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Wirtschaftstransformation zum Schutz der Biodiversität

Jedes Jahr am 22. Mai feiern die Vereinten Nationen den Internationalen Tag der biologischen Vielfalt. Ihr Verlust schreitet immer schneller voran – was auch mit dem weltweiten Wirtschaftswachstum zu tun hat.

In einem See stehen zahlreiche rosafarbene Flamingos
Auch diese Flamingos sind Teil der biologischen Vielfalt.

(Foto: Global Environment Facility/flickr/CC BY-NC-ND 2.0/flamingo scenery​​​​​​​)

Jedes Jahr am 22. Mai feiern die Vereinten Nationen den Internationalen Tag der biologischen Vielfalt, um an den Tag im Jahr 1992 zu erinnern, an dem das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity – CBD) in Kraft trat. Das CBD ist der weltweit umfassendste Naturschutzvertrag, der zwar bisher den Erhalt von Arten in Schutzgebieten erfolgreich gefördert hat, allerdings weniger erfolgreich ist, die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt durch Wirtschaftssektoren zu sichern. Da der Verlust der biologischen Vielfalt immer schneller voranschreitet, sollten sich die Vertragsstaaten der CBD dringend mit den Folgen des Wirtschaftswachstums auseinandersetzen.

Studien aus den vergangenen Jahrzehnten zeigen eine starke Korrelation zwischen dem weltweiten Wirtschaftswachstum und dem Verlust der biologischen Vielfalt. Konkret gesprochen geht das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zum Beispiel mit Landnutzungsänderungen durch eine intensivierte Produktion und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen sowie mit einer Ausdehnung von Städten und Infrastrukturen einher. Die Folge: die Entstehung von Monokulturen und die Fragmentierung von Lebensräumen. Auch die Treibhausgasemissionen nehmen mit einem wachsenden BIP zu, und die daraus resultierende Erderwärmung hat zur Folge, dass viele Arten aussterben. Im Zuge der mit dem weltweiten Wirtschaftswachstum einhergehenden Ausweitung der globalen Handelsrouten werden vermehrt gebietsfremde Arten in weit entfernte Lebensräume eingeschleppt, wo sie heimische Arten bedrohen. Die Hoffnungen, dass wirtschaftliche Effizienzgewinne das Wirtschaftswachstum deutlich vom Ressourcenverbrauch entkoppeln, haben sich bisher nicht erfüllt. In China, Indien und Südafrika war zwar eine beträchtliche relative Entkopplung zu beobachten, das heißt, das BIP ist schneller gestiegen als der Ressourcenverbrauch. Global nimmt die Ressourcennutzung allerdings weiterhin zu, während die biologische Vielfalt abnimmt.

Zeit für einen transformativen wirtschaftlichen Wandel

In Anbetracht der fortdauernden Herausforderungen, die mit dem materiellen Wachstum verbunden sind, haben zwei hochrangige Gremien jüngst wissenschaftliche Berichte veröffentlicht – den Global assessment report on biodiversity and ecosystem services, veröffentlicht vom Weltbiodiversitätsrat (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services – IPBES) im Mai 2019, und den von der britischen Regierung in Auftrag gegebenen und im Februar 2021 veröffentlichten Dasgupta-Bericht zur Ökonomie der biologischen Vielfalt – in denen politische Entscheidungsträgerinnen und -träger aufgefordert werden, ihre Wirtschaftspolitik von Grund auf neu auszurichten. Beide Berichte betonen die Notwendigkeit eines transformativen wirtschaftlichen Wandels, den der IPBES als „grundlegende, systemweite Umstrukturierung über technologische, wirtschaftliche und soziale Faktoren hinweg“ definiert. Zu den erforderlichen Maßnahmen gehören der Abbau biodiversitätsschädigender wirtschaftlicher Anreize (wie etwa Agrarsubventionen), die Umsetzung umweltfreundlicher Anreize, die Anwendung von Vorsorgeansätzen im Ressourcenmanagement sowie strengere Umweltgesetze und -richtlinien. Allerdings berücksichtigt keines der beiden Dokumente systematisch mögliche Alternativen zum Wirtschaftswachstum, wie zum Beispiel Postwachstum, als Lösung für das sechste Massenaussterben.

Postwachstum als mögliche Lösung?

Postwachstumsgesellschaften funktionieren auch ohne konstantes Wirtschaftswachstum. In ihnen haben das Allgemeinwohl und kooperative Ansätze Priorität, und es wird zwischen gutem (Bildung, Gesundheit) und schlechtem (Waffen, fossile Brennstoffe, Fast Fashion) Wachstum unterschieden. Es gibt zahlreiche Postwachstumsszenarien, und vielerorts werden Postwachstumsansätze bereits heute verfolgt. Eines der möglichen Zukunftsszenarien ist Degrowth. Insoweit Entwicklung nicht automatisch an das Wirtschaftswachstum gekoppelt ist und sich Degrowth an den vielen, im Globalen Süden praktizierten Umweltschutzansätzen orientiert, wäre das Konzept praktikabel, müsste aber unter Einbeziehung aller Akteurinnen und Akteure diskutiert werden – so wie es auch im Globalen Norden erforderlich wäre.

Die Länder des Globalen Nordens stellen aktuell Überlegungen an, wie sie ihre Wirtschaft nach der COVID-19-Pandemie neu aufstellen können. Die Corona-Krise sollte als politische Chance begriffen werden, unser gesamtes Wirtschaftssystem zu transformieren. Auf internationaler Ebene werden die Vertragsstaaten der CBD im Oktober dieses Jahres voraussichtlich einen neuen strategischen Rahmen für das nächste Jahrzehnt und darüber hinaus verabschieden. Wenn dieses Rahmenwerk berücksichtigt, dass wirtschaftliches Wachstum eine Gefahr für die biologische Vielfalt darstellen kann, könnte dies zu einem wichtigen normativen Bezugspunkt für die Vertragsstaaten der CBD werden. In Deutschland sollten die Parteien angesichts der anstehenden Wahlen zeigen, wie „grün“ ihre Wirtschaftspolitik wirklich ist, indem sie den Fokus nicht länger einzig und allein auf das Wachstum des BIP legen.

Jean Carlo Rodríguez de Francisco und Ina Lehmann, DIE

Der Text wurde am 17.05. vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) als Aktuelle Kolumne veröffentlicht.

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