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"Als junge Ge­neration müs­sen wir noch stärker als bisher Zugang zu Verhand­lungen einfor­dern."

Am 22. September haben die UN-Mitglied­staaten in New York den Zukunfts­pakt verabschiedet. Paula Schmidt hat als DGVN-Jugend­beobachterin teilgenommen. Im Interview erklärt sie, warum ihre Erwartungen teilweise enttäuscht wurden und wie junge Menschen bei der Umsetzung mitgedacht werden sollten.

Die DGVN-Jugendbeobachterinnen und Jugendbeobachter beim Zukunftsgipfel in New York (v.l.n.r.): Selma Cafferty, Simon Zerzawy, Paula Schmidt, Rhoda Zündorf und Ferhat Cicek. (Foto: Jim Papke)

Der Zukunfts­gipfel am 22. und 23. September 2024 stellte den Höhepunkt eines mehr­jährigen Prozesses zur Verab­schiedung eines Zukunfts­pakts dar, welcher anläs­slich des 75-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen im Jahr 2020 initi­iert wurde. Vor Ort dabei in New York waren auch fünf Jugend­beobachterinnen und Jugend­beobachter der DGVN. 

DGVN: In zwei Sätzen zusammen­gefasst: Was bein­haltet die Rolle als Jugend­beobachterin beim UN-Zukunftsgipfel?

Paula Schmidt: Als Ju­gend­beobachterinnen und Ju­gend­beobachter der DGVN zum UN-Zu­kunfts­gipfel haben wir an Ver­anstal­tungen des Gipfels und der Youth Action Days der UN teilgenommen, dort unsere Per­spek­tiven eingebracht und uns mit anderen Jugend­vertreterinnen und Jugend­vertretern sowie Ent­scheidungs­tra­gen­den zu den viel­fältigen Themen des Zu­kunfts­pakts aus­getauscht. 

Nun werden wir in Deutschland von unseren Er­fahrungen bei den UN berichten, um jungen Menschen und allen Interes­sierten einen besseren Überblick über die kon­kreten Ziele des Zukunftspakts und die Ar­beits­weise der Vereinten Nationen zu geben. Außerdem werden wir mit unseren For­de­run­gen an Po­litike­rinnen und Politiker herantreten.

Welche Schwer­punkt­themen habt ihr euch gesetzt? Was für Erwar­tungen hattet ihr dies­bezüglich an den UN-Zukunfts­gipfel?

Sechs Jugend­beobachte­rinnen und Jugend­beobachter, sechs Schwer­punkt­themen: Alle haben sich im Voraus auf bestimmte Themen des Zukunfts­gipfels fokussiert. Ich habe mich viel mit inter­nationaler Digital­politik und dem Globalen Digital­pakt (Global Digital Compact) befasst, da es mich besonders interessiert, wie die Vereinten Nationen die glo­bale Re­gulierung des Internets und künst­licher Intelligenz künftig angehen wollen. 

Auch internationale Friedens­sicherung, Abrüstung, Bildung, Jugendbeteiligung und Frauenrechte waren im Team unter anderem als Fokus­themen vertreten. Angesichts der inhaltlichen Breite des Zukunfts­gipfels waren wir insgesamt sehr skeptisch, inwieweit konkrete inhaltliche Ergebnisse und Handlungs­empfehlungen im Pakt festgehalten werden können. Bei meinem Thema, der inter­nationalen Digital­politik, hatte ich mir erhofft, dass sich der Globale Digital­pakt klar zu Menschen­rechten im digitalen Raum bekennt und das Multi-Stake­holder-Modell – also das Einbeziehen verschiedener Interessens­gruppen aus der Zivilgesellschaft –  bei der Regulierung des Internets nicht so geschwächt wird, wie befürchtet.

Und wurden eure Erwar­tungen erfüllt?

Viele Punkte, die uns als Jugend­beobachte­rinnen und Jugend­beobachter wichtig waren, haben es in den Zukunfts­pakt geschafft: bei­spiels­weise die Stärkung von Jugend­beteili­gung bei internationalen Prozessen, die geplante Reform des Sicher­heits­rates und die klaren Verweise auf die Wichtig­keit der Klima­ziele und der Ziele für nach­haltige Entwick­lung (Sus­tain­able De­velop­ment Goals - SDGs). Je­doch bleibt vieles leider weit­gehend unkon­kret, und gerade im vier­ten Ka­pitel des Pakts zur Jugend war die Sprache in den vor­herigen Versionen des Pakts noch weitaus deutlicher als in der finalen Version. 

Das ist aus unserer Sicht natürlich ent­täuschend. In unseren Gesprächen mit den Ver­handlerinnen und Ver­handlern des Pakts bei der Stän­digen Ver­tre­tung Deutsch­lands zu den Vereinten Nationen wurde uns allerdings auch richtig bewusst, welch ein großer Erfolg schon die Änderung einzelner Worte in einem UN-Pakt sein kann, und wie wichtig es ist, dass wir uns als inter­nationale Staaten­gemeinschaft überhaupt auf einen Wort­laut einigen.

Habt ihr generell den Eindruck, dass die Per­spektive junger Menschen in UN-Prozes­sen mitgedacht wird?

Die UN bemühen sich, die Be­teili­gung junger Menschen an Ent­scheidungs­pro­zes­sen stetig zu erhöhen. Erst letztes Jahr wurde das UN-Büro für Jugend­fragen (UN Youth Office) geschaffen, eine eigene UN-Abteilung, die beim UN-General­sekretär angesiedelt ist und die Jugend­beteiligung bei der UN künftig strategisch vorantreiben soll. Zudem gibt es eine Sonder­gesandte für Jugend (Special Envoy on Youth), die konkret beauftragt ist, die Reprä­sentation junger Menschen sicher­zustellen. 

Aktuell sind wir als Jugend noch häufig Gesprächs­gegen­stand. Wir fordern als Subjekte aber einen Platz am Tisch.

Trotz dieses positiven Paradigmen­wechsels bei den Vereinten Nationen müssen wir als Jugend­beobachterinnen und Jugend­beobachter kritisch anmerken, dass es bei den Verhand­lungen zum Zu­kunfts­pakt leider keine echte Jugend­beteili­gung gab - sogar bei den sogenannten Youth Action Days vor dem Gipfel waren junge Menschen eher in der Minderheit. 

Wir beobachten auf UN-Ebene, dass Ent­scheidungs­trägerinnen und Entscheidungs­träger oft PR-Bilder mit jungen Menschen bei UN-Veranstal­tungen machen, während die Türen zu den eigentlichen Verhand­lungen geschlossen bleiben. Die US-Senatorin Elizabeth Warren sagte einmal: “If you don’t have a seat at the table, perhaps you are on the menu.” (dt. „Falls Sie keinen Platz am Tisch haben, sind Sie wahrscheinlich auf der Speise­karte.“) Aktuell sind wir als Jugend noch häufig Gesprächs­gegen­stand. Wir fordern als Subjekte aber einen Platz am Tisch. Hier gibt es bei den UN noch viel Luft nach oben!

Deutschland hat zusammen mit Namibia die Rolle der Ko-Fazili­tatoren über­nommen und damit den Gipfel maß­geblich mitge­plant. Viel Auf­merk­samkeit hat der Gipfel in der Öffent­lich­keit in Deutsch­land im Vorfeld aber nicht be­kom­men. Woran könnte das liegen?

In Deutschland liegen gerade viele innen­politische Themen auf dem Tisch, die die Öffent­lichkeit stark beschäftigen. Wie geht es nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Branden­burg weiter? Was hat es mit dem Chaos bei den Grünen auf sich? Bricht die Regierung aus­einander? Im Vergleich hierzu ist die inter­natio­nale Ebene, auf der die Vereinten Nationen operieren, oft weit weg. Außerdem stehen international aktuell eher die Konflikte in Libanon, Gaza oder Israel im Vorder­grund. 

Die Kom­munikation der UN in die Mitglied­staaten hinein gestaltet sich hier als schwierig, da es letzt­endlich von den Staaten und Medien selbst abhängt, welche Rolle sie den UN und ihren Projekten gerade ein­räumen wollen. In Deutschland reiht sich die inhalt­liche Band­breite des Zukunfts­gipfels mehr in ein allgemeines UN-Echo ein, weshalb dieser es von Beginn an schwer hatte, hervorzu­stechen. Schade, denn mit dem globalen Digital­pakt und dem Pakt für künftige Gene­rationen, die neben dem Zukunftspakt verabschiedet wurden, haben die UN einen gestalte­rischen Schritt in die Zukunft gewagt, von dem auch Menschen in Deutsc­hland langfristig noch profitieren werden.

Welche Heraus­forderungen seht ihr für junge Menschen in Bezug auf die Umsetzung der „Actions“, die der Zu­kunfts­pakt beinhaltet?

Der Zukunfts­pakt besteht aus 56 Actions und 5 Kapiteln – 56 Ziele, die die Vereinten Nationen sich selbst setzen, um die bestehenden Ziele für nach­haltige Entwicklung der Agenda 2030 zu bekräftigen und auf neue Heraus­forderungen eine Antwort zu finden. Im vierten Kapitel zu Jugend und zukünftigen Generationen wird zum Beispiel beschrie­ben, dass der Zugang junger Menschen zu Bildung, Jobs, neuen Technologien sowie zum Ge­sundheits­wesen gestärkt und familien- und jugend­freundliche Politik gefördert werden soll. 

Uns freut es natürlich sehr, dass es ein Ziel wie dieses in den Pakt geschafft hat. Jedoch bleibt hier die gleiche Heraus­forderung wie bei allen Actions: Wer misst die genaue Umsetzung? Und wie? Letztendlich hängt es an den 193 UN-Mitglied­staaten, ob diese die formulierten Ziele in ihre nationale Politik imple­mentieren. Der Zukunftspakt ist von herausragender Bedeutung, weil er die Ambition der internationalen Staaten­gemein­schaft dokumentiert, gemeinsam in konkreten Schritten auf eine lebenswerte Zukunft hinzuarbeiten. Er ist allerdings keine völkerrechtlich bindende Resolution, die die Mitglied­staaten zu konkreten Handlungen verpflichtet.

Welche konkreten Schritte sollten unter­nommen werden, um sicher­zustellen, dass die Anliegen junger Menschen innerhalb des Zukunfts­pakts nach dem Gipfel Gehör finden?

In seiner Eröffnungs­rede zu den Youth Action Days sagte UN-General­sekretär António Guterres: „Macht wird nie gegeben, sie wird genommen.“ Als junge Generation müssen wir noch stärker als bisher Zugang zu Verhandlungen einfordern. Auch der reine Zugang ist noch nicht genug: Wir möchten eine gleich­berechtigte Rolle am Tisch ein­nehmen. Nur so kann es eine wahre Ko-Gestal­tung und echte Ver­handlungs­prozesse geben. 

Die institutio­nalisierte Jugend­beteiligung muss ausgebaut werden, das UN-Büro für Jugend­fragen braucht mehr finanzielle Ressourcen, in nationalen Ministerien sollten Jugend­gremien geschaffen werden. Zudem wäre die Einführung eines generellen Jugend-Checks empfehlenswert, der Ge­setzes­vorhaben so überprüft, dass deren Wirkung auf künftige Generatio­nen gemessen werden kann. Es muss hier begleitend eine KI-Task­force geschaffen werden, die den Jugend-Check beispielsweise durch einen ‚Red-Tea­ming-Vorgang‘ unterstützt: Das ist ein Begriff aus der Cyber­sicherheit, bei dem eine Gruppe versucht, die Effek­tivität eines Sicherheits­managements zu verbessern, indem sie als Gegner auftritt und die Sicherheits­maßnahmen eines Unter­nehmens testet. Ein ähnliches Vorgehen wäre bei Jugend-Checks auf nationalem und inter­nationalem Level denkbar: Ist das Gesetz effektiv und zukunfts­fähig oder eher jugend­feindlich?

Was war dein persön­liches High­light?

Die unzähligen Begegnungen und Diskussionen mit jungen Menschen aus der ganzen Welt waren für mich ein einzig­artiges Erlebnis. Gemeinsam einen UN-Gipfel begleiten, sich für die Interessen junger Menschen einsetzen zu dürfen - das hat uns alle beflügelt und zusammen­geschweißt. Es ist schwer, unter den vielen groß­artigen Veranstaltungen ein spezifisches Highlight heraus­zufiltern. Als besonders surreal empfand ich aber unsere Teilnahme an einer Sitzung des UN-Sicher­heitsrates zur Situation in Libanon. Einmal selbst zusehen zu dürfen, wie der Sicher­heitsrat sich mit den drängend­sten Konflikten in unserer Welt beschäftigt – das werde ich so schnell nicht ver­gessen!

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