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Zukunft der Arbeit – Zukunft der ILO

Die ILO feiert ihr 100-jähriges Jubiläum – Zeit für eine Neuorientierung, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts begegnen zu können.

Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist eine Herausforderung für die ILO. (UN Photo/Kibae Park)

Die ILO kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: 1919 aus der Arbeiterbewegung als Teil des Völkerbundes gegründet, wurde sie 1946 zur Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Seit ihrer Gründung setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und menschenwürdige Arbeitsbedingungen ein und hat in über 180 rechtlich bindenden Konventionen Arbeitsstandards für vielfältige Arbeitsbereiche und Zielgruppen verabschiedet.
Vor einem Jahrhundert waren es tiefgreifende Veränderungen von Arbeitswelt und Gesellschaft, hervorgerufen durch die industrielle Revolution, die zur ILO-Gründung führten. Nun stehen durch die digitale Transformation in allen Bereichen Umbrüche an. Zeit für die ILO, sich an diese neuen Umstände anzupassen.
 

Die Zukunft der Arbeit wird durch die ILO bereits thematisiert und der umfangreiche Bericht der Globalen Kommission zur Zukunft der Arbeit wird auf der Arbeitskonferenz im Juni 2019 als Diskussionsgrundlage dienen. Darin wird zum Beispiel ein Anspruch auf lebenslanges Lernen vorgeschlagen, um zu verhindern, dass Menschen in verschwindenden Berufen von Arbeitslosigkeit bedroht werden. Doch auch die Organisation selbst wird sich auf neue Entwicklungen einstellen müssen, die ihre eigenen Fundamente betreffen.


Kernkonzepte der ILO werden infrage gestellt

Durch die digitale Transformation wird die ILO mit grundlegenden Veränderungen konfrontiert. Die dreigliedrige Governance-Struktur der ILO gilt noch heute als revolutionär: Neben den Regierungen haben nationale Delegationen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern Stimmrecht in der Arbeitskonferenz und im Verwaltungsrat, den Hauptgremien der ILO. Von so viel zivilgesellschaftlicher Beteiligung können andere internationale Organisationen nur träumen. Darüber hinaus stellt die Dreigliedrigkeit sicher, dass verabschiedete Regelungen wirklich dem sozialen Konsens entsprechen. Doch in einigen Arbeitsformen gestaltet sich die gewerkschaftliche Organisation schwierig. Ein Beispiel sind die vielen Arbeitskräfte in der platform economy, die zum Beispiel bei Uber, Lieferdiensten und ähnlichen Plattformen Aufträge erledigen. Diese weltweit verteilte Crowd von Arbeiterinnen und Arbeitern wird von Gewerkschaften kaum abgedeckt, eine traditionelle gewerkschaftliche Organisation ist in vielen Fällen schwer umzusetzen. So können ihre Interessen weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene vertreten werden.

Eine weitere Veränderung vollzieht sich in der zentralen Bedeutung des Arbeitsvertrags für die Regulierung von Arbeitsbeziehungen. Der Vertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit einer klaren Rollenverteilung und klaren gesetzlichen Vorschriften hat sich als bedeutsames Instrument erwiesen, um Arbeitsschutz umzusetzen. Doch in modernen Arbeitsformen verschwimmen diese Kategorien. Dies ist besonders der Fall für sogenannte Klickarbeiter, die auf Crowdsourcing-Plattformen Mini-Aufträge von externen Auftraggebern erledigen. Sie sind weder bei der Online-Plattform angestellt noch stehen sie in einem Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber – so genießen sie kaum Schutz, haben keinen Zugang zu sozialer Sicherung und keine Arbeitnehmerrechte. In einer ILO-Studie berichten viele von mangelnder Transparenz, einem viel zu geringen Lohn und mangelnden Widerspruchsrechten, wenn ein Auftraggeber beispielsweise nicht zahlt. Ohne Arbeitsvertrag werden die Ansprüche der Betroffenen und auch das Recht auf Mitsprache unklar. In den bisherigen ILO-Standards finden sich aber kaum Instrumente, um in diesem Kontext Arbeiterinnen und Arbeiter zu schützen.

Dies ist nicht nur in der Plattformökonomie eine Herausforderung: Laut ILO-Schätzungen befinden sich weltweit zwei Milliarden Arbeitskräfte in einem informellen Arbeitsverhältnis. Ihre Situationen sind nach Sektor und Region extrem vielfältig. Regulierungsansätze, die das Konzept des Arbeitsvertrags erweitern, würden auch hier zu menschenwürdigen Bedingungen und der Einhaltung von Arbeitnehmerrechten beitragen. Dazu zählt die einheitliche Regelung von Dreiecksbeziehungen, die auf digitalen Plattformen zwischen den Betreibenden der Plattform, den Auftraggebern und den ausführenden Arbeitskräften entstehen. Verschiedene Modelle wurden bisher vor allem in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert und die ILO könnte sie nun praxisfähig machen.


Relevanz erhalten – durch neue und bewährte Strategien

Diese Entwicklungen fordern die ILO heraus und stellen gleichzeitig eine Möglichkeit dar, im digitalen Zeitalter für alle Berufsgruppen relevant zu bleiben und die Entwicklung neuer Arbeitsformen mitzugestalten. Dafür bieten sich neue Strategien an: Die ILO setzt sich beispielsweise für die Einbindung von Arbeitsstandards in bilaterale Freihandelsabkommen ein und versucht damit, Spannungen zwischen internationalem Handel und der ILO-Agenda zu vermeiden. Besonders die USA, die EU und Kanada beziehen Arbeitsstandards in ihre bilateralen Freihandelsabkommen ein, was diese Regeln zusätzlich stärkt. Mit der Verbreitung von Corporate Social Responsibility eröffnet sich ebenfalls ein Handlungsfeld, um Unternehmen einzubeziehen und zu Selbstverpflichtungen zu bewegen.

Allerdings ist hier Vorsicht geboten. Aufgrund einer Kooperation mit McDonald’s zum Thema Jugendarbeitslosigkeit ist die ILO beispielsweise in die Kritik geraten, weil der Konzern damit unfaire Lohnpraktiken und schlechte Arbeitsbedingungen verschleiern kann. Die ILO darf kein Beiwerk werden zu Imagekampagnen von Konzernen oder zu Freihandelsabkommen, die letztlich mit dem politischen Willen der beteiligten Regierungen stehen und fallen. Stattdessen sollte die Organisation die Herausforderungen des digitalen Zeitalters fest einbinden und eine regulatorische Antwort finden. Die Globale Kommission zur Zukunft der Arbeit war ein Anfang, nun sollten ihre Empfehlungen in bindenden Normen festgehalten werden. Gleichzeitig erfordert die Verbreitung von Arbeitsverhältnissen, die von bisherigen Kategorien abweichen, mehr Flexibilität in der Organisation. Durch verstärkte zivilgesellschaftliche Partizipation im weiteren Sinne, d. h. ohne Bindung an die dreigliedrige Struktur, sollten Gruppen ohne gewerkschaftliche Organisation ihre Bedürfnisse in die Erarbeitung von ILO-Standards einbringen können.

Mit mehr als 180 Konventionen hat die ILO bereits einen beachtlichen Beitrag zu verbesserten Arbeitsstandards geleistet. Nur mit bindenden Normen kann sie weiterhin die Situation von Arbeitskräften kontrollieren, mit einer festen rechtlichen Grundlage auf Missstände aufmerksam machen und sich dafür einsetzen, dass alle Berufsgruppen sozialen Schutz und Mitspracherechte genießen. Auch im 21. Jahrhundert braucht es eine starke Organisation, die sich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einsetzt – weltweit.

Emma Beelen
 

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