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Weg vom Weizen: Senegals Bauern entdecken fast vergessene Getreidesorten wieder

Über Jahrzehnte hat Senegal billigen Weizen aus Europa importiert. Die Klimakrise und Russlands Krieg in der Ukraine führen nun zu einem Umdenken. Plötzlich sind wieder traditionelle Getreidesorten gefragt.

Drei Frauen sitzen an einem Marktstand und bieten Hirse und Maniok an.
Auf Biomärkten im ganzen Land werden Maniok und Hirse verkauft. (Foto: Tobias Köberlein)

Für Mouhamed Diop war es ein gutes Zwiebel-Jahr, und das hängt auch mit dem Klimawandel zusammen. Der Dürresommer in Europa sorgte dafür, dass einer der Hauptexporteure, die Niederlande, nicht so viele Zwiebeln wie gewohnt nach Senegal verschiffen konnte. Die Preise gingen daraufhin nach oben, sehr zur Freude von Mouhamed Diop, der auf seiner kleinen Farm etwa 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Dakar mehrere Obst- und Gemüsesorten anbaut, darunter eben auch Zwiebeln. 

An einem heißen Tag im Oktober steht Diop auf dem Feld und setzt schon die nächste Zwiebel-Generation in die trockenwarme Erde. Fast die ganze Familie hilft mit: Diops Bruder, der Sohn und seine beiden Ehefrauen. Polygamie ist in dem vorwiegend muslimischen Land noch weit verbreitet. Fast ein Drittel aller verheirateten Frauen in Senegal lebt in einer Vielehe, nur wenige Menschen stoßen sich daran.

Mehr als eine Frau zu haben gilt als ein Zeichen für Wohlstand; Diop geht es also materiell recht gut, was vor allem daran liegt, dass der 36-Jährige vor einiger Zeit seine Farm auf ökologische Landwirtschaft umgestellt hat. Mittlerweile ist Diop ein sogenannter ‚Multiplikator‘ und bringt anderen Bäuerinnen und Bauern bei, wie sie ihr Obst und Gemüse nachhaltig anbauen. Ihre Produkte können sie so mit Bio-Siegeln zertifizieren lassen und auf lokalen Biomärkten zu besseren Preisen verkaufen. 

„Der globale Markt kultiviert unsere Armut“

Dass sich Diop einen bescheidenen Wohlstand erwirtschaftet hat und gerade ein Haus für seine wachsende Familie baut, hat er auch einer Frau wie Mariam Sow zu verdanken. Die 68-Jährige hat eine große Mission: Sie ist Geschäftsführerin der nichtstaatlichen Organisation ENDA Pronat, die sich seit Jahrzehnten für eine ökologische Landwirtschaft und eine radikale Abkehr vom Anbau von Monokulturen einsetzt. 

„Der globale Markt kultiviert unsere Armut durch Protektionismus“, beschreibt Sow die Lage nicht nur in Senegal, sondern in vielen afrikanischen Staaten. „Wir werden gezwungen, subventionierte Landwirtschaftsprodukte von anderen zu importieren, statt sie selbst herzustellen“, kritisiert Sow. Monokulturen für Erdnüsse oder Baumwolle hätten zu immer schlechteren Böden geführt. Hinzu kämen die sichtbarer werdenden Anzeichen des Klimawandels. Auf Dürreperioden folgen sintflutartige Regenfälle. In diesem Jahr trafen verheerende Überschwemmungen Teile Dakars, Menschen ertranken in ihren Autos. 

Unterstützung erhalten Mariam Sow und ENDA Pronat auch aus Deutschland. Partner ist seit 2019 die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Mit einem Zuschuss von 4,5 Millionen Euro betreibt ENDA Pronat für die GIZ in Westafrika den Wissenshub für Ökolandbau. Der Großteil des Geldes, 3,3 Millionen Euro, fließt in Projekte in Senegal. Auch Mouhamed Diop wurde von ENDA Pronat zu einem Trainer für Ökolandbau ausgebildet. Dabei ist der in Senegal immer noch umstritten. Traditionelle Landwirtschaft unter dem Einsatz von synthetischen Pestiziden und Dünger verspricht größere Erträge und schnelles Geld. Erst seit einigen Jahren setzt ein Umdenken ein. Der Klimawandel und zuletzt der russische Angriffskrieg in der Ukraine spielen dabei eine wesentliche Rolle. 

Der senegalische Bauer Mouhamed Diop steht mit verschränkten Armen auf einem Feld.
Mouhamed Diop hat seine Farm auf ökologische Landwirtschaft umgestellt. (Foto: Tobias Köberlein)

„Weizenimporte haben Ernährungsverhalten stark verändert“

Wenn Mariam Sow Protektionismus und subventionierte Landwirtschaftsprodukte kritisiert, dann gilt ihre Kritik auch den europäischen Ländern. Das sieht Agrarexperte Francisco Marí vom evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt ähnlich. „Hochsubventionierte Weizenimporte haben das Ernährungsverhalten der Menschen in Senegal stark verändert, besonders in den größeren Städten. Es gab eine Bewegung weg von einheimischen Getreidesorten wie Hirse oder Sorghum hin zum Weizen“, sagt Marí. Schuld daran sei auch die Europäische Union gewesen. Dank üppiger Subventionen aus Brüssel häuften Bäuerinnen und Bauern in Frankreich oder Deutschland in den 1980er-Jahren einen Weizenberg an. Frankreich fand schnell Absatzmärkte in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien, wie eben Senegal. Aber auch Deutschland exportierte fleißig Weizen nach Westafrika. Binnen weniger Jahre sank der Pro-Kopf-Verbrauch von Hirse in Senegal von 80 auf 25 Kilo, gleichzeitig stieg der Verbrauch von Weizen von zehn auf 40 Kilo. „Das tägliche Baguette ist in Senegal auch ein Symbol dafür, dass man Teil einer globalisierten Ernährungswelt ist“, sagt Marí. 

Mittlerweile liefern Russland und die Ukraine fast die Hälfte des Weizens, den Afrika benötigt, etwa 50 Millionen Tonnen im Jahr. Schon vor der russischen Invasion in der Ukraine war der Weltmarktpreis für Weizen deutlich gestiegen, nach dem 24. Februar 2022 schoss er laut Afrikanischer Entwicklungsbank noch einmal deutlich in die Höhe, von 225 Dollar pro Tonne auf fast 350 Dollar. Zwischenzeitlich waren es sogar bis zu 500 Dollar. 

Traditionelles Getreide erlebt Renaissance

In Senegal hat man wie auch in anderen afrikanischen Ländern auf die Importabhängigkeit beim Weizen und bei Düngemitteln reagiert. Auch dank der Initiative von ENDA Pronat erleben traditionelle und lange in Vergessenheit geratene Getreidesorten eine Renaissance. Hirsearten wie Sorghum oder Fonio findet man immer öfter auf den Äckern. Fonio gilt als eines der ältesten Getreidearten auf dem afrikanischen Kontinent, wächst schnell und ist relativ resistent gegen Schädlingsbefall. Nichtstaatliche Organisationen wie SOS Sahel fördern den Anbau inzwischen im großen Stil. Eines Tages könnte Fonio sogar zu großen Teilen Reis ersetzen, der sich in Westafrika als Grundnahrungsmittel etabliert hat, aber mittlerweile aus anderen Ländern wie Indien importiert wird. 

Ganz ohne Importweizen wird es in Senegal in naher Zukunft nicht gehen. Doch ein Blick in die Supermärkte und Bäckereien in Senegals Hauptstadt Dakar zeigt, dass in dem Land gerade ein Umdenken bei den Essgewohnheiten stattfindet. Fonio findet sich inzwischen in vielen Regalen der Lebensmittelmärkte, und immer mehr Bäckereien backen ihr Brot aus traditionellem Getreide oder mischen es zumindest bei. Auch bei Landwirt Diop hat sich einiges verändert. Seinen Dünger stellt er nun selbst her, statt ihn wie früher zu kaufen. Die Erträge seiner Felder haben sich verbessert, die Böden werden geschont, sein Einkommen ist höher. Diop kann somit aus eigener Erfahrung bestätigen: Die ökologische Landwirtschaft ist in Senegal dabei, ein Game-Changer zu werden.

Tobias Köberlein

Hinweis: Dieser Beitrag entstand im Rahmen der DGVN-Recherchereise „Volle Netze für nachhaltige Entwicklung?“ in Senegal. Anlässlich des UN-Jahres der Kleinfischerei und Aquakultur reiste eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten vom 23.–30. Oktober 2022 in das Delta des Flusses Saloum, um in Zusammenarbeit mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) über Fischerei und nachhaltige Landwirtschaft in Senegal zu recherchieren.

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