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Wasser, Klimawandel und Gerechtigkeit: Der hydrosoziale Kreislauf als Schlüssel zu nachhaltiger Nutzung und Frieden

Der Klimawandel hat dramatische Folgen für die weltweite Wasserversorgung. Aber auch soziale und politische Faktoren tragen zu Ungleichheiten und Konflikten um die Nutzung von Wasser bei. Der Weltwassertag 2024 betont deshalb das Potenzial von Wasser für Kooperation und Frieden.

Aus einem Rohr läuft Wasser in ein großes Becken in einer von den UN geförderten Aufbereitungsanlage in Kap Verde.
UN Photo/Mark Garten

Vor Kurzem habe ich eine Gruppe von Kindern gebeten, Bilder von Wasser zu malen. Es entstanden Darstellungen des Meeres, von Flüssen, Bächen und Wasserfällen, von Regen und Wolken, die über den Himmel ziehen. Würde ich dasselbe von Hydrologinnen und Hydrologen erbitten, sähen die Bilder etwas anders aus. Sie zeichnen den Wasserkreislauf, in dem Wasser lange Zeit unter der Erde verbringt und vergleichsweise kurz in den oberen Schichten der Atmosphäre. Dies wird durch Pfeile, Namen und Zahlen veranschaulicht.1 Weniger ästhetisch, doch bieten sie uns zentrale Einsichten darüber, wo, wann und wie viel Wasser der Natur und uns Menschen zur Verfügung steht.

Der hydrologische Kreislauf steht aktuell im Zentrum der Diskurse über Wasserknappheit, denn der Klimawandel verändert ihn dramatisch. Steigende Temperaturen führen zu einem Anstieg extremer Wetterereignisse wie Starkregen, Wirbelstürme, Dürren, Hitzewellen und Überschwem­mungen. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind 90 % der extremen Wetterereignisse mit Wasser verbunden. Dies hat gravierende Folgen für die Wassersicherheit, da sich Menge, Qualität und Verfügbarkeit von Wasser verändern und die ökologische Knappheit zunimmt. Die Global Commission on the Economics of Water warnt vor einem 40-prozentigen Defizit in der Süßwasserversorgung bis 2030. Der Klimawandel manifestiert sich als Wasserkrise.

Es ist logisch, die Verfügbarkeit von Wasser in den Mittelpunkt der Betrachtungen zu rücken. Doch dieses Bild ist nicht vollständig. Ein Blick auf die Kinderbilder offenbart eine wichtige Unterscheidung zum Kreislauf der Hydrologinnen und Hydrologen: Fast alle Kinder malten nicht nur Wasser, sondern auch Menschen. Diese schwimmen im Meer, fahren auf Booten, essen Eis am Strand und stehen mit Gummistiefeln im Regen. Damit weisen uns die Kinder intuitiv auf einen zentralen Aspekt hin, über den uns der hydrologische Kreislauf keine Auskunft gibt: die Beziehung zwischen Menschen und Wasser.

Wir müssen diese Beziehung betrachten – die Wissenschaft hat hierfür den Begriff des hydrosozialen Kreislaufs geprägt1 –, denn nur dann können wir verstehen, warum Wasser auch dort, wo es verfügbar ist, so ungleich verteilt ist; warum nicht alle Menschen Zugang zu sicherem Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene (WASH) haben; welche Folgen dies für verschiedene Menschen hat; und was wir nun, da der Klimawandel die Wasserknappheit verschärft, tun können, um die Menschenrechte auf WASH zu realisieren und die zunehmende Wasserknappheit nicht in einen Kampf um die lebenswichtige Ressource münden zu lassen.

Wasser ist politisch: Warum Verfügbarkeit nicht gleich Zugang bedeutet. 

Neben der ökologischen Knappheit entsteht Wasserunsicherheit auch durch soziale, wirtschaftliche und politische Faktoren (ökonomische Knappheit), wenn ausreichend Wasser für die Versorgung der Menschen vorhanden ist, dieses aber aufgrund von Ungleichheiten, Konflikten, übermäßigem Verbrauch, Verschmutzung oder mangelnder Infrastruktur nicht allen Menschen in ausreichender Menge und sicherer Qualität zur Verfügung steht.

Zudem bestehen unterschiedliche Nutzungsinteressen in Gesellschaften. Ca. 70 % des verfügbaren Süßwassers wird weltweit für die Landwirtschaft benötigt. Die Industrie und die Energiewirtschaft beanspruchen mittlerweile etwa 20 % des Wasserverbrauchs. Dies hat gravierende Folgen für die umliegenden Wasserressourcen. Mangelnde Sanitär­versorgung und fehlendes Abwassermanagement führen dazu, dass global ca. 80 % des Abwassers unaufbereitet zurück in die Umwelt fließen. Weitere Faktoren sind soziale Ungleichheit und Marginalisierung, beispielsweise in informellen Siedlungen, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner von der öffentlichen Wasser- und Sanitärversorgung ausgeschlossen bleiben. Oder wenn indigenes Wissen zugunsten wissenschaftlicher Daten von der Entscheidungs­findung ausgeschlossen blieb. Zudem spielt das Geschlecht eine wichtige Rolle. Weltweit tragen Frauen und Mädchen einen unverhältnismäßigen Anteil der Lasten unzureichender WASH-Versorgung, sowohl in Bezug auf die distributive Gerechtigkeit (Arbeit, Geld, Zugang zu Ressourcen) als auch die prozedurale Gerechtigkeit (Entscheidungsfindung, Führungspositionen, politische Handlungsfähigkeit). 

Weltwassertag 2024: Ein Appell für den Frieden

Wasser ist überlebenswichtig. Und ohne Sanitärversorgung ist eine nachhaltige, sichere Wasserversorgung nicht möglich. Trotz Fortschritten in den vergangenen Jahrzehnten leben noch immer 2,2 Milliarden Menschen ohne einen sicheren Zugang zu Wasser. 703 Millionen Menschen – fast jeder Zehnte – haben kein sauberes Wasser in der Nähe ihres Zuhauses. Und 3,5 Milliarden Menschen leben ohne sicher verwaltete Sanitärsysteme. Die öffentliche Gesundheit, Nahrungs- und Energiesysteme, wirtschaftliche Produktivität und die Umwelt hängen alle von einem gut funktionierenden und gerecht verwalteten Wasserkreislauf ab. Sauberes Wasser, sichere Sanitärversorgung und Hygiene sind außerdem Menschenrechte. Doch der Zugang dazu ist hochpolitisch.

Mehr als 3 Milliarden Menschen weltweit sind auf Wasserressourcen angewiesen, die nationale Grenzen überschreiten. Dabei haben nur 24 Länder aktuell Kooperationsvereinbarungen für ihr geteiltes Wasser. Dass dies angesichts der Folgen des Klimawandels für Wasserressourcen Konfliktpotenzial birgt, liegt auf der Hand. Wasser hat historisch aber auch schon oft zu mehr Kooperation geführt. Beides ist noch möglich. Deshalb haben die Vereinten Nationen den Weltwassertag, der seit 1993 am 22. März begangen wird, dieses Jahr unter das Thema "Water for Peace" gestellt.

Wasser kann Frieden schaffen, regionale oder zwischenstaatliche Kooperation fördern oder Konflikte auslösen, je nachdem, wie wir uns diesen Herausforderungen stellen. Die Verfügbarkeit von Wasser ist eben nicht nur vom hydrologischen Kreislauf, sondern auch von der Lösung politischer und sozialer Fragen abhängig. 

Doch der Klimawandel macht die Situation dringlicher, denn er verschärft die Rahmenbedingungen: Die beschriebenen Zugangsbarrieren existieren weiter, während gleichzeitig die Verfügbarkeit von nutzbarem Wasser infolge des Klimawandels dramatisch abnimmt und weniger berechenbar wird. Zudem zerstören Naturkatastrophen bestehende Infrastruktur, wenn sie nicht klimaresilient gebaut ist. Auch die Veränderung der Ökosysteme trägt zur Wasser­unsicherheit bei. Über 85 % der natürlichen Feuchtgebiete sind bereits verloren gegangen. 75 % der Landfläche wurden so verändert, dass die Fähigkeit der Ökosysteme der Erde zur Unterstützung nachhaltiger Wasserversorgung reduziert wurde. Dabei nimmt der Bedarf an Wasser global gesehen zu.

Wenn wir hierfür eine kooperative und friedensfördernde Lösung finden wollen, ist es wichtig, den hydrosozialen Kreislauf zu berücksichtigen. Wo befindet sich Wasser? Wer erlebt dessen Knappheit und warum? Wessen Wissen über Wasser wird in der politischen Lösungsfindung berücksichtigt? Unter welchen Umständen? Was verursacht Wasser­ungerechtigkeiten? Und wie sieht die Zukunft des Wassers aus? Wie können wir Wasser für gerechtere und nachhaltigere Zukünfte verwalten? Nur wenn wir sowohl hydrologische als auch soziale Fragen berücksichtigen, können wir eine kooperative Bewirtschaftung und faire, nachhaltige Nutzung von Wasserressourcen gestalten und dafür sorgen, dass aus der Vision „Wasser für Frieden“ Realität wird. 

Alexia Knappmann ist Germany Representative bei der NGO WaterAid.

 

1 Meehan, K., Mirumachi, N., Loftus, A. & Akhter, M., 2023. Water. A Critical Introduction. 1 Hrsg. London: John Wiley & Sons.

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