Schuldenbremse oder Nachhaltigkeit
Jeder weiß: Die Welt, wie sie ist, ist nicht nachhaltig. Nicht in Sachen Klima und Umwelt, aber auch nicht in Sachen Armut, Bildung und Ungleichheit. Um das zu ändern, braucht es Geld. Viel Geld. Sehr viel Geld sogar. Ohne geht es nicht. Ohne Geld lassen sich keine Windräder aufbauen, keine Schienen verlegen, keine Entwicklungshilfe zahlen und auch kein Bürgergeld finanzieren.
Also: reden wir über Geld. Und über Politik. Zwar erfordert Nachhaltigkeit auch, dass wir unser eigenes Geld nachhaltig ausgeben, aber in erster Linie ist die Politik gefragt. Nachhaltige Energie, ein gerechtes Steuersystem, ein starker Sozialstaat, ein inklusives Bildungssystem: all das erfordert politische Entscheidungen darüber, wofür wieviel Geld ausgegeben wird.
Mit Blick auf Deutschland muss man feststellen: Für viele Dinge könnte das Land mehr Geld gebrauchen. Die Infrastruktur ist in die Jahre gekommen, viele Wohnungen müssen gedämmt und neue Heizungen installiert werden, es gibt nicht genug Windräder und Stromnetze, viele Straßen und Brücken sind marode, vielerorts sind Schulgebäude in die Jahre gekommen, einige Kommunen haben nicht genug Unterkünfte für die Unterbringung von Geflüchteten und so weiter. Außerdem fehlen im ganzen Land zum Beispiel Lehr- und Pflegekräfte. Und da heute Welttag der sozialen Gerechtigkeit ist: Vielen Menschen mit kleinen Löhnen, kleinen Renten oder gar im Bezug von Bürgergeld hat die Inflation die Kaufkraft aufgefressen.
Hemmschuh Schuldenbremse
Alles gleichzeitig und sofort auf Vordermann zu bringen, das geht natürlich nicht. Politik ist ja kein Wünsch-dir-was. Aber: Wie viel wäre denn möglich? Wie ambitioniert kann eine Regierung sein? Nun, für Deutschland heißt die Antwort: Nur so ambitioniert wie es die Schuldenbremse zulässt. Vor wenigen Wochen beispielsweise hat die Ampel-Regierung im Haushalt viele Projekte gestrichen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Die steht schließlich in der Verfassung.
Die Schuldenbremse beschränkt die Neuverschuldung, das heißt: wie viel der Bund mehr ausgeben darf, als er an Steuern einnimmt. 2024 sind im Haushalt neue Schulden in Höhe von 39 Milliarden Euro geplant. Das ist genau so viel wie die Schuldenbremse erlaubt. Nämlich 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung und noch ein bisschen mehr, weil die deutsche Wirtschaft in der Krise ist. Wie sich das Bisschen berechnet, hängt von vielen Details ab (das erspare ich uns). Ausnahmen gibt es nur bei Naturkatastrophen und Notlagen, zum Beispiel die Corona-Krise, die Flut im Ahrtal oder der Ukraine-Krieg.
Wenn aber gerade keine Notlage (im Sinne der Schuldenbremse) herrscht, engt die Schuldenbremse die Spielräume der Regierung ein. Im Bundeshaushalt 2024 sind ihr zum Beispiel einige Förderprogramme für den Heizungstausch oder den Kauf von E-Autos zum Opfer gefallen, obwohl beides gut für die Nachhaltigkeit wäre. Auch hat die Regierung wegen der Schuldenbremse einige Steuern und Abgaben erhöht: auf Co2-Emissionen, auf Gaslieferungen oder auf Speisen im Restaurant zum Beispiel. Und das, obwohl all das den Alltag für viele Menschen teurer macht – und besonders Menschen mit kleinen Geldbeuteln empfindlich trifft.
Und Manches, was der Nachhaltigkeit dienen würde, kommt deshalb erst gar nicht auf den Tisch. Zum Beispiel ein großzügigeres BAföG um mehr Studierende zu unterstützen oder ein Klimageld, um die Teuerung durch den Co2-Preis zu kompensieren.
Die Schuldenbremse ist strenger als nötig
Dabei ist die Schuldenbremse sogar strenger als die europäischen Schuldenregeln. Die erlauben nämlich eine Neuverschuldung von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung, das wären rund sechs Milliarden Euro mehr für 2024. Und wenn der Schuldenstand unter 60 Prozent liegt, sehen die EU-Verträge sogar eine Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftsleistung vor, das wären dann fast 110 Milliarden Euro zusätzlich. Zur Einordnung: Derzeit steht Deutschland knapp über 60 Prozent.
Immer mehr Ökonominnen und Ökonomen fordern deshalb, die Schuldenbremse zu lockern. Die wichtigsten Wirtschaftsberaterinnen und Wirtschaftsberater der Bundesregierung zum Beispiel, auch genannt: die fünf Wirtschaftsweisen. Dort sind Ökonominnen und Ökonomen vertreten, die sowohl arbeitgebenden- als auch arbeitnehmenden Personen nahestehen. Die Schuldenbremse sei unnötig streng, sagen die Wirtschaftsweisen. Wenn man sie so lasse, wie sie heute ist, werde die Schuldenquote stärker sinken als nötig. Deshalb fordern sie, dass bei niedriger Schuldenquote mehr Schulden als die bisherigen 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung erlaubt sind. Konkret: die alte Grenze von 0,35 Prozent Neuverschuldung soll erst ab einer Schuldenquote von 90 Prozent greifen, darunter sollen 0,5 Prozent Neuverschuldung erlaubt sein und bei einer Schuldenquote von unter 60 Prozent sogar ein Prozent.
Ganz ähnlich äußert sich der internationale Währungsfonds (IWF). Die Vize-Chefin des IWF, Gita Gopinath, schlug neulich im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit vor, die Grenze der Neuverschuldung um einen Prozentpunkt zu erhöhen. Das wären rund 40 Milliarden Euro an zusätzlichem Spielraum und sogar mehr als das, was die Wirtschaftsweisen fordern. Eine Einzelmeinung in der Spitze des IWF ist das gewiss nicht.
Auch der IWF-Chefökonom, Pierre-Olivier Gourinchas, attestierte jüngst gegenüber dem Handelsblatt: „Deutschland zahlt den Preis für seine sehr harte Schuldenbremse“. Und weiter: „Der deutsche Schuldenstand ist völlig unter Kontrolle. Zugleich erhöht sich der strukturelle Ausgabenbedarf der Bundesrepublik, sei es beim Klimaschutz, der Verteidigungspolitik oder der Energieunabhängigkeit. Die beste Lösung wäre eine Lockerung dieser verfassungsrechtlichen Regelung.“
Nachhaltigkeit oder Schuldenbremse
Dass die Schuldenbremse zu streng ist, ist also längst keine Einzelmeinung mehr. Auch geht in der Debatte häufig die triviale Tatsache unter, dass unser Geld ja eine menschliche Erfindung und kein Naturgesetz ist. Anders als Gold oder Rohstoffe, die natürlich in der Menge begrenzt sind, ist Geld erst einmal unbegrenzt. Es entsteht per Mausklick am Computer (und wird danach manchmal als Bargeld gedruckt) und selbstverständlich kann ein Staat mehr von seiner eigenen Währung per Mausklick erzeugen. Auch hier sind die Details und die Regeln des Geldsystems sehr kompliziert, aber wichtig ist: Geld ist nicht per se knapp. Spielregeln wie die Schuldenbremse machen es aber knapp. In dem konkreten Fall sogar so knapp, dass die Nachhaltigkeitsziele darunter leiden.
Deshalb müssen wir uns entscheiden: Schuldenbremse oder Nachhaltigkeit. Beides zusammen wird eher schwierig!
Von Maurice Höfgen
Maurice Höfgen, 27, ist studierter Ökonom und Betriebswirt. Er ist Autor der Sachbücher »Teuer«, »Der neue Wirtschaftskrieg« und »Mythos Geldknappheit«. Außerdem ist er aktiv als YouTuber bei »Geld für die Welt« und »Jung und Naiv« sowie Kolumnist bei der Berliner Zeitung.