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Tuberkulose – heilbar, aber trotzdem eine der tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt

Trotz neuer Medikamente steigt die Tuberkulose-Rate laut WHO-Bericht 2023 weiter an. Mit 1,3 Millionen Todesfällen 2022 bleibt sie eine der tödlichsten Krankheiten weltweit. Warum breitet sich eine gut behandelbare Krankheit weiter aus und fordert immer noch so viele Opfer?

Bei der 78. Generaldebatte wurde in der Generalversammlung der globale Kampf gegen Tuberkulose ins Zentrum gerückt. (UN Photo/Loey Felipe)

Ein Viertel der Weltbevölkerung trägt Tuberkulose-Bakterien in sich. Davon erkranken jedoch nur etwa fünf bis zehn Prozent jährlich: Im Jahr 2022 gab es etwa 10,6 Millionen Tuberkulose-Erkrankungen. Nur Menschen, die tatsächlich erkranken und eine offene Lungentuberkulose haben, sind auch ansteckend. Übertragen wird Tuberkulose hauptsächlich über Tröpfcheninfektionen, also durch das Aushusten von Tröpfchen mit den Bakterien.

„In Deutschland und Westeuropa ist Tuberkulose seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine seltene, in manchen Ländern sogar sehr seltene Erkrankung“, erklärt Prof. Christoph Lange vom Klinischen Tuberkulose-Zentrum am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) in Borstel. In einigen südostasiatischen und afrikanischen Ländern sowie in Osteuropa sind die Fallzahlen aber weiterhin hoch. In Ländern des globalen Südens infizieren sich vor allem junge Erwachsene und Männer. Sie sind mobiler und haben deshalb eine höhere Ansteckungsgefahr. Ob bei den Geschlechterunterschieden auch biologische Anlagen eine Rolle spielen, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber noch nicht abschließend erforscht. 

Warum Armut und Krieg Risikofaktoren sind

Tuberkulose ist eine Krankheit, unter der besonders marginalisierte Gruppen leiden, denn Leben auf engem Raum und schlechte Hygiene erhöhen das Ansteckungsrisiko. Auch politische Instabilität oder Krieg spielen eine Rolle: „Ein Beispiel ist die Ukraine nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges. Die Menschen haben in der U-Bahn Schutz vor Bombenangriffen gesucht. Das ist ein ideales Milieu, in dem sich Tuberkulosebakterien verbreiten können“, so Prof. Christoph Lange, da sich hier viele Menschen bei schlechter Luft auf engem Raum aufhalten. 

Auch Geflüchtetenunterkünfte und Migrationsrouten können ein Infektionsrisiko darstellen: Für in Eritrea oder Somalia geborene Menschen ist die Wahrscheinlichkeit höher, sich auf dem Weg nach Europa mit Tuberkulose-Bakterien zu infizieren, als in Somalia oder Eritrea selbst. Migrationsbewegungen, wie 2022 aus der Ukraine nach dem russischen Angriffskrieg, haben in Deutschland zwar für einen leichten Anstieg der Tuberkulose-Fallzahlen gesorgt, der aber in absoluten Zahlen nicht wesentlich ist. „Westeuropa ist sehr wohl in der Lage, Tuberkulose-Erkrankte aus der Ukraine hier zu versorgen. Wir haben mehr als genug Kapazitäten. Das ist für uns überhaupt kein Problem. Migration wird auch nicht dazu führen, dass die Tuberkulose in Westeuropa oder in Deutschland als bedeutende Erkrankung wiederkommt. In Europa ist Tuberkulose eine gut behandelbare Erkrankung“, ergänzt der Tuberkulose-Experte Prof. Christoph Lange. 

Stigma und Behandlungsdauer sorgen für Dunkelziffer

Eine Tuberkulose-Erkrankung ist in Ländern des globalen Südens häufig mit Angst und Scham behaftet. Viele Betroffene reden nicht gerne über Symptome oder die Erkrankung. Das ist auch ein Grund dafür, dass Fälle unerkannt und unbehandelt bleiben: Schätzungen nach sind mindestens 30 Prozent der Tuberkulose-Fälle nicht bekannt. Dabei führen rund die Hälfte der Tuberkulose-Fälle zum Tod – wenn sie unbehandelt bleiben. Die Behandlung einer Lungentuberkulose ist aufwendig und teuer und die seit Jahrzehnten eingesetzten Standardmedikamente haben teilweise starke Nebenwirkungen. Fühlen sich Patienten nach Einnahme der Medikamente wieder gesünder kann es dann passieren, dass sie die Medikamente wegen der starken Nebenwirkungen nicht weiter nehmen möchten, obwohl es das Krankheitsbild nach wie vor erfordert. 

Wie Resistenzen gegen Antibiotika entstanden sind

Eine Tuberkulose wird standardmäßig mit vier Antibiotika behandelt: Bei einer Multiresistenten Tuberkulose sind die Bakterien gegen mindestens eines der zwei wichtigsten Medikamente, Rifampicin und Isoniazid, resistent. Da in mehr als 95 Prozent der Tuberkulose-Fällen mit einer Resistenz gegen Rifampicin auch eine Resistenz gegen Isoniazid vorliegt, spricht man auch von Multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB).

Resistenzen gegen die Antibiotika seien laut Prof. Christoph Lange das erste Mal in den 1980er-Jahren aufgefallen: Sporadisch habe man bemerkt, dass Rifampicin oder Isoniazid in der Behandlung von Patienten unwirksam waren. In den 1990er-Jahren nahmen die Fälle von Multiresistenter Tuberkulose dann zu: Besonders viele Fälle der Multiresistenten Tuberkulose gibt es in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. In Russland handele es sich heute bei jedem zweiten Tuberkulose-Fall um eine Multiresistente Tuberkulose. Betroffen seien auch die Anrainer-Staaten, in denen die Multiresistente Tuberkulose teils zwischen 30 und 50 Prozent aller Tuberkulosefälle ausmacht. „Der Grund dafür ist, dass es während des Zerfalls der Sowjetunion Medikamentenmängel gab: Mit der sporadischen Nichtverfügbarkeit von Medikamenten sind die Bakterien immer wieder hochgewachsen. Nach evolutionären Prinzipien hat man so in den Tuberkulose-Programmen unwissentlich regelrecht multiresistente Stämme 'gezüchtet'“, erläutert der Tuberkulose-Spezialist Prof. Christoph Lange.

Multiresistente Tuberkulose – Wie Medikamentenmangel zur Verbreitung führt

Zu wenig Monitoring und Forschung führen auch heute noch dazu, dass sich resistente Tuberkulose-Formen verbreiteten. Manche Menschen stecken sich sofort mit resistenten Tuberkulose-Bakterien an, bei anderen werden die Bakterien im Laufe der Erkrankung resistent: Auch bei unregelmäßiger Einnahme der Medikamente können die Bakterien gegen die Antibiotika resistent werden. 

Insgesamt muss die Verbreitung von resistenten Tuberkulose-Stämmen Prof. Christoph Lange zufolge differenziert betrachtet werden: „Es gibt Länder, die zwar sehr stark von Tuberkulose betroffen sind, in denen der Anteil von Multiresistenter Tuberkulose aber nur sehr gering ist. Und dann gibt es Länder wie Eswatini (ehemals Swasiland), in denen es viele Tuberkulose-Fälle gibt und wo es zusätzlich eine ganz bestimmte Mutation gibt, die man mit den normalen Tests nicht erfassen kann.“, so Prof. Christoph Lange. Weil die Resistenz nicht erkannt wurde, bekamen Patienten eine Standardbehandlung und nicht Medikamente gegen Resistente Bakterien. Die Bakterien konnten sich so ungehindert verbreiten.

Latente Tuberkulose - Immunsystem hält Bakterien in Schach 

Wenn sich jemand infiziert, aber zunächst nicht oder überhaupt nicht erkrankt, handelt es sich um eine sogenannte latente Tuberkulose. Der Organismus hat Immunmechanismen, die die Tuberkulose-Bakterien im Griff halten: Er baut aus Immunzellen sogenannte Granulome. „Diese Granulome kann man sich wie Kugeln um die Tuberkulose-Bakterien vorstellen. Die Kugelwand ist wie die Wand eines Balles, in dem innen die Tuberkulose-Bakterien leben. Dieser äußere Ringwall von Immunzellen, der die Bakterien im Griff hat, ist jedoch kein festes Gerüst, sondern wird abgebaut und aufgebaut. Durch Ereignisse, die das Immunsystem schwächen, kann dieser Immunschutz aufbrechen. Dadurch können die Bakterien aus diesen Granulomen wieder herauswandern und es kann zu einer Erkrankung kommen“, erklärt Prof. Christoph Lange. 

HIV und Immunsuppressiva als Risikofaktoren

Eine Gruppe von Zellen, die man braucht um solche Granulome zu bilden und aufrechtzuerhalten, sind die sogenannten CD4-T-Zellen. HI-Viren befallen diese Zellen wie in einem Trojanischem Pferd und dezimieren ihre Anzahl. Das führt dazu, dass die Granulome nicht mehr intakt sind und der Immunschutz nicht mehr funktioniert: Die Tuberkulose kann zum Ausbruch kommen. Mit der Verbreitung des HI-Virus Mitte der 1980er Jahre kam es deshalb zu einem massiven Anstieg der Tuberkulose-Erkrankungen, insbesondere im südlichen Afrika. Insgesamt hat sich die Behandlung von der Kombination HIV und Tuberkulose verbessert, trotzdem starben im Jahr 2022 rund 167.000 Menschen an diesem Krankheitsbild. Neben einer HIV-Infektion kann auch eine Chemotherapie bei einer Krebserkrankung dazu führen, dass latente Tuberkulosen aktiv werden. Außerdem erhöhen manche Immunsuppressiva, die gegen bestimmte Autoimmunkrankheiten eingesetzt werden, das Risiko, an einer Tuberkulose zu erkranken. 

Wann Tuberkulose tödlich sein kann

„Generell ist Tuberkulose eine heilbare Erkrankung. Die WHO schätzt, dass 85 Prozent der behandelten Patienten von dieser Infektionskrankheit geheilt werden“, fasst Prof. Christoph Lange zusammen. Bei den restlichen Prozent, die nicht geheilt werden, handele es sich z.B. um sehr komplizierte, weit fortgeschrittene Resistenzen der Bakterienstämme, sehr alte oder sehr junge Menschen oder Patienten, bei der die Erkrankung zu spät oder gar nicht erkannt wurde. Wenn jemand mit HIV infiziert ist und dann zusätzlich an einer multiresistenten Tuberkulose erkrankt, seien die Überlebenschancen ebenfalls geringer. 

Tuberkulose-Resistenzen wurden bis vor wenigen Jahren mit Medikamenten behandelt, die starke Nebenwirkungen hatten und oft durch Infusionen verabreicht wurden. Die Behandlung konnte sich über zwei Jahre hinziehen. 2014 wurden neue Medikamente zur Behandlung von Multiresistenten Tuberkulosen auf den Markt gebracht. Darunter ist auch das Antibiotikum Bedaquilin, das sich als sehr wirksam gegen Multiresistente Tuberkulose erwiesen hat und zudem besser verträglich ist. Die Medikamente können als Tabletten eingenommen werden und die Behandlungsdauer deutlich verkürzen. 

Da die Tuberkulose-Behandlung aufwendig ist, geht sie auch mit hohen Kosten einher. Die Nichtregierungsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ kritisiert, dass Pharmaunternehmen Medikamente und Tests oft zu überteuerten Preisen anbieten. Der Einstieg von Generika-Herstellern, die den Wirkstoff kopieren, könnte den Marktpreis der Medikamente deutlich reduzieren. „Ärzte ohne Grenzen“ zufolge versuchen Pharmahersteller, das Auslaufen ihrer Patente durch sogenannte Sekundär-Patente zu verhindern. Sekundär-Patente auf ein ähnliches Produkt können ein Patent verlängern. Auf Druck von Nichtregierungsorganisationen hat das Pharmaunternehmen Johnson & Johnson letztendlich den Preis gesenkt und angekündigt, die sekundären Patente für Bedaquilin nicht durchzusetzen.

Wie Tuberkulose künftig verhindert werden kann

Als Präventionsmaßnahme könnte eine Impfung einen Wandel einleiten. Der einzig zugelassene BCG- Impfstoff (Bacillus Calmette-Guérin) gegen Tuberkulose ist jedoch nicht effektiv genug. Nur Kinder bis zu einem Alter von fünf Jahren sind durch so eine Impfung geschützt. „Wir haben mehr als zehn Kandidaten-Vakzine in der klinischen Erprobung, von denen zumindest ein Kandidat ganz vielversprechend ist, die Impfung in den nächsten Jahren abzulösen“, sagt Prof. Christoph Lange. Dennoch brauche es dafür mehr Forschung und Bemühen. Derzeit erscheinen die Ziele der UN, Erkrankungen um 90 Prozent und Todesfälle durch die Tuberkulose um 95 Prozent zu reduzieren und die Epidemie bis 2035 zu beenden, noch in weiter Ferne.

Delia Friess