Menü

UN-Biodiversitätsgipfel soll Artensterben stoppen

Fast ein Drittel aller Tiere und Pflanzen sind vom Aussterben bedroht, mehr Engagement beim Schutz ist dringend nötig. Im Dezember tagt der Biodiversitätsgipfel der Vereinten Nationen im kanadischen Montreal. Wird es gelingen, ein verbindliches Abkommen zum Erhalt der Artenvielfalt zu schließen?

Eine große Landschildkröte auf einer grünen Wiese
Auch der Lebensraum dieser kenianische Schildkröte wird immer kleiner. (UN Photo)

Wer Feldhamster, Gartenschläfer, Bekassine, Würfelnatter, Flussperlmuschel, Flammen-Adonisröschen oder Brockenanemone in Deutschland finden möchte, muss Glück haben: All diese Arten sind vom Aussterben bedroht. Sie stehen auf der Roten Liste gefährdeter Arten, die auf das Risiko des Verschwindens hinweist. Wenn eine Art verloren geht, wirkt sich das auf das gesamte Ökosystem aus. Es kann andere Arten schwächen und das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringen.

Derzeit stehen weltweit mehr als 147.500 Arten auf der Roten Liste der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur (IUCN), wobei mehr als 41.000 Arten vom Aussterben bedroht sind – davon 41 Prozent der Amphibien, 38 Prozent der Haie und Rochen, 34 Prozent der Nadelbäume, 33 Prozent der riffbildenden Korallen, 27 Prozent der Säugetiere und 13 Prozent der Vögel.

Die Rote Liste gilt als wichtiger Indikator für den Zustand der weltweiten biologischen Vielfalt. Von Jahr zu Jahr wird die Liste länger. Dennoch sind sich Fachleute sicher, dass die Liste nur einen kleinen Anteil der vom Aussterben bedrohten Arten erfasst.

Artenverlust größer als vermutet

Fast ein Drittel aller Pflanzen und Tiere ist vom Aussterben bedroht. Das ergab eine Befragung der Universitäten Minnesota und Leipzig von mehr als 3.000 Experten und Expertinnen, die im Sommer 2022 veröffentlicht wurde. Das ist weit mehr als der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) zuletzt 2019 in seinem Report zur biologischen Vielfalt ermittelt hatte, demnach könnten bis zu eine Million Pflanzen- und Tierarten in den kommenden Jahrzehnten aussterben. Die Annahmen des IPBES beruhten vor allem auf wenigen, gut dokumentierten Ökosystemen wie jenen in Europa. Für die Befragung der Universität Minnesota wurden jedoch mehr Fachleute aus dem globalen Süden herangezogen.

Eine 180-Grad-Wende ist überfällig, um den Verlust der Arten zu stoppen. Einleiten soll die Kehrtwende der Biodiversitätsgipfel, der vom 7. bis. 19. Dezember im kanadischen Montreal stattfindet. Auf der Konferenz sollen die 196 Mitgliedsländer der UN-Artenschutzkonvention CBD neue Ziele für den Arten- und Naturschutz beschließen.

Entwurf für Artenschutzabkommen noch mit vielen Fragezeichen

Die Delegierten stehen vor einer Mammutaufgabe – und ob das gelingt, ist keineswegs ausgemacht. „Es wird nicht einfach sein“, sagt Elizabeth Mrema, Exekutivsekretärin der Biodiversitätskonvention der Vereinten Nationen. Es werde harte Arbeit erfordern, die Verhandlungen zum Abkommen abzuschließen. Noch immer sind viele Details nicht geklärt, zu viele Punkte offen, bei denen die Länder bislang keinen Konsens erzielt haben. Noch enthält der Entwurf für das Abkommen mehr als 900 eckige Klammern.

Weniger als zwei Wochen bleiben den Delegierten, um die strittigen Fragen aus der Welt zu schaffen. Nur zwei der geplanten 22 Ziele haben keine Klammern. Dabei geht es darum, wieviel Fläche künftig unter Naturschutz gestellt werden soll. Eine Koalition von 114 ambitionierten Ländern – unter dem Vorsitz von Costa Rica und Frankreich – sprechen sich dafür aus, dass 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz gestellt werden sollen. Insbesondere Gebiete mit hohem Artenreichtum – wie etwa der Atlantische Regenwald oder der Cerrado in Brasilien, das Horn von Afrika oder der Himalaya – sollen künftig besser geschützt werden. Eine von Großbritannien angeführte Allianz macht sich vor allem für den Schutz der Weltmeere stark.

Die Rolle der Indigenen beim Artenschutz stärken

Beim Biodiversitätsgipfel wird es auch darum gehen, welche Rolle indigene Völker beim Naturschutz spielen sollen. Naturschutzorganisationen sprechen sich dafür aus, dass Indigene stärker eingebunden werden und Zugang zu Finanzmitteln erhalten sollen. Häufig sind Territorien mit indigener Bevölkerung Hotspots der Biodiversität. „Die indigenen Völker Kanadas können auf eine lange Erfolgsgeschichte beim Schutz der Natur zurückblicken, die weltweit von Bedeutung ist“, sagt Valérie Courtois, Geschäftsführerin der kanadischen Indigenen-Organisation Indigenous Leadership Initiative. Sie wüssten, dass das menschliche Überleben von gesunden Ökosystemen abhänge.

Außerdem geht es natürlich auch ums Geld. 200 Milliarden US-Dollar sollen jedes Jahr für den Erhalt der Artenvielfalt ausgegeben werden. Davon sollen nach Vorschlag des Sekretariats der Biodiversitätskonferenz mindestens zehn Milliarden US-Dollar jährlich in Länder des globalen Südens fließen.

Nach Schätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden jährlich zwischen 78 und 91 Milliarden US-Dollar für den Erhalt der Artenvielfalt ausgegeben. Die bisherigen Finanzmittel müssen sich demnach mehr als verdoppeln. „Es wird viele Milliarden Euro kosten, die neuen Biodiversitätsziele umzusetzen“, ist sich Yves Zinngrebe, Politologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, sicher. Es werde wichtig sein, welche konkreten Maßnahmen und Initiativen dann umgesetzt werden. „Eines der größten Potenziale liegt gerade im Nichtausgeben von Geld – etwa für schädliche Subventionen in Bau und Infrastruktur, Entwicklungshilfe oder Agrarpolitik“, sagt Zinngrebe weiter.

Umweltschädliche Investitionen müssen deutlich sinken

Jedes Jahr geben die Staaten weltweit etwa 500 Milliarden US-Dollar für Maßnahmen aus, die die Biodiversität schädigen. Das sei fünf- bis sechsmal mehr als die Gesamtausgaben für Artenvielfalt. Zudem könnten die Ausgaben inklusive öffentlicher und privater Gelder – nach Schätzung der OECD – um ein Vielfaches höher sein.

Trotz der wenig rosigen Vorzeichen hofft CBD-Generalsekretärin Elizabeth Mrema auf einen erfolgreichen Gipfel. „Wir brauchen einen Paris-Moment bei den Verhandlungen”, sagt Mrema. Damit spielt die Anwältin aus Tansania auf den Weltklimagipfel in der französischen Hauptstadt an, bei dem es 2015 gelang, ein internationales Abkommen für den Klimaschutz abzuschließen.

Um den Verlust der Arten zu stoppen, ist ein solches Abkommen dringend notwendig. Beim Schutz der Biodiversität geht es viel zu langsam voran. 2010 wurden die sogenannten „Aichi-Ziele“ zum Artenschutz geschlossen, die bis 2020 erreicht werden sollten. Allerdings wurde keines der Ziele erreicht. Eigentlich sollte schon 2020 im chinesischen Kunming eine Nachfolge-Vereinbarung getroffen werden, diese wurde aufgrund der Corona-Pandemie mehrfach verschoben. Der Verhandlungsteil der Artenschutzkonferenz fand im vergangenen Oktober hauptsächlich online in Kunming statt. Nun soll wegen der Null-Corona-Politik Chinas im kanadischen Montreal – unter chinesischem Vorsitz – der Durchbruch gelingen.

Sandra Kirchner

Das könnte Sie auch interessieren


  • Der Wert der Biodiversität: Warum der Schutz von Artenvielfalt für unser Überleben entscheidend ist

    05.03.2024
    Biodiversität prägt unser Leben. Der Rückgang der Artenvielfalt auf unserem Planeten ist auch eine Bedrohung für den Menschen: Gibt es weniger Insekten, werden beispielsweise weniger Blüten bestäubt, haben Vögel weniger zum Fressen und würden Ernten… mehr

  • Biologische Vielfalt ist gut für dich!

    21.05.2019
    Ganz im Gegensatz zu dem, was die meisten denken, ist biologische Vielfalt nicht nur ganz nett. Sie ist vielmehr die Grundlage für menschliches Leben und eine nachhaltige Entwicklung. Denn die Nahrungsmittelproduktion hängt direkt von einer Vielfalt… mehr

  • Eine Eukalyptuspflanze wurzelt auf einer Düne

    Neuer Schwung für den Artenschutz

    18.10.2021
    Im Durchschnitt verschwindet alle zehn Minuten eine Art – und die Klimakrise beschleunigt diese Entwicklung noch. Bis 2030 soll der dramatische Verlust der Artenvielfalt aber gestoppt werden. Der Grundstein dafür wurde jetzt im chinesischen Kunming… mehr