Entwicklung finanzieren ohne die USA: Die UN-Mitgliedstaaten wollen es auch so schaffen
„Erlasst die Schulden“, „besteuert die Superreichen“ und „ändert das System“ – diese Forderungen standen auf den bunten Bannern und Plakaten der Demonstrierenden, die am 3. Juli auf der vierten internationalen Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD4) öffentlich Kritik übten. Es war der erste Protest auf dem Konferenzgelände; am letzten Tag der Konferenz, als sich die Hallen schon allmählich zu leeren begannen. Vier Tage lang tagten Vertreterinnen und Vertreter fast aller UN-Mitgliedstaaten im spanischen Sevilla. Die US-amerikanische Delegation war jedoch gar nicht erst angereist, nachdem sie schon bei dem letzten Vorbereitungstreffen in New York – kurz vor der Abstimmung über das Abschlussdokument – den Saal verlassen hatte.
Das Ziel der Konferenz, die Finanzierung von nachhaltiger Entwicklung langfristig zu sichern, ist ohne die USA zwar ambitionierter, aber nicht weniger dringend. Denn die Herausforderungen sind enorm: Jährlich fehlen vier Billionen US-Dollar, um die Ziele für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs) bis 2030 zu erreichen. Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung leben in hochverschuldeten Ländern, die mehr Geld für Zinszahlungen als für Gesundheit oder Bildung ausgeben. Und fast keines der Länder des Globalen Nordens hält sich an das Ziel, 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens in Entwicklungszusammenarbeit zu stecken.
Streitpunkt Schulden
Das Abschlussdokument, übersetzt das ‚Versprechen von Sevilla‘, wurde bereits am 17. Juni im Konsens ohne die USA beschlossen und am ersten Tag der Konferenz offiziell verabschiedet. UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnete es als „globales Bekenntnis, die Unterstützung für Länder auf ihrem Entwicklungsweg neu aufzustellen“. Kritik kommt vor allem aus der Zivilgesellschaft. Bodo Ellmers, Geschäftsführer des Global Policy Forum Europe, sieht in dem Dokument „eine sehr vage Absichtserklärung“. Durch das Dokument selbst sei die SDG-Finanzierungslücke keinen einzigen Euro kleiner geworden. Die Beschlüsse müssten noch operationalisiert und umgesetzt werden. „Wenn die Umsetzung nicht vorangetrieben wird, war die Konferenz eher Prokrastination als Lösung", sagt Ellmers.
Die höchsten Erwartungen an die Konferenz galten dem Umgang mit der hohen Verschuldung vieler Länder des Globalen Südens. Diese hatten gefordert, innerhalb der UN klare Richtlinien zum Umgang mit Staatsschulden zu erarbeiten – eine Art Insolvenzverfahren für Staaten. Stattdessen ist im Abschlussdokument davon die Rede, einen „zwischenstaatlichen Prozess bei den UN einzuleiten“ und „Empfehlungen abzugeben“.
Befürworter einer UN-Rahmenkonvention über Staatsschulden hatten sich mehr Entschlossenheit gewünscht. Allerdings wäre hochverschuldeten Ländern damit nicht unbedingt geholfen, findet Kathrin Berensmann vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS): „Vor dem Hintergrund der derzeitigen geopolitischen Spannungen halte ich es für unmöglich, jetzt ein komplett neues und so komplexes Instrument zu etablieren.“ Sinnvoller sei es, einen bereits bestehenden Mechanismus, der 2020 von den G20-Staaten initiiert wurde, zu reformieren. „Wir müssen ja vorankommen. Hochverschuldete Länder müssen zeitnah eine Umstrukturierung, manche sogar einen Schuldenerlass, bekommen –nicht erst in den nächsten zehn Jahren.“
Klima und Frauen als Seitenaspekte
Schnelle Lösungen für hochverschuldete Länder des Globalen Südens sind umso wichtiger, damit diese in Klimaschutz und -anpassung investieren können. Die UN-Mitgliedstaaten erkennen dies im Abschlussdokument an. Sie wollen es hochverschuldeten Ländern ermöglichen, ihre Zins- und Tilgungszahlungen zeitweise auszusetzen, wenn sie von klimawandelbedingten Schocks getroffen werden. Auf private Kreditgeber haben die UN zwar keinen direkten Einfluss. Aber die Mitgliedstaaten wollen sie ermutigen, diese Klausel ebenfalls anzuwenden. Zu Klimafinanzierung fehlen im Abschlussdokument hingegen konkrete Beschlüsse, kritisieren NGOs. Abgaben innerhalb von klimaschädlichen Sektoren, wie einige Länder sie vorgeschlagen hatten, sind ebenfalls nicht zu finden.
Auf der Konferenz thematisierten mehrere Nebenveranstaltungen, meistens von zivilgesellschaftlichen Gruppen organisiert, die disproportionalen Auswirkungen von fehlenden Entwicklungsgeldern auf Frauen und Mädchen. Kürzungen von Projekten zur Gesundheitsversorgung oder Bildung treffen Frauen und Mädchen am härtesten – bis zu Schulabbrüchen oder Zwangsehen. Das Abschlussdokument enthält zwar Absichtserklärungen zu Care-Arbeit und Gleichstellung, doch es fehlen verbindliche Maßnahmen. Immerhin stehen Begriffe wie ‚Gender‘ und ‚geschlechtsspezifische Gewalt‘ überhaupt im Text – die USA hatte sich dagegen eingesetzt.
Ein Signal für Multilateralismus?
Die Rednerinnen und Redner auf der Konferenz zeigten sich einig, dass die Weltlage schwierig ist. Das Wort ‚USA‘ fiel allerdings so gut wie gar nicht. Bei vielen in Sevilla beschlossenen Vorhaben bleibt es offen, inwieweit sie ohne die Unterstützung der USA umgesetzt werden können. Denn die UN haben kein Mandat für Reformen, die Finanzinstitutionen wie den Internationalen Währungsfonds (IMF) oder die Weltbank betreffen. Die USA könnten diese durch ihren hohen Anteil an Stimmrechten in diesen Institutionen blockieren. Beobachter sehen die Verabschiedung des ‚Versprechen von Sevilla‘ dennoch als Signal dafür, dass die internationale Gemeinschaft weiterhin zusammenarbeitet. Schließlich könne man den Prozess nicht einfach abbrechen, nur weil die USA nicht dabei sind, findet Kathrin Berensmann: „Das ist einer der wenigen multilateralen Prozesse, die es überhaupt noch gibt. Jetzt erst recht!“
Nach der Konferenz stehen konkrete Schritte an, um die Beschlüsse umzusetzen. Über die ‚Sevilla Platform for Action‘ können Länder und weitere Akteure Koalitionen der Willigen bilden. Sie haben jetzt schon 130 Initiativen gestartet, um über Steuern und andere Mechanismen dringend benötigtes Geld zur Verfügung zu stellen. Jetzt kann die Arbeit richtig losgehen.
Marlene Jacobsen