Kommunale Patenschaften in Pakistan: Verwaltungsaufbau nach deutschem Vorbild
Als am 25. April 1986 die erste innerdeutsche Städtepartnerschaft zwischen Eisenhüttenstadt und Saarlouis geschlossen wurde, war das eine kleine Sensation – ein sichtbarer Schritt in Richtung Annäherung, über die so lange in Deutschland gerungen wurde. Nach der Wende wurde dieses Modell weiter ausgebaut, und es entwickelte sich zu einer „Diplomatie von unten“, die eine kulturelle Wiedervereinigung unterstützte. Zusätzlich wurden Programme ins Leben gerufen, die einen administrativen Austausch zwischen Ost- und West-Kommunen förderten, um so das Verwaltungssystem in den fünf neuen Bundesländern an das der Bundesrepublik anzugleichen. Diese Erfahrung wird heute vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Pakistan zur Unterstützung einer Verwaltungsreform genutzt.
Die sieben Stammesgebiete entlang der nordwestlichen Grenze zu Afghanistan, die bis vor ein paar Jahren unter dem Namen FATA (Federally Administered Tribal Areas) bekannt waren, wurden schrittweise in die angrenzende Provinz Khyber Pakhtunkhwa integriert. Auch wenn dieser Prozess formal abgeschlossen ist, gibt es noch einige Herausforderungen. Die ehemalige FATA-Region galt lange als Hochburg bewaffneter Gruppen wie Al-Qaida und der pakistanischen Taliban (TTP). Fehlender staatlicher Einfluss begünstigte diese Entwicklung. Die Angliederung an die Nachbarprovinz sollte dies ändern und die politischen Strukturen an den Rest des Landes angleichen. Zum einen soll so die demokratische Teilhabe in der Region gestärkt werden, zum anderen soll diese von einer besseren Anbindung wirtschaftlich profitieren.
UNDP nutzt das Konzept der kommunalen Patenschaften
Das Konzept der Patenschaften, des sogenannten Twinnings, sieht vor, dass eine Modellkommune ihre Erfahrung an eine Partnergemeinde mit Lernbedarf weitergibt. Dazu werden Kommunen ausgesucht, die bereits heute über langjährige Erfahrung mit administrativen Prozessen und die nötigen personellen Ressourcen verfügen. Die Patenschaft soll den Aufbau des Verwaltungssystems in der Partnergemeinde befördern. Dies geschieht durch Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, regelmäßige Treffen der Pendants aus den Partnerbehörden und der Bereitschaft, jederzeit für Fragen aller Art zur Verfügung zu stehen. Dabei sollen vor allem Kapazitäten in den Bereichen Planung, Budget, Beschaffung, öffentliche Dienstleistungen und Steuereinnahmen geschaffen werden. Langfristig soll dies einen wesentlichen Beitrag zu stabilen staatlichen Strukturen und der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen, unter anderem in den Bereichen Gesundheit und Bildung, leisten.
Bei einem von UNDP organisierten Auftaktworkshop im Juli 2019 trafen sich erstmals Delegierte aus Regierung und Verwaltung der betroffenen Gemeinden. Im Zuge der genannten Reform wurden 25 Verwaltungseinheiten in der ehemaligen FATA-Region geschaffen. In vielen fehlen jedoch elementare Verwaltungsstrukturen und qualifiziertes Personal. Daher läuft aktuell eine Pilotphase, in der vier Distrikte dieses institutionalisierte Lernen testen. Wenn sich das Verfahren im pakistanischen Kontext bewährt, soll der Ansatz auf die restlichen 21 Distrikte ausgeweitet werden. Die Bundesregierung unterstützt die Arbeit von UNDP durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Mit dem durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanzierten FATA-Entwicklungsprogramm wird der Aufbau lokaler Verwaltungsstrukturen mit 17,5 Millionen Euro gefördert. Davon geht auch ein Teil an UNDP, was damit dem Aufbau der Städtepatenschaften zugutekommt.
Langfristige und nachhaltige Friedenssicherung
Die ehemaligen FATA-Gebiete blicken auf eine turbulente Geschichte: Auch nach Pakistans Unabhängigkeit im Jahr 1947 blieben in der Region Gesetze in Kraft, die aus der britischen Kolonialzeit stammten und ursprünglich als Provisorium gedacht waren. So konnten bis 2018 ganze Familien für die Taten einzelner Mitglieder bestraft werden. Dafür war noch nicht einmal ein ordentliches Gerichtsverfahren nötig, die Verurteilung erfolgte durch die Stammesältesten, die sogenannten Maliks. Die politische Macht lag hauptsächlich in der Hand dieser traditionellen Würdenträger, die regelmäßig in Ältestenräten zusammenkamen und als Bindeglied zwischen Stamm und staatlicher Verwaltung agierten.
Die Sondergesetze galten bis 2018, bis dahin unterschieden sich die rechtlichen Bestimmungen in der ehemaligen FATA-Region von den restlichen Provinzen des Landes – ein Vorteil für militante Gruppen, die es dadurch schafften, ihren Einfluss auszuweiten. Nachdem die Sowjetunion 1979 in Afghanistan einmarschiert war, formierte sich im folgenden Jahrzehnt großer Widerstand aus den FATA heraus. Die unter anderem von den USA finanzierten Gruppen fanden in den Stammesgebieten ein ideales Rekrutierungs- und Rückzugsgebiet. Dies rächte sich nach 2001, als die USA selbst zum Ziel von Angriffen wurden, die aus den Stammesgebieten vorbereitet und durchgeführt worden waren. Aufgrund der starken Präsenz von Al-Qaida und TTP führte das pakistanische Militär immer wieder großangelegte Operationen durch. Weltweite Aufmerksamkeit erregte 2011 die Erschießung von Osama bin Laden in Abbottadabad durch Spezialeinheiten der USA. Abbottabad liegt zwar nicht in den Stammesgebieten, doch in Khyber Pakhtunkhwa und damit genau in jener Provinz, mit der FATA 2018 fusioniert wurde.
Die Verwaltungsreform birgt die Chance, diese Vergangenheit hinter sich zu lassen. Durch demokratische Mitbestimmung und ökonomische Entwicklung sollen die Lebensbedingungen verbessert und die Region langfristig befriedet werden. Damit wird auch ein Beitrag zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung geleistet. Ziel 16 betont die Notwendigkeit effektiver staatlicher Strukturen, um Frieden und Gerechtigkeit zu fördern. UNDP arbeitet eng mit der pakistanischen Regierung zusammen, um diese Vision zu erreichen.
Thomas Spange