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Nachhaltigkeitsdefizite der Digitalisierung

Noch hat sie ihre Nachhaltigkeitsversprechen nicht eingelöst: Die Digitalisierung braucht immer mehr Ressourcen, produziert immer mehr Elektroschrott und auch ihr Energieverbrauch wächst rasant – häufig noch auf Basis fossiler Brennstoffe. Es besteht politischer Gestaltungsbedarf.

Ein Bagger gräbt in einer Müllhalde in Bangladesch.
Müllhalde in Bangladesch. (UN Photo/Kibae Park)

Wo besonders große Nachhaltigkeitslücken klaffen, beschreiben Felix Sühlmann-Faul und Stephan Rammler in ihrem Buch „Der blinde Fleck der Digitalisierung“. Um die Nachfrage am Laufen zu halten, setzt die Elektronikbranche auf möglichst kurze Produktlebenszyklen und psychologische und geplante Obsoleszenz. Geräte werden so hergestellt, dass sie nicht lange halten und nicht leicht oder kostengünstig zu reparieren sind. Sie werden in kleinen Schritten weiterentwickelt, um mit immer wieder neuen Modellen Umsatz zu machen.

Vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern ist noch kaum bewusst, dass die Digitalisierung eine enorme Steigerung des Bedarfs an Energie, Rohstoffen, Logistik und Transport, Produktion und Entsorgung mit sich bringt, durch die riesige Probleme entstehen. Und das obwohl gerade die Digitalisierung in vielen Bereichen für mehr Nachhaltigkeit sorgen könnte und sollte.

Enormer Energiehunger

Das Nachhaltigkeitsversprechen „Dematerialisierung durch Digitalisierung“ hat sich bislang nicht eingelöst. Paradoxerweise finde weltweit trotz der zunehmenden Etablierung digitaler Technologien nicht weniger, sondern deutlich mehr Material- und Energieverbrauch statt, stellen Sühlmann-Faul und Rammler in ihrem Buch fest. Zum einen würden immer mehr Rohstoffe eingesetzt, um genau die Geräte herzustellen, denen das Potenzial zur Dematerialisierung zugesprochen wird. Zum anderen komme es zu „Rebound-Effekten“: Zwar wird die Effizienz gesteigert, doch zugleich wird umso mehr produziert, konsumiert oder übertragen, so dass die Bilanz schließlich einen deutlich höheren Material- und Energieeinsatz zeigt.

Lässt sich dieser Trend nicht sehr bald umkehren, steht die Erreichung der Klimaziele von Paris ebenso wie einiger der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) auf dem Spiel.

Der CO2-Fußabdruck des Internets allein beträgt jährlich mehrere 100 Millionen Tonnen. Der größte Anteil entfällt auf Streaming und den Versand und Empfang von Filmen und Musik aus Datenzentren. Dabei sind es nicht die Endgeräte, die den größten Energiehunger aufweisen. „Der Emissionsausstoß der Rechenzentren trägt zur anthropogenen CO2-Menge aktuell ungefähr so viel bei wie der Flugverkehr“, so Sühlmann-Faul und Rammler. Mit steigender Tendenz, denn der zusätzliche Energiebedarf durch das kommende „Internet der Dinge“ ist heute noch gar nicht erfasst.

Rohstoffe

Für die Herstellung von Informations- und Kommunikationshardware wie Computer und Smartphones werden Rohmaterialien wie Tantal, Zinn, Wolfram und Gold benötigt. Tantal wird aus dem Erz Columbit-Tantalit, besser bekannt als Coltan, gewonnen. Der Abbau solcher Rohstoffe findet nicht selten unter ausbeuterischen Bedingungen (einschließlich Kinderarbeit) statt und hat gravierende Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen in den Abbaugebieten. Hinzu kommen Landnutzungskonflikte und Wasserprobleme. Coltan gehört zu den Konfliktmineralien in der Demokratischen Republik Kongo, wo Rebellentruppen in den Rohstoffabbau und -handel involviert sind, um Waffenkäufe zu finanzieren.

Bislang hat die IKT-Branche keine nennenswert hohen Recyclingquoten hervorgebracht und ist von einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft noch weit entfernt.

Gefährlicher Elektroschrott

So besteht eine weitere verheerende Folge der Digitalisierung in den rasant wachsenden Bergen von gefährlichem Elektroschrott, in dem wertvolle Materialien wie Gold, Silber, Kupfer, Platin und Palladium gebunden sind. Der größte Teil davon wird in Ländern des Südens auf umwelt- und gesundheitsgefährdende Weise getrennt und wiederverwertet oder entsorgt. Zum Beispiel in Ghana: Agbogbloshie bei Accra gilt aufgrund der Verseuchung von Böden, Wasser und Luft heute als der giftigste Ort der Welt.

Um ein besseres Bild über die Problematik zu erhalten, haben die United Nations University (UNU), die internationale Fernmeldeunion (ITU) und die International Solid Waste Association (ISWA) 2017 eine Globale Partnerschaft für Statistiken über Elektroschrott auf den Weg gebracht. Sie stellten fest: Mit durchschnittlich 6,1 kg pro Person wurden 2016 insgesamt 44,7 Millionen metrische Tonnen Elektroschrott generiert – das entspricht etwa 4.500 Eiffeltürmen. Nach Schätzungen im „Global E-waste Monitor 2017“ wird die Menge an Elektroschrott bis 2021 um weitere 17 Prozent auf 52,2 Millionen metrische Tonnen zunehmen.

„Der Kopf gehört nicht in den Sand“

So der Titel des Fazits, das Felix Sühlmann-Faul und Stephan Rammler am Ende ihres Buches ziehen. Denn selbst angesichts aller derzeitigen Fehlentwicklungen mangels politischer Steuerung und regulativer Rahmenbedingungen beinhaltet die Digitalisierung nach ihrer Einschätzung auch Chancen für mehr Nachhaltigkeit. Digitalisierung lasse sich steuern. Allerdings werden unsere wirtschaftlichen Eliten keinen Kurs Richtung Nachhaltigkeit einschlagen, ohne von Politik und Gesellschaft dazu gezwungen zu sein, so die Autoren.

„Nur wenn es gelingt, die digitalen Umbrüche in Richtung Nachhaltigkeit auszurichten, kann die Nachhaltigkeitstransformation gelingen“, heißt es im kürzlich veröffentlichten Hauptgutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Ansonsten drohe die Digitalisierung als Brandbeschleuniger von Wachstumsmustern zu wirken, die die planetarischen Leitplanken durchbrechen.

Christina Kamp

 

Weitere Informationen:

Sühlmann-Faul, Felix und Rammler, Stephan (Hrsg.): Der blinde Fleck der Digitalisierung. oekom Verlag, München, 2018. ISBN-13: 978-3-96238-088-5

Baldé, C.P., Forti V., Gray, V., Kuehr, R., Stegmann,P.: The Global E-waste Monitor – 2017, United Nations University (UNU), International Telecommunication Union (ITU) & International Solid Waste Association (ISWA), Bonn/Genf/Wien

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Unsere gemeinsame digitale Zukunft. Hauptgutachten. 2019

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