 gab es die meisten HIV-Infektionen und Sterbefälle infolge von AIDS in den östlichen und südlichen Ländern Afrikas.
Erfolge im Kampf gegen HIV in den vergangenen 20 Jahren
Noch in den 1990er-Jahren schien AIDS unaufhaltbar. Doch seitdem gab es deutliche Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV und AIDS. Im Jahr 1996 nahm das Gemeinsame Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (Joint United Nations Programme on HIV/AIDS - UNAIDS) seine Arbeit auf, um die weltweiten Anstrengungen zur Bekämpfung von HIV/AIDS zu koordinieren. Eine der herausragendsten Errungenschaften von UNAIDS ist die drastische Erhöhung des Zugangs zu antiretroviralen Therapien (ART), durch die ein Ausbruch von AIDS verhindert werden kann.
Starben im Jahr 2005 noch rund zwei Millionen Menschen an den Folgen von AIDS, war die Zahl UNAIDS zufolge im Jahr 2023 auf 630.000 Infizierte gesunken. Im Jahr 2023 lebten rund 39,9 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, wobei von ihnen über 75 Prozent Zugang zu einer antiretroviralen Therapie hatten. UNAIDS trug außerdem dazu bei, das Bewusstsein für Präventionsstrategien zu schärfen, einschließlich der Förderung von Safer-Sex-Praktiken und der Bereitstellung von Informationen über HIV-Tests.
Etwa 86 Prozent aller Menschen weltweit kennen ihren HIV-Status. Mit dem ‘95-95-95-Ziel’, das Teil der Globalen Aids-Strategie 2021-2026 ist, möchten die UN unter anderem bis 2025 erreichen, dass 95 Prozent aller Menschen, die mit HIV leben, über ihren HIV-Status informiert sind, 95 Prozent der Menschen, die ihren positiven Status kennen (etwa 34 Millionen Menschen), eine ART erhalten und bei 95 Prozent der Menschen, die eine ART erhalten, die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt. Einige Länder konnten Erfolge beim Erreichen des 95-95-95-Zieles verzeichnen. Um HIV-Epidemien bis 2030 zu beenden, sind allerdings weitere Bemühungen nötig, wie UNAIDS 2023 in seinem Bericht Global AIDS Update darlegte.
Denn wird HIV früh erkannt und behandelt, haben Menschen mit HIV nahezu die gleiche Lebenserwartung wie Nicht-Infizierte. Liegt die Viruslast durch die medikamentöse Behandlung unter einer bestimmten Nachweisgrenze, kann das Virus nicht mehr weitergeben werden. Medikamente können auch eine Übertragung des Virus von der Mutter auf das ungeborene Kind verhindern. Und es gibt weitere Fortschritte: Durch das Medikament PrEP besteht, selbst bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr, Schutz vor einer Infektion. Auf der Welt-Aids-Konferenz in München 2024 wurde außerdem eine neue Präventionsmöglichkeit, die PrEP-Spritze, vorgestellt: Eine Injektion jedes halbe Jahr bietet hohen Schutz vor einer Infektion. Die Präventionsmöglichkeit ist jedoch mit hohen Kosten verbunden.
HIV und AIDS in Deutschland - mehr Engagement nötig
Auch in Deutschland ist weiterhin Bedarf für Aufklärungsarbeit zur Bekämpfung von AIDS. Insbesondere in Bezug auf vulnerable Gruppen wie Menschen, die Sexarbeit nachgehen, Menschen mit Suchterkrankungen, Obdachlose und Migrantinnen und Migranten ohne Krankenversicherung ist weiterhin Engagement bei der Bekämpfung von HIV notwendig, sagt Dr. Bornice Biomndo, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité Berlin. Oft hätten vulnerable Gruppen weniger Zugang und Vertrauen zu Gesundheitspersonal und ließen sich deshalb seltener testen und behandeln. Wichtig sei, dass Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter dort hingehen, wo diese Menschen Vertrauen aufbauen können, und sichere Orte geschaffen werden, wo sie Gesundheitsberatungen und regelmäßige Behandlungen erhalten.
Missachtung der Menschenrechte lässt Risiko für HIV steigen
In Ländern wie Uganda und Russland, in denen die Rechte von LGBTQ+-Personen missachtet werden, lassen sich diese Gruppen aus Angst vor Diskriminierung seltener testen oder behandeln.
Russland verzeichne seit dem Anstieg von Drogenabhängigkeitserkrankungen Mitte der 1990er-Jahre eine hohe Zunahme von HIV-Infektionen, erklärt Dr. Ulla Pape, Politologin an der Freien Universität Berlin. Medikamente seien durch Lieferengpässe oft nicht verfügbar oder die Behandlung werde verzögert. Menschen mit HIV fürchteten in Russland außerdem Diffamierungen und Diskriminierungen von staatlicher Seite. Eine HIV-Infektion bedeute in Russland noch immer ein doppeltes Stigma. Zum einen wegen der Erkrankung selbst, zum anderen, weil sie mit der Zugehörigkeit zu gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen in Verbindung gebracht wird. Durch Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter werde das Virus außerdem zunehmend von Russland nach Zentralasien gebracht.
Gewalt gegen Frauen bremst Bekämpfung von HIV aus
Biomndo forscht an der Charité Berlin auch zu HIV in Kenia. Der Zugang zu Tests und Medikamenten habe sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert und das Gesundheitspersonal käme auch in entlegene Dörfer. Trotzdem seien Stigmatisierung und Vorurteile immer noch ein Problem. 2023 lag in Afrika südlich der Sahara der Anteil von Frauen an allen Neuinfektionen bei 62 Prozent. In anderen Regionen der Welt stellen Männer mit 73 Prozent den höchsten Anteil dar. Finanzielle Abhängigkeiten, Vorurteile und stereotype Geschlechterrollen führten dazu, dass Frauen gefährdeter sind. Frauen in Ehen scheuten sich häufig, ihren HIV-Status preiszugeben: Ihnen könne von ihrer Familie vorgeworfen werden, sie seien fremdgegangen und hätten ihren Mann dadurch infiziert - obwohl es vielleicht umgekehrt war. Aus Angst vor Ausgrenzung erzählen deshalb nicht alle Menschen mit HIV ihren Familien von ihrer Infektion.
Frauen mit HIV, die Formen von Gewalt durch ihren Partner erleben, lassen sich seltener behandeln und unterbrechen häufiger ihre Behandlung. Zu diesem Ergebnis kam 2021 eine Studie über Frauen mit HIV in Kenia, an der Biomndo mitgearbeitet hat. Je höher der Bildungsabschluss der Frauen war, desto wahrscheinlicher war eine regelmäßige Einnahme der Medikamente. Aus diesen Gründen sei auch der Zugang zu Bildung essenziell: "Es ist wichtig, bereits an Schulen und Universitäten über HIV und AIDS zu sprechen, um Ängsten, Scham und Stigmatisierungen entgegenzuwirken und damit vor einer Ansteckung mit dem Virus zu schützen und über eine Behandlung aufzuklären", sagt Biomndo.
Delia Friess