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Wie Geldmangel den Kampf gegen Hunger in Niger erschwert

Die Probleme Nigers sind massiv. Das Welternährungsprogramm (WFP) setzt vor Ort auf kurzfristige Notfallhilfe und den langfristigen Aufbau von Resilienz. Die Ergebnisse versprechen Hoffnung, zeigen aber auch auf: Das WFP stößt an seine Grenzen.

Eine Schülerin und Schüler pflanzen zusammen einen Setzling in die Erde ihres Schulgartens.
Mithilfe von Schulgärten sollen die Schülerinnen und Schüler mehr über Umweltschutz und Ernährung lernen. (Foto: WFP/Evelyn Fey)

Millionen vom Hunger bedroht und vom Klimawandel besonders betroffen, zudem die höchste Geburtenrate der Welt: Die Probleme Nigers sind massiv, und die Ressourcen des Landes, damit umzugehen, sind begrenzt. Ist der Sahel-Staat auf dem Weg zum ‚failed state‘?

Offenbar nicht: Niger hat Fortschritte erzielt, etwa bei der Demokratisierung und seiner politischen Stabilität. „Die positive Entwicklung des Landes dauert seit zehn Jahren an, findet aber international zu wenig Beachtung und Unterstützung“, sagt Louise Aubin. Die Kanadierin ist als Residierende Koordinatorin der Vereinten Nationen die oberste Repräsentantin der UN in Niger. Das Land habe sich zu einem Stabilitätsanker in der Region entwickelt, sagt Aubin. Sie spricht von einer bemerkenswerten demokratischen Transformation und einer Regierung, die sich nicht mit dem eigenen Volk im Kriegszustand befinde. Auch Ressourcen wie Grundwasser seien ausreichend vorhanden. „Es ist nicht unausweichlich, dass Nahrungsmittelknappheit herrscht“, betont Aubin.

Notfallhilfe und Resilienz

Und doch herrscht sie. Auf etwa 4,4 Millionen beziffert das Welternährungsprogramm (World Food Programme, WFP) die Zahl der von Hunger bedrohten Menschen.

Notfallhilfe in Krisensituationen ist die eine Säule der Arbeit des WFP in Niger. Die zweite Säule umfasst die langfristige Hilfe, deren Ziel Resilienz ist. ‚Food Assistance for Assets‘ (FFA) heißt die Strategie, die das WFP in rund 50 Ländern weltweit verfolgt: Kurzfristig durch Geld oder Nahrungsmittel das Überleben sichern – und langfristig durch Strukturveränderungen verhindern, dass Menschen hungern müssen oder mangelernährt sind.

Mit 600 Dörfern begann 2018 ein langfristig angelegtes Resilienz-Programm des WFP; Deutschland ist einer der größten Geber. Mittlerweile sind es 2000 Dörfer. In der Langfriststrategie geht es um Zugang zu Land und Wasser, um die effizientere Nutzung des Wassers und um eine Diversifizierung der Anbaupflanzen zur Sicherung einer ausgewogenen Ernährung. Es geht um die richtige Lagerung der Nahrungsmittel, und darum, Konflikte zwischen Bäuerinnen und Bauern und nomadisch lebenden Viehhalterinnen und Viehaltern zu entschärfen.

„Wir erzielen eine große Langzeitwirkung“, sagt Jean-Noël Gentile, WFP-Landesdirektor in Niger. „Die Ergebnisse sind sehr ermutigend.“ Mangelernährung gehöre der Vergangenheit an, Armutsmigration ebenso, sagt er mit Blick auf die Dörfer im Programm. Doch um mehr zu tun, fehlt dem WFP das Geld. Gentile fasst es in zwei Zahlen: „2000 Dörfer sind im Programm, für mehr reicht das Geld nicht. 35 000 aber könnten Unterstützung gebrauchen.“

Nutzbares Land geht verloren

100 000 Hektar Land gehen in Niger durch Bodendegeneration jährlich für Ackerbau und Viehzucht verloren. Mehr als die Fläche Berlins, jedes Jahr. Man könnte sagen, die Wüste frisst das Land. Der Boden wird hart, unfruchtbar, verkrustet, kann kein Wasser speichern. Die Speicherfähigkeit des Bodens aber ist von immenser Bedeutung in einer Region, die nur eine lange Trockenzeit und eine wegen des Klimawandels kürzer, aber heftiger werdende Regenzeit kennt.

Der Klimawandel ist eine Ursache der Bodendegeneration, andere Faktoren sind Überweidung, Abholzung, Übernutzung und Erosion. Ein Kernelement der Resilienz-Bestrebungen des WFP ist, Böden wieder nutzbar zu machen - und zwar auf möglichst einfache und zugleich maximal effektive Art und Weise. ‚Zaï‘ heißt dabei das eine Zauberwort, ‚Halbmond‘ das andere.

Beides sind Techniken, die aus dem Sahel stammen, die einfach und effektiv sind. Zaï bedient sich der Mithilfe von Termiten, um den Boden zu lockern und wasseraufnahmefähiger zu machen, und kurbelt das Pflanzenwachstum mithilfe von Dung statt Kunstdünger an. Letzterer ist ohnehin meist unbezahlbar für lokale Bäuerinnen und Bauern.

Halbmond-Technik bedeutet, halbmondförmige, unterarmtiefe Löcher anzulegen, in denen sich Regenwasser sammeln kann. 313 Halbmonde pro Hektar. Zugleich wird an jedem Halbmond ein Baum gepflanzt, der irgendwann Schatten spendet und dafür sorgt, dass mehr Wasser im Boden bleibt statt abzufließen. Schon nach einem Jahr ist die Wiederbegrünung des Bodens deutlich sichtbar.

Ein Mann gräbt mit einer Schaufel eine halbmondförmige Kule in den sandigen Boden.
Tausende halbmondförmige Vertiefungen werden bei der Halbmondtechnik in den Boden gegraben. (Foto: WFP/Evelyn Fey)

„Der Zug fährt erkennbar in die falsche Richtung“

Das Ziel der nigrischen Regierung ist es, 200 000 Hektar Land pro Jahr der Wüste zu entreißen. Die Realität sieht indes anders aus. Mithilfe des WFP sind im Durchschnitt der letzten Jahre höchstens 40 000 Hektar jährlich wiedergewonnen worden. „Wenn wir 100 000 verlieren und 40 000 zurückgewinnen, fährt der Zug erkennbar in die falsche Richtung“, sagt Damien Vaquier, WFP-Programmchef in Niger. Man könnte mehr tun, sagt er - doch dafür bräuchte man mehr Geld.

Hungerbekämpfung scheitert aber nicht nur an Geldmangel, sondern auch an der heiklen Sicherheitslage in manchen Regionen, seit einerseits islamistische Gruppen, andererseits bewaffnete Banden besonders in den Grenzgebieten zu Mali, Burkina Faso und Nigeria grausame Verbrechen verüben und ganze Dörfer zur Flucht zwingen.

Laut WFP leben 15 Prozent der nigrischen Bevölkerung in Konfliktregionen. Unter den vom Hunger bedrohten Nigrerinnen und Nigrer sind es 46 Prozent. „Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen mangelnder Sicherheit und Hungerbedrohung“, sagt Gentile. In Niger existierten No-Go-Areas für Hilfsorganisationen. Hilfsbedürftige dort sind auf sich selbst gestellt.

Schulspeisung als entscheidendes Kriterium

Landesweit, ergänzt Vaquier, seien mehr als 800 Schulen für 72 000 Schülerinnen und Schülern wegen der Sicherheitslage geschlossen. Nicht nur eine Frage der Bildung, sondern auch des Hungers: Für viele Familien ist bei der Entscheidung, ob ihre Kinder – vor allem ihre Töchter – eine Schule besuchen, nicht die Aussicht auf Bildung der entscheidende Faktor. Sondern die Aussicht auf Nahrung. „Viele Kinder würden nicht zur Schule kommen, wenn es hier kein Essen gäbe“, sagt Laouali Mahamadou, ein Schuldirektor aus Ouallam in der Region Tillabéri. An seiner Schule sorgt das WFP dafür, dass die Kinder nicht hungrig bleiben.

Aber nur elf Prozent der Schulen können eine Schulspeisung anbieten, oft mithilfe des WFP. Dabei sei belegt, dass die Zahl der Mädchen, die vorzeitig abgehen, an Schulen ohne Essensangebot drei- bis vierfach höher, sagt Vaquier.

Der nigrische Bildungsminister Ibrahim Natatou beziffert, was Schulspeisung für alle kosten würde: 150 Millionen US-Dollar jährlich. Das klingt vergleichsweise nicht nach viel, aber es übersteigt die Möglichkeiten der Regierung – und ebenso die des WFP.

Von Thomas Trittmann

Hinweis: Dieser Beitrag entstand im Rahmen der DGVN-Recherchereise „Humanitäre Hilfe in Niger“. Um einen Beitrag zu einem differenzierteren Bild über die weltweiten Aufgaben und Herausforderungen der Vereinten Nationen zu leisten, bot die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) im November 2022 eine einwöchige Informations- und Recherchereise für an. Dafür reiste eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten vom 6.-12. November 2022 nach Niger in die Tillabéri-Region mit der Hauptstadt Niamey und dem Ort Simiri.

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