„Finanzierung ist zwar absolut essentiell, aber nicht ausreichend für effektive Anpassungsmaßnahmen“
Herr Neufeldt, was ist die Kernbotschaft des Adaptation Gap Reports 2024?
Zunächst einmal: Anpassung an den Klimawandel ist von entscheidender Bedeutung. Wir müssen natürlich die globalen Treibhausgasemissionen mindern und kurzfristig ist das auch das höchste Ziel - da muss viel mehr passieren. Aber gleichzeitig steigen die Effekte und Auswirkungen des Klimawandels. Die Menschen, die von den Wetterextremen betroffen sind, müssen zunehmend berücksichtigt werden. Letztlich hat das auch eine wirtschaftliche Relevanz. Wenn man sich auf Wetterextreme vorbereitet, sind die Schäden und Verluste, die beispielsweise mit extremer Trockenheit oder Hitzewellen verbunden sind, sehr viel niedriger. Deswegen ist Vorbereitung immens wichtig: Anpassungsmaßnahmen müssen im gleichen Maße zunehmen wie der Klimawandel zunimmt.
Der zweite Kernpunkt ist, dass insgesamt noch sehr viel mehr passieren muss. Wir wissen aus unserem Bericht, dass viel zu wenig hinsichtlich der Planung und der tatsächlichen Implementierung von Anpassungsmaßnahmen geschieht. Die Finanzierung von Maßnahmen, gerade im Globalen Süden, ist viel niedriger als das, was benötigt wird. Schließlich: Finanzierung ist zwar absolut essentiell, aber nicht ausreichend für effektive Anpassungsmaßnahmen. Dazu bedarf es auch besserer Kapazitätsbildung und besserer Nutzung und Verfügbarmachung von Technologien.
Gibt es denn spezifische geografische Regionen oder auch wirtschaftliche Sektoren, die besonders gut oder schlecht abschneiden?
Wir schauen im Bericht nicht spezifisch auf Regionen oder in Sektoren hinein. Es gibt aber natürlich Regionen, die als solche besonders stark vom Klimawandel betroffen sind. Das sind insbesondere höher gelegene Regionen. Der Klimawandel und auch seine Effekte sind einfach stärker in Gebieten wie der Arktis, der Tundra oder auch der Antarktis. Außerdem kann man insgesamt sagen, dass seltene oder vulnerable Ökosysteme wie tropische Korallenriffe besonders empfindlich gegenüber den steigenden Temperaturen und dem Klimawandel sind.
Und dann darf man nicht vergessen: Menschen, die ärmer sind, weniger angepasst sind, und in Ländern mit schwachen Strukturen leben, leiden viel mehr an den Folgen von Wetterextremen und dem Klimawandel. Bei gleicher Exponierung sind Menschen, die zu benachteiligten Gruppen gehören, stärker betroffen.
Zwischen den Sektoren zu unterscheiden ist immer schwierig. Der Landwirtschaftssektor in den Entwicklungsländern ist natürlich besonders anfällig für Klimawandelfolgen, weil ein Großteil der Menschen dort von der Landwirtschaft lebt. Dadurch dass die Landwirtschaft immens vom Klimawandel beeinflusst wird, sind Menschen in diesen Regionen besonders stark betroffen, wenn es zu Überflutungen und anderen Wetterextremen kommt.
Wie sehen Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel konkret aus?
In jedem Sektor sind Maßnahmen notwendig, um sich an die steigenden Klimaeffekte anzupassen. Im Landwirtschaftssektor könnte man sich überlegen, noch stärker Varietäten zu züchten - Pflanzen, Tiere - die besser an den Klimawandel und zukünftige Konditionen angepasst sind. Die Diversifizierung der landwirtschaftlichen Produktionssysteme ist eine andere Form, sich gegen die Klimawandeleffekte zu schützen. Bei Extremwetterereignissen ist dann nicht die gesamte Ernte betroffen, sondern nur ein Teil davon. Ein Beispiel sind Agroforstsysteme, die unter anderem den Anbau von Bäumen mit Ackerbau kombinieren und im Allgemeinen widerstandsfähiger gegen Klimaextreme sind als reine Ackersysteme.
In Küstenbereichen müssen Küstenschutzmaßnahmen ergriffen werden; dies können sowohl gebaute Schutzwälle als auch organische biologische Systeme wie Marschen oder Mangroven sein. Sie sorgen dafür, dass die Effekte von Stürmen, die jetzt in zunehmenden Maßen auftreten, geringer werden. In jedem Sektor muss letztlich analysiert werden, wo genau die Exponierung gegenüber den Klimaeffekten liegt, um sie dann so weit wie möglich zu mindern.
In vielen Entwicklungsländern kommt hinzu, dass die Strukturen häufig nicht so gut sind, dort muss dann auch an der Entwicklung von Governance, der Regierungsfähigkeit, und der Marktsysteme, gearbeitet werden, um sie zu stärken und insgesamt die Bevölkerung weniger anfällig gegenüber den Klimawandeleffekten und Maßnahmen zu machen.
Weltweit haben 171 Staaten mindestens ein nationales Planungsinstrument – politische Maßnahmen, eine Strategie oder einen Plan - zur Anpassung an den Klimawandel entwickelt. Wie effektiv sind diese Instrumente?
Es ist wichtig, dass Staaten Pläne erstellen und Strategien sowie Gesetze entwickeln, die dafür sorgen, dass der Klimawandel in den politischen Alltag integriert wird, denn das zeigt, dass der Staat den Klimawandel ernst nimmt. Innerhalb der Pläne gibt es aber deutliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Qualität, das muss man auch ganz klar sagen. Neuere Pläne verwenden häufig bessere Modelle und profitieren von der Erfahrung der letzten Dekade. Das zeigt die Notwendigkeit, diese Pläne und Anpassungsstrategien regelmäßig zu überarbeiten, um den sich ändernden Bedingungen gerecht zu werden.
Im Bericht wird festgestellt, dass im Jahr 2022 internationale öffentliche Finanzströme an sich entwickelnde Länder zur Anpassung an den Klimawandel im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen sind. Um 6 Milliarden US-Dollar, so viel wie nie zuvor seit dem Pariser Klimaabkommen, auf 28 Milliarden US-Dollar. Jährlich müssten aber nach den Schätzungen des Berichts 187 bis 359 Milliarden US-Dollar fließen. Gibt es überhaupt konkrete Finanzierungsmechanismen oder -modelle, um diese Lücke zu schließen?
Im Moment werden vor allem Beihilfen und Kredite für Klimawandelmaßnahmen für den Globalen Süden genutzt. Es gibt aber eine Menge Instrumente wie Risikofinanzierungen oder versicherungsrelevante Instrumente, die noch nicht ausprobiert worden sind, aber die Möglichkeit eröffnen würden, auch finanziell mehr beizutragen und bessere Konditionen zu erwirken. Beihilfen und Kredite, die auf Resilienz bezogen sind, können einen Beitrag leisten. Schuldenerlass gegen Klimamaßnahmen ist sicherlich ein ganz wichtiges Element, da könnte unglaublich viel gemacht werden.
Trotz dieser Unsicherheiten ist aber klar, dass da eine riesige Lücke klafft.
Ich denke außerdem an bestimmte Prozentsätze, die für Vielfliegen oder internationale Finanztransaktionen festgelegt werden könnten. Auf diese Weise würde man eine Menge Geld einwerben, das unter anderem auch für die Anpassung genutzt werden könnte.
Man darf nicht vergessen, dass auch die Geberländer gefordert sind, deutlich mehr zu tun. Denn letztlich sind die entwickelten Länder, der Globale Norden, hauptverantwortlich für die Situation, in der wir uns heute bewegen. Die Verantwortung und daraus entstehende Verpflichtung der Geberländer wurden innerhalb der internationalen UN-Klimakonferenz von allen Ländern akzeptiert. Die neuen Ziele, die jetzt bei der COP29 in Baku verhandelt worden sind, zeigen in die richtige Richtung, sind aber nicht einmal ansatzweise genug. Die Privatwirtschaft muss ebenfalls über politische Maßnahmen durch den Staat stärker eingebunden werden.
Und letztlich müssen die Länder selbst auch stärker in Anpassung investieren. Auch da gibt es einiges, was getan werden kann, was wir aber schlecht abschätzen können. Wir wissen einfach nicht genau, wie viel Geld von der Privatwirtschaft und wie viel aus nationalen Budgets in Anpassungen geht. Trotz dieser Unsicherheiten ist aber klar, dass da eine riesige Lücke klafft.
Gibt es Zielkonflikte zwischen der Finanzierung für Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels auf der einen und zur Anpassung an den Klimawandel auf der anderen Seite?
Die gibt es immer. Ein klassisches Beispiel ist, dass zunehmend Kühlung in Räumen aufgrund steigender Außentemperaturen notwendig ist, was mehr Energie erfordert – das ist natürlich nicht förderlich für die Minderung des Klimawandels. Das gilt auch, wenn regenerative Energien verwendet werden; dann steht diese bereitgestellte Energie für andere Prozesse nicht mehr zur Verfügung. Man kann aber statt auf Klimaanlagen auch auf passive Systeme, also bessere Baumaßnahmen und -standards, setzen, die die gleichen Effekte, aber nicht die negativen Auswirkungen haben. Letztlich muss es in allen Sektoren eine Diskussion geben, wie Anpassung und Minderung entstehen sollen, um Zielkonflikte zu vermeiden. Häufig gibt es auch Synergien zwischen Anpassung und Minderung. Diese Win-win-Situation sollte man auf jeden Fall versuchen zu optimieren, um dafür zu sorgen, dass die Zielkonflikte so gering wie möglich sind.
Es ist jedoch immer nur eine bestimmte Menge Geld verfügbar für Klimamaßnahmen. Bei manchen Entscheidungen kann das tatsächlich eine Rolle spielen. Die Finanzierungslücke für Klimamaßnahmen insgesamt ist viel größer als die für die Anpassung an den Klimawandel allein. Im Adaptation Gap Report schauen wir natürlich nur auf Anpassung. Für die Minderung des Klimawandels gibt es aber auch eine enorme Finanzierungslücke, die viel größer ist, und es ist zeitlich absolut dringend, dass sie sofort geschlossen wird. Je länger wir mit der Minderung des Klimawandels warten, desto größer sind die Anpassungskosten in der Zukunft.
Das Interview führte Sophie Humer-Hager, DGVN.