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„Fi­nan­zierung ist zwar absolut es­sentiell, aber nicht aus­reichend für effektive An­pas­sungs­maß­nahmen“

Dr. Henry Neufeldt, führender Wissenschaftler für den ‚Adaptation Gap Report‘ des UN-Umweltprogramms, erklärt im Interview wie sich Klimamaßnahmen für Anpassung und Minderung gegenseitig ergänzen können, teilweise aber auch zu Konflikten führen und wo wir insgesamt bei der Klimaanpassung stehen.

Henry Neufeldt steht am Mikrofon auf einem Podium der COP29 in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Foto: Henry Neufeldt

Herr Neufeldt, was ist die Kern­bot­schaft des Adaptation Gap Reports 2024?

Zunächst einmal: Anpassung an den Klimawandel ist von entschei­dender Bedeutung. Wir müssen natürlich die globalen Treib­haus­gas­emis­sionen mindern und kurz­fristig ist das auch das höchste Ziel - da muss viel mehr passieren. Aber gleichzeitig steigen die Effekte und Aus­wirkungen des Klima­wandels. Die Menschen, die von den Wetter­extremen betroffen sind, müssen zunehmend berück­sichtigt werden. Letztlich hat das auch eine wirt­schaft­liche Relevanz. Wenn man sich auf Wetter­extreme vorbereitet, sind die Schäden und Verluste, die beispielsweise mit extremer Trocken­heit oder Hitzewellen verbunden sind, sehr viel niedriger. Deswegen ist Vorbe­reitung immens wichtig: An­passungs­maß­nahmen müssen im gleichen Maße zunehmen wie der Klima­wandel zunimmt.

Der zweite Kern­punkt ist, dass insgesamt noch sehr viel mehr passieren muss. Wir wissen aus unserem Bericht, dass viel zu wenig hin­sich­tlich der Pla­nung und der tatsächlichen Imple­mentierung von An­pas­sungs­maß­nah­men geschieht. Die Finan­zierung von Maßnahmen, gerade im Globalen Süden, ist viel niedriger als das, was benötigt wird. Schließlich: Finanzierung ist zwar absolut essentiell, aber nicht ausreichend für effektive An­pas­sungs­maß­nahmen. Dazu bedarf es auch besserer Kapa­zitäts­bildung und besserer Nutzung und Verfügbar­machung von Techno­logien. 

Gibt es denn spezi­fische geo­grafische Regionen oder auch wirt­schaft­liche Sektoren, die besonders gut oder schlecht abschneiden?

Wir schauen im Bericht nicht spezifisch auf Regionen oder in Sektoren hinein. Es gibt aber natürlich Regionen, die als solche besonders stark vom Klima­wandel betroffen sind. Das sind insbe­sondere höher gelegene Regionen. Der Klima­wandel und auch seine Effekte sind einfach stärker in Gebieten wie der Arktis, der Tundra oder auch der Antarktis. Außerdem kann man insgesamt sagen, dass seltene oder vul­nerable Öko­systeme wie tropische Koral­lenriffe besonders empfindlich gegenüber den steigenden Temperaturen und dem Klimawandel sind. 

Und dann darf man nicht vergessen: Menschen, die ärmer sind, weniger angepasst sind, und in Ländern mit schwachen Strukturen leben, leiden viel mehr an den Folgen von Wetter­extremen und dem Klimawandel. Bei gleicher Expo­nierung sind Menschen, die zu benach­teiligten Gruppen gehören, stärker betroffen.

Zwischen den Sektoren zu unterscheiden ist immer schwierig. Der Land­wirt­schafts­sektor in den Ent­wick­lungs­ländern ist natürlich besonders anfällig für Klima­wandel­folgen, weil ein Großteil der Menschen dort von der Land­wirtschaft lebt. Dadurch dass die Land­wirtschaft immens vom Klima­wandel beeinflusst wird, sind Menschen in diesen Regionen besonders stark betroffen, wenn es zu Über­flutungen und anderen Wetter­extremen kommt.

Wie sehen An­passungs­maß­nahmen an den Klimawandel konkret aus?

In jedem Sektor sind Maßnahmen notwendig, um sich an die steigenden Klima­effekte anzupassen. Im Land­wirtschafts­sektor könnte man sich überlegen, noch stärker Varie­täten zu züchten - Pflanzen, Tiere - die besser an den Klima­wandel und zukünftige Konditionen angepasst sind. Die Diver­sifizie­rung der land­wirt­schaft­lichen Produktions­systeme ist eine andere Form, sich gegen die Klima­wandel­effekte zu schützen. Bei Extrem­wetter­ereig­nissen ist dann nicht die gesamte Ernte betroffen, sondern nur ein Teil davon. Ein Beispiel sind Agro­forst­sys­teme, die unter anderem den Anbau von Bäumen mit Acker­bau kombinieren und im Allgemeinen wider­standsfähiger gegen Klima­extreme sind als reine Ackersysteme. 

In Küsten­bereichen müssen Küsten­schutz­maß­nahmen ergriffen werden; dies können sowohl gebaute Schutzwälle als auch organische biologische Systeme wie Marschen oder Mangroven sein. Sie sorgen dafür, dass die Effekte von Stürmen, die jetzt in zunehmenden Maßen auftreten, geringer werden. In jedem Sektor muss letztlich analysiert werden, wo genau die Expo­nierung gegenüber den Klima­effekten liegt, um sie dann so weit wie möglich zu mindern.

In vielen Ent­wick­lungs­ländern kommt hinzu, dass die Strukturen häufig nicht so gut sind, dort muss dann auch an der Entwicklung von Governance, der Re­gierungs­fähigkeit, und der Markt­systeme, gearbeitet werden, um sie zu stärken und insgesamt die Bevölkerung weniger anfällig gegenüber den Klima­wandel­ef­fekten und Maßnahmen zu machen.

Weltweit haben 171 Staaten min­destens ein nationales Pla­nungs­instru­ment – politische Maß­nahmen, eine Strategie oder einen Plan - zur Anpassung an den Klima­wandel entwickelt. Wie effektiv sind diese Instru­mente?

Es ist wichtig, dass Staaten Pläne erstellen und Strategien sowie Gesetze entwickeln, die dafür sorgen, dass der Klima­wandel in den politischen Alltag integriert wird, denn das zeigt, dass der Staat den Klima­wandel ernst nimmt. Innerhalb der Pläne gibt es aber deutliche Unter­schiede hinsichtlich ihrer Qualität, das muss man auch ganz klar sagen. Neuere Pläne verwenden häufig bessere Modelle und profitieren von der Erfahrung der letzten Dekade. Das zeigt die Not­wen­digkeit, diese Pläne und An­pas­sungs­strategien regelmäßig zu überarbeiten, um den sich ändernden Bedin­gungen gerecht zu werden.

Im Bericht wird fest­ge­stellt, dass im Jahr 2022 inter­natio­nale öffentliche Finanz­ströme an sich entwickelnde Länder zur Anpassung an den Klima­wandel im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen sind. Um 6 Milliarden US-Dollar, so viel wie nie zuvor seit dem Pariser Klima­abkommen, auf 28 Milliarden US-Dollar. Jährlich müssten aber nach den Schätzungen des Berichts 187 bis 359 Milliarden US-Dollar fließen. Gibt es überhaupt konkrete Fi­nan­zie­rungs­mecha­nismen oder -modelle, um diese Lücke zu schließen?

Im Moment werden vor allem Beihilfen und Kredite für Klima­wan­del­maß­nahmen für den Globalen Süden genutzt. Es gibt aber eine Menge Instrumente wie Risiko­finan­zie­rungen oder ver­siche­rungs­rele­vante Instrumente, die noch nicht ausprobiert worden sind, aber die Möglichkeit eröffnen würden, auch finanziell mehr beizutragen und bessere Konditionen zu erwirken. Beihilfen und Kredite, die auf Resilienz bezogen sind, können einen Beitrag leisten. Schulden­erlass gegen Klima­maßnahmen ist sicherlich ein ganz wichtiges Element, da könnte unglaublich viel gemacht werden. 

Trotz dieser Unsicherheiten ist aber klar, dass da eine riesige Lücke klafft.

Ich denke außerdem an bestimmte Prozentsätze, die für Vielfliegen oder internationale Finanz­trans­aktionen festgelegt werden könnten. Auf diese Weise würde man eine Menge Geld einwerben, das unter anderem auch für die An­passung genutzt werden könnte. 

Man darf nicht vergessen, dass auch die Geber­länder gefordert sind, deutlich mehr zu tun. Denn letztlich sind die entwickelten Länder, der Globale Norden, haupt­verant­wortlich für die Situation, in der wir uns heute bewegen. Die Verantwortung und daraus entstehende Verpflichtung der Geberländer wurden innerhalb der internationalen UN-Klimakonferenz von allen Ländern akzeptiert. Die neuen Ziele, die jetzt bei der COP29 in Baku verhandelt worden sind, zeigen in die richtige Richtung, sind aber nicht einmal ansatzweise genug. Die Privatwirtschaft muss ebenfalls über politische Maßnahmen durch den Staat stärker eingebunden werden.

Und letztlich müssen die Länder selbst auch stärker in Anpassung investieren. Auch da gibt es einiges, was getan werden kann, was wir aber schlecht abschätzen können. Wir wissen einfach nicht genau, wie viel Geld von der Privatwirtschaft und wie viel aus nationalen Budgets in Anpassungen geht. Trotz dieser Unsicherheiten ist aber klar, dass da eine riesige Lücke klafft.

Gibt es Zielkonflikte zwischen der Finanzierung für Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels auf der einen und zur Anpassung an den Klimawandel auf der anderen Seite? 

Die gibt es immer. Ein klassisches Beispiel ist, dass zunehmend Kühlung in Räumen aufgrund steigender Außen­tempe­raturen notwendig ist, was mehr Energie erfordert – das ist natürlich nicht förderlich für die Minderung des Klima­wandels. Das gilt auch, wenn rege­nerative Energien verwendet werden; dann steht diese bereit­gestellte Energie für andere Prozesse nicht mehr zur Verfügung. Man kann aber statt auf Klima­anlagen auch auf passive Systeme, also bessere Bau­maß­nahmen und -standards, setzen, die die gleichen Effekte, aber nicht die negativen Aus­wir­kungen haben. Letztlich muss es in allen Sektoren eine Diskussion geben, wie Anpassung und Minderung entstehen sollen, um Ziel­konflikte zu vermeiden. Häufig gibt es auch Synergien zwischen Anpassung und Minderung. Diese Win-win-Situation sollte man auf jeden Fall versuchen zu optimieren, um dafür zu sorgen, dass die Zielkonflikte so gering wie möglich sind.

Es ist jedoch immer nur eine bestimmte Menge Geld verfügbar für Klima­maßnahmen. Bei manchen Ent­schei­dungen kann das tatsächlich eine Rolle spielen. Die Finanzierungslücke für Klimamaßnahmen insgesamt ist viel größer als die für die Anpas­sung an den Klima­wandel allein. Im Adap­tation Gap Report schauen wir natürlich nur auf Anpassung. Für die Minderung des Klimawandels gibt es aber auch eine enorme Finan­zie­rungs­lücke, die viel größer ist, und es ist zeitlich absolut dringend, dass sie sofort geschlos­sen wird. Je länger wir mit der Minderung des Klima­wandels warten, desto größer sind die An­pas­sungs­kos­ten in der Zukunft.

Das Interview führte Sophie Hu­mer-Hager, DGVN.

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