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Pat­riar­chat auf dem Tel­ler: Wie Ge­schlech­ter­un­gleich­heit die Er­nährung be­ein­flusst

Frauen sind stärker von Er­nährungs­un­sicher­heit betroffen als Männer. Verant­wortlich sind auch patriar­chale Normen. Inwiefern trägt die Überwin­dung der ge­schlechts­bedingten Ben­ach­tei­ligung zur Ernährungs­sicherheit bei?

Frauen auf einem Markt auf den Philippinen.

Frauen auf einem Markt auf den Philippinen. (Foto: David Guyler/Sunday market/CC BY-NC 2.0/flickr/cropped from original)

Auf der Welt würden 150 Millionen Menschen weniger hungern, wenn Frauen die gleichen Rechte hätten wie Männer. Der geschlechts­spezifische Unterschied in der Ernährungs­sicherheit hat sich von 2019 bis 2021 mehr als verdoppelt. Im Vergleich waren 126 Millionen Frauen mehr als Männer im Jahr 2021 mäßig oder stark von Ernährungs­unsicherheit betroffen. 

Laut der Ernährungs- und Land­wirtschafts­organi­sation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organisation – FAO) bedeutet Ernährungs­sicherheit, dass jederzeit die vier Aspekte der Ernährung — Verfügbarkeit, Zugang, Nutzung und Stabilität — gewähr­leistet sind. Für einen von elf Menschen weltweit sind diese Kriterien nicht ausreichend erfüllt. Nach UN-Berichten waren 2023 rund 733 Millionen Menschen von Hunger betroffen

Wie Ge­schlech­ter­un­gleich­heit und Er­näh­rungs­sicher­heit zu­sam­men­hän­gen

Dabei fällt auf: In Ländern mit den höchsten Hunger­quoten herrscht auch die größte Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. Beispielsweise sind Jemen und Tschad von sehr starkem Hunger betroffen und gleichzeitig die Staaten mit der global größten Ungleic­hheit zwischen den Geschlechtern. Es gibt verschiedene Ausprä­gungen davon, wie Geschlechter­ungleichheit und Ernährungs­sicherheit zusammen­hängen. Frauen sind stärker von Armut betroffen und erhalten für gleiche Arbeit immer noch geringeren Lohn als Männer (Gender Pay Gap). Beispielsweise sind Frauen im Bereich der Land­wirtschaft zwar stark vertreten, haben jedoch nur sehr geringe Chancen auf Kredite oder Landbesitz. Das wird auch als strukturelle Benach­teiligung bezeichnet. Frauen leiden außerdem mehr unter Krisen, wie klima­tischen Veränderungen oder kriege­rischen Aus­ei­nander­setzun­gen. 

Doch auch weniger bekannte Gründe spielen eine entscheidende Rolle, wie patria­rchale Normen und Verhaltens­muster. Das sind gesellschaf­tliche ‚Regeln‘ und Werte, die Frauen einen niedrigeren Status als Männern zuschreiben. Daraus wird ein ‚geringeres Anrecht‘ auf Nahrung für Frauen abgeleitet und es entstehen lang­fristige Ernährungs­muster, die auch als geschlechts­spezifische Ernährungs­gewohnheiten bezeichnet werden.

Die Ver­tei­lung von Nah­rungs­mit­teln in Haus­halten läuft Er­näh­rungs­be­dürf­nis­sen von Frauen zu­wider

Ein wichtiger Aspekt ist die Verteilung von Nahrungs­mitteln im Haushalt. Oftmals essen Frauen als letztes und am wenigsten, das heißt, männliche Familien­mitglieder werden bei der Verteilung von Nahrungs­mitteln bevorzugt. Beispiels­weise gaben in Libanon während der Covid-19-Pandemie 85 % der Frauen an, kleinere Portionen zu essen, aber nur 57 % der Männer. Auch bei der Qualität verzichten Frauen häufiger und schneller auf gesunde Nahrungs­mittel (66 % vs. 43 % der Männer). Ein solches Verhalten wird durch patriarchale Normen unterstützt und nicht in Frage gestellt. Dem zugrunde liegt der Mythos, dass Frauen weniger qualitativ hochwertige Nahrung benötigen, da sie körperlich weniger leistungsfähig sind und eine geringere Muskelmasse besitzen. Diese Annahme lässt die spezifischen Er­nährungs­bedürf­nisse von Frauen außer Acht. 

Tatsächlich benötigen insbesondere Frauen eine proteinreiche Ernährung mit vielen Mikronährstoffen und Mineralien. Laut der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation - WHO) wird aufgrund der Menstruation besonders viel Eisen und Folsäure benötigt, um Blutarmut (Anämie) vorzubeugen. Häufig weisen Frauen jedoch einen hohen Mangel an Mikronährstoffen und auf. Beispielsweise sind 48,1% der Frauen in Indien von Blutarmut betroffen. Während einer Schwanger­schaft sind außerdem viele Kalorien und Proteine wichtig. Frauen erhalten bei den Mahlzeiten im Schnitt aber weniger bis gar keine proteinreichen Nahrungsmittel (Fleisch, Fisch oder Eier). 

Diese Umstände verschärfen sich, je stärker patriarchale und kulturelle Gewohnheiten sind. Laut des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (United Nations Children's Fund - UNICEF) führt die traditionelle Arbeitsteilung im Haushalt – die ein Merkmal des Patriarchats ist – zu einem schlechteren Zugang von Frauen zu nähr­stoff­reicher Nahrung. Die fehlende Unter­stützung des Mannes im Haushalt und bei der Kinderbetreuung ist ein weiterer Grund für eine unzureichende Ernährung. Auch die Bewegungsfreiheit spielt eine große Rolle. Sind Frauen in ihrem Alltag stark eingeschränkt, verringert dies auch die Möglichkeit, vielfältige Lebensmittel zu beschaffen. Sogar die Anzahl sexualisierter Gewalttaten gegenüber Frauen steigt, wenn die Ernährungs­sicherheit nicht gegeben ist – psychologisch erklärt als Kompensation für nicht vorhandenes Essen. Laut UNICEF wird Ernährungs­unsicherheit häufig über Generationen hinweg weiter­gegeben. 

Der Weg zur Er­nährungs­sicherheit: Wie können wir alle satt wer­den?

Ein Baustein, um den Teufelskreis der Er­nährungs­unsicher­heit zu unterbrechen, ist gezielte Bildung. Studien der FAO zeigen, dass der Zugang zu Informationen die Ernährungs­gewohn­heiten verändert und damit einhergehend patriarchale Strukturen aufbrechen kann. Zum Beispiel sinkt in Haushalten, in denen Frauen berufstätig sind, die Wahrschein­lichkeit von Er­nährungs­unsicher­heit um 11,3 %. Der Zugang zu Informationen ermöglicht eine effektivere Nah­rungsmittel­produktion. 

Diesen Ansatz verfolgt ein Projekt, an dem UN Women in Kolumbien arbeitet: In Kursen lernen Frauen, wie sie Agrarflächen effizient bewirt­schaften können, sie werden ermächtigt, selbst über den Anbau und die Herstellung von Nahrungs­mitteln zu entscheiden. Hierdurch steigt die Er­nährungs­sicher­heit für diese Frauen. 

Ein weiteres Projekt von UN Women konzentriert sich auf den Rückgang geschlechts­spezifischer Gewalt, denn nachweislich steigt mit der Abnahme von Gewalt gegen Frauen auch die Ernährungs­sicherheit. Beide Projekte leisten somit Aufklärungs­arbeit in verschiedenen Bereichen geschlechts­bedingter Benach­teiligung. Das Auflösen patriarchaler Strukturen trägt also in vielerlei Hinsicht zur Ernährungs­sicherheit bei.

Ge­schlech­ter­gerech­tig­keit wirkt sich positiv auf andere Ziele für nach­haltige Entwick­lung aus

Doch das Überwinden patriarchaler Strukturen führt – über die Ernährungs­sicherheit hinaus – auch in anderen Bereichen nach­haltiger Entwicklung zu Fortschritten. Dies zeigt eine Überprüfung des Internatio­nalen Forschungs­instituts für Ernährungs­politik (International Food Policy Research Institute – IFPRI) die ergeben hat, dass sich Geschlechter­gerechtigkeit und andere Bereiche nach­haltiger Entwicklung gegenseitig positiv bedingen. 

Auch die 17 Ziele für nach­haltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) der Vereinten Nationen zeigen diese Verknüpfung auf. Die Ziele 2 ‘Kein Hunger’ und 5 ‚Ge­schlechter­gleichheit‘ verdeutlichen, dass patriar­chale Strukturen mit­verantwortlich für die wirtschaft­liche Abhängigkeit von Frauen sind und einen Ausstieg aus der Armut erschweren. Durch den Zugang und die gerechte Verteilung von Res­sourcen kann diesem Nachteil entgegen­gewirkt werden – das wiederum fördert das Ziel ,Weniger Ungleich­heiten‘. Eine höhere Er­nährungs­sicherheit trägt zu SDG 3 ‚Gesund­heit und Wohler­gehen‘ bei und fördert SDG 12 ‚Nach­haltige/r Konsum und Produktion‘. Projekte wie das von UN Women in Kolumbien setzen hier an und befähigen Frauen, mit ihrem regional-spezifischen Wissen selbst für ihre Ernährungssicherheit zu sorgen und Bewusstsein für verantwortungs­vollen Konsum und Nachhaltigkeit zu entwickeln. Dieser Zusammen­hang schafft eine neue Perspektive: patriarchale Strukturen müssen dringend aufgelöst werden, damit Er­nährungs­sicherheit gewähr­leistet ist und die Ziele für nach­haltige Entwick­lung erreicht werden können. 

Miriam Wiesenfarth

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