Der Schutz der Arten geht uns alle an
Um das Bewusstsein für den Artenschutz zu fördern, haben die Vereinten Nationen den 22. Mai zum Internationalen Tag der biologischen Vielfalt erklärt. Der Tag erinnert an den 22. Mai 1992, an dem Tag einigten sich die Staaten über den Text der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt. Auf der wegweisenden „Rio-Konferenz“ im Juni desselben Jahres wurde das Abkommen angenommen. Seither haben 196 Staaten – darunter auch Deutschland – die Biodiversitätskonvention unterzeichnet. Die drei wesentlichen Ziele des Abkommens sind der Erhalt und eine nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt. Außerdem sollen Gewinne, die aus der Nutzung der Artenvielfalt zustande kommen, gerecht aufgeteilt werden.
2024 steht der Tag der Biodiversität unter dem Motto "Sei Teil des Plans". Das soll ein Appell zum Handeln sein. Regierungen, lokale Gemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und jeder Einzelne sind aufgerufen, die Umsetzung des Biodiversitätsplan von Kunming-Montreal zu unterstützen. „Die Natur steckt in einer Krise. Doch das können wir umkehren, aber wir müssen jetzt handeln“, sagte Inger Andersen, Exekutivdirektion des UN-Umweltprogramms UNEP. Der weltweite Biodiversitätsplan sei die Blaupause für die Umsetzung dieser Veränderung.
Bis 2030 sollen 30 Prozent der Erde geschützt sein
Vor fast zwei Jahren, im Dezember 2022, hatten sich die Vertragsstaaten der Konvention auf den „Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal“ geeinigt. Wesentliches Ziel des Abkommens ist es, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche der Erde bis 2030 zu Schutzgebieten zu erklären. Das soll gewährleisten, dass das massenhafte Aussterben von Pflanzen- und Tierarten bis 2030 gestoppt wird.
Auch Deutschland sollte mehr Flächen unter Schutz stellen. Auf den ersten Blick steht Deutschland gut da. 37 Prozent der Flächen bundesweit sind unter Schutz gestellt. Doch den bedrohten Arten hilft das nicht, denn häufig sind die Anforderungen nicht allzu streng. So sind in etlichen geschützten Flächen Eingriffe durch den Menschen weitgehend erlaubt. In den Natura-2000-Gebieten, die auf Grundlage der Flora-Habitat-Richtlinie der EU sowie der Vogelschutzrichtlinie eingerichtet wurden, darf herkömmliche Land- und Fortwirtschaft ausgeübt werden. Diese Schutzgebiete umfassen in Deutschland 15,5 Prozent der Fläche an Land und rund 45 Prozent der Meeresfläche.
Deutschland kommt seiner Verpflichtung nicht nach
Strengen Schutz gewährleisten lediglich Nationalparks und Naturschutzgebiete. In diesen Gebieten steht der Naturschutz über Bedürfnissen von Menschen. Landwirtschaftliche Nutzung ist beispielsweise untersagt. Allerdings sind die Flächen mit hohem Schutzfaktor für die Natur in Deutschland rar. 0,6 Prozent der Fläche Deutschland sind als Nationalpark ausgewiesen, Naturschutzgebiete nehmen 6,3 Prozent der Fläche Deutschlands ein. Welche Zahl auch angelegt wird, beim Ausweisen von geschützten Flächen hat Deutschland noch reichlich Luft nach oben.
Deutschland ist kein Einzelfall, auch andere Länder tun sich schwer damit, die Vielfalt der Arten zu erhalten. Seit Jahren bekommt die Menschheit das Problem nicht in den Griff. 2010 hatten die Vertragsstaaten der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt einen „strategischen Plan“ zum Erhalt der biologischen Vielfalt beschlossen, der bis 2020 erreicht werden sollten. Doch das Ergebnis war ernüchternd: Keines der sogenannten „Aichi-Ziele“ wurde erreicht. Auch in Deutschland ist da keine Ausnahme. Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) gibt es hierzulande als 71.500 Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Etwa 9.000 davon gelten als bestandsgefährdet.
Studien verdeutlichen die Geschwindigkeit des Artenschwunds
Wie dramatisch die Situation weltweit ist, zeigte ein umfangreicher Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES, der 2019 veröffentlicht wurde. Demnach habe sich die Artendichte an Land durch den Einfluss des Menschen um mindestens 20 Prozent verringert. Eine von acht Millionen Arten seien vom Aussterben bedroht – so viele wie noch nie in der Menschheitsgeschichte.
Eine neuere Studie zeichnet ein düsteres Bild. Rund zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten seien gefährdet – also doppelt so viele wie bislang angenommen. Der Studie zufolge, die auf Daten der Roten Liste der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN) basiert und im Fachmagazin „PLOS One“ veröffentlicht wurde, sind in Europa rund 27 Prozent der Pflanzen, 24 Prozent der wirbellosen Tiere und 18 Prozent der Wirbeltiere bedroht. Die höheren Zahlen erklären die Forschenden mit neuen und genaueren Informationen. Bei etlichen Arten, wie den Wirbellosen, gebe es große Datenlücken.
Dass immer mehr Arten aussterben, liegt an einem Bündel an Ursachen. Eine große Rolle spielt menschliches Handeln. Die intensive Nutzung von Landflächen und Meeren etwa durch Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei lässt Ökosysteme degradieren, sodass die Lebensräume verschiedener Arten schrumpfen oder ganz zerstört werden. Dass die ausgewiesenen Schutzgebiete häufig räumlich zersplittert und keine Verbindung untereinander haben, verschärft das Problem weiter, da Rückzugsgebiete für Arten immer weniger werden. Auch eine Verschmutzung belastet die Ökosysteme und kann die Artenvielfalt beeinträchtigen. Der vom Menschen verursachte Klimawandel führt zu einer extrem schnellen Veränderung der Habitate, sodass sich Arten oft nicht anpassen können. Invasive Arten stehen in Konkurrenz um Ressourcen und Lebensraum mit den natürlich vorkommenden Arten, sodass es zu einer weiteren Verdrängung von Arten kommen kann.
In regelmäßigen Abständen treffen sich die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention, um das Vorankommen beim Schutz der Artenvielfalt zu diskutieren. Das nächste Treffen steht Ende Oktober 2024 an. Auf der 16. Vertragsstaatenkonferenz (COP 16) wollen die Staaten Bilanz ziehen, wie gut die Umsetzung des Plans von Kunming-Montreal in konkrete nationale Maßnahmen gelingt und wo das Geld zur Finanzierung des Artenschutzes herkommen soll. Auch soll ein Mechanismus, der die gerechte Beteiligung an der Nutzung der genetischen Vielfalt sicherstellt, entwickelt werden.
Sandra Kirchner