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Standpunkt: Zero Draft zum Pakt für die Zukunft erschienen

Am 29. Januar wurde der Erstentwurf des Paktes für die Zukunft, der während des Zukunftsgipfels der UN am 23. - 24. September 2024 von Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten verabschiedet werden soll, der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein Standpunkt von Ekkehard Strauß.

UN Photo/Rick Bajornas

Der Zukunftsgipfel hat zum Ziel, die UN-Charta zu bekräftigen, den Multilateralismus wiederzubeleben, die Umsetzung bestehender Verpflichtungen zu fördern, sich auf Lösungen für neue Herausforderungen zu einigen und das Vertrauen wiederherzustellen, wobei hinsichtlich des letzten Ziels nicht klar ist, wessen Vertrauen und in wen oder was gemeint ist. Deutschland und Namibia kommen als Vermittler (facilitator) des zwischenstaatlichen Verfahrens die Rolle zu, die verschiedenen Ideen und Vorschläge im Sinne des Ziels des Gipfels zu bündeln. Im Folgenden sollen daher Eindrücke des Erstentwurfs hinsichtlich der Ziele des Zukunftsgipfels vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Verhandlungen über das Abschlussdokument des Weltgipfels 2005 vermittelt werden.

1. Die UN wurden als kollektive Sicherheitsorganisation gegründet, um zukünftige Kriege zu verhindern. Dafür wurde der Sicherheitsrat mit der Verantwortung betraut, in Fällen von internationalen Streitigkeiten schnell und effektiv zu handeln und eine direkte Konfrontation zwischen den fünf ständigen Mitgliedern auszuschließen. Die weiteren Ziele und Grundsätze der UN, insbesondere hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und der Menschenrechte, wie auch der Aufbau und die Funktionsweise der Organisation, sind am Zweck kollektiver Sicherheit ausgerichtet. Daher ist beachtenswert, dass das Kapitel über Frieden und Sicherheit erst an zweiter Stelle des Erstentwurfs eingeordnet wird. Dies verschiebt den Zweck der Organisation zu einer Zeit, in der ihre Möglichkeiten zur Verhinderung von Kriegen aufgrund der neuen multipolaren Ordnung und geopolitischen Konkurrenz, die sich im Sicherheitsrat widerspiegeln, eingeschränkt sind. Der Erstentwurf sollte stattdessen die zentrale Verantwortung der UN für internationalen Frieden und Sicherheit bestätigen und nach Absatz 48 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten einfügen, die Reform der Organe zu diesem Zweck voranzutreiben. Dies würde auch einen klaren Rahmen für Kapitel fünf zur Umgestaltung der global governance zur Verfügung stellen. Die UN sollten ihren Fokus wieder auf die internationale Sicherheit richten und Aufgaben und Funktionen ohne Bezug zu diesem Zweck an regionale und zivilgesellschaftliche Partner übertragen.

2. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) beruhen auf einer Vereinbarung der Mitgliedstaaten von 2015, bestimmte quantitative und qualitative Indikatoren in 17 Themenbereichen der Entwicklungspolitik bis 2030 zu erreichen. Der Erstentwurf betont, dass die Erreichung dieser Ziele auch die Überwindung der verschiedenen globalen Krisen bedeutet. Die Ziele für nachhaltige Entwicklung sind jedoch nicht verbindlich und können von den Staaten ihrer nationalen Situation angepasst und verändert werden. Da wissenschaftliche Belege dafür fehlen, dass wirtschaftliche Entwicklung die politischen und sozialen Machtverhältnisse automatisch verändern, betonen die SDGs die Notwendigkeit, sie für die Schwächsten der Gesellschaft zuerst zu verwirklichen. Dafür werden die einzelnen Ziele auch mit entsprechenden Verpflichtungen aus Menschenrechten in Verbindung gebracht. Das UN-Sekretariat und die verschiedenen Sonderorganisationen, Agenturen und Fonds unterstützen die Staaten bei der Erreichung der von ihnen ausgewählten Ziele. Da es sich nicht um Normumsetzung handelt, fehlen den UN jedoch Möglichkeiten, die Wahl der Ziele und Indikatoren dahin zu beeinflussen, dass grundsätzliche politische und soziale Entwicklungshemmnisse des betreffenden Landes angesprochen werden. Die UN werden zur Entwicklungshilfeagentur und sollen Funktionen übernehmen, für die sie personell und institutionell schlecht, die Weltbank aber z.B. sehr gut aufgestellt ist. Der schleichende Prozess der Verschiebung des strategischen Schwerpunkts der UN wird in dem Erstentwurf durch die Einordnung der nachhaltigen Entwicklung als erstes Kapitel verstärkt. Dieses Kapitel sollte stattdessen hinter Kapitel zwei eingeordnet werden.

3. Nach dem Wortlaut der Präambel der Charta beruht die Gründung der UN auf einem Konsens, der durch die gemeinsame historische Erfahrung mit Nazideutschland entstanden ist. Dieser Konsens ist in der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords und in der Universellen Erklärung der Menschenrechte weiter konkretisiert worden. Die Einhaltung dieser Verpflichtungen liegt im kollektiven Sicherheitsinteresse, unabhängig von der religiösen, philosophischen oder anderen Begründung einzelner Staaten für die Geltung der darin zum Ausdruck kommenden Werte. Nach den Situationen u.a. in Rwanda und Srebrenica, in denen massenhafte Menschenrechtsverletzungen und Genozid nicht verhindert wurden, hat der Weltgipfel 2005 als wesentliche Errungenschaft in seinem Abschlussdokument eine Schutzverantwortung (responsibility to protect) der Staaten bestätigt, ihre Bevölkerung vor Genozid, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Diese Schutzverantwortung taucht trotz ihrer Bestätigung in Sicherheitsrats-, Generalversammlungs- und Menschenrechtsratsresolutionen im Erstentwurf nicht auf. Die Analyse des gescheiterten UN-Engagements in Sri Lanka oder Myanmar hat gezeigt, dass Vertrauen in die UN ohne die effektive Wahrnehmung dieser Schutzverantwortung nicht wiederhergestellt werden kann. Der Zukunftspakt sollte die Schutzverantwortung nach Absatz 47 mit einem ausdrücklichen Hinweis auf das Abschlussdokument von 2005 bestätigen und das gemeinsame Interesse der Mitgliedstaaten an ihrer effektiven Umsetzung als Grundlage des Vertrauens der Völker in die Organisation betonen.  

4. Das Ziel der UN, bei internationalen Problemen humanitärer Art zusammenzuarbeiten, ist zu einer der wichtigsten Tätigkeitsfelder der Organisation geworden. Die Koordination humanitärer Hilfe in Kriegen und die Versorgung der Bevölkerung und Geflüchteter mit Nahrung, Wasser und Wohnung hat Tausenden von Menschen das Leben gerettet. Diese Erfolgsgeschichte der UN hat jedoch eine Schattenseite, die in den Situationen in Sri Lanka, Myanmar, Somalia oder Syrien eingehend analysiert und dokumentiert worden ist. Humanitäre Hilfe wird nach den Prinzipien von Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit geleistet. Durch die Notwendigkeit, humanitären Zugang zu den Begünstigten auszuhandeln, werden im Ergebnis staatliche und nichtstaatliche Akteure, die Konfliktursachen setzen, unterstützt und rechtlich und politisch aufgewertet. Dieses zentrale Dilemma der humanitären UN-Arbeit in Konfliktsituationen mit weitreichenden Konsequenzen für Friedensprozesse wird im Erstentwurf nicht angesprochen. Im Hinblick auf die Analyse der letzten Jahre sollte der Erstentwurf mindestens eine Formulierung der Selbstverpflichtung enthalten, die Unabhängigkeit der humanitären Akteure zu achten und ihre Arbeit zu ermöglichen. Die derzeitigen Absätze 54-56 des Erstentwurfs sind hinsichtlich des o.g. Problems mehrdeutig.

5. Migration ist die zentrale Herausforderung für die internationale und regionale Zusammenarbeit von Staaten. Der Umgang mit Migration hat zu politischen und rechtlichen Reaktionen von Staaten geführt, die Menschenrechte verletzen und die internationale Sicherheit gefährden. Ein Verweis auf Migration fehlt im Erstentwurf. Notwendig ist mindestens ein Bezug zum Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration mit einer Selbstverpflichtung, die Vorteile der Migration durch Koordination und Solidarität für alle nutzbar zu machen. Dies sollte nach Absatz 65 eingefügt werden.

Multilaterale Verhandlungsprozesse innerhalb der UN sind maßgeblich von Präzedenzfällen und dem Ausgleich gegensätzlicher Interessen geprägt. Dies bedeutet zum einen, dass bereits in anderen Dokumenten akzeptierte Formulierungen grundsätzlich einfacher verhandelbar sind. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass mit dem Wortlaut bereits akzeptierter Verpflichtungen auch ihr Inhalt verändert wird und fehlende Verweise als mangelnde Priorisierung interpretiert werden. Das Aussparen von scheinbaren Selbstverständlichkeiten führt in Verhandlungsprozessen häufig zu einer Entleerung von Dokumenten. Zum anderen ist es wichtig, die jeweiligen Inhalte zunächst so ausführlich zu formulieren, dass Verhandlungsmasse verbleibt, ohne die grundsätzlichen Positionen zu gefährden. Die Beiträge der Zivilgesellschaft sind eine wichtige Quelle für die Argumente in den Verhandlungen der Staatenvertreter, sie haben jedoch keinen besonderen Status hinsichtlich ihrer Berücksichtigung. Der Erstentwurf betont den intergouvernementalen Charakter der UN und das Begleitschreiben der Vermittler an die Mitgliedsstaaten erklärt den Verhandlungsprozess.    

Von Ekkehard Strauß, stellvertretender Vorsitzender der DGVN