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Migration als ultima ratio

Klimagerechtigkeit: Welche moralische Verantwortung haben wir gegenüber Menschen, die durch den Klimawandel ihre Heimat verlassen müssen? Essay von COP24-Jugendbeobachter Marc Selariu

Für Inselstaaten wie Antigua und Barbuda sind die Auswirkungen des Klimawandels schon jetzt existenzbedrohend. (UN Photo / Rick Barjornas)

Kaum ein anderes Phänomen macht die verheerenden Folgen des Klimawandels deutlicher spürbar als der Anstieg des Meeresspiegels und die damit verbundene Zerstörung von Küstenregionen. Kleine Volkswirtschaften und Inselstaaten sind besonders verwundbar, wenn es um die Folgen des Meeresspiegelanstiegs und eine Häufung extremer Wetterereignisse geht. So schrieb das International Panel on Climate Change bereits vor 16 Jahren: „Sea-level rise poses by far the greatest threat to small island states relative to other countries.” Durch den Klimawandel wird in vielen Regionen dieser Welt nicht nur mit vorübergehenden schwerwiegenden Wetterextremen zu rechnen sein, sondern auch mit der endgültigen Zerstörung menschlichen Lebensraumes. Durch den Meeresspiegelanstieg kann es zur Versalzung von Grundwasser kommen, was traditionelle Landwirtschaft unmöglich machen würde; manche Inselstaaten können sogar völlig verschwinden. Im Zuge des voranschreitenden Klimawandels und des damit verbundenen Meeresspiegelanstiegs erfährt das Thema „Klimaflüchtlinge“ bzw. „Climate Refugees“ eine immer größere mediale Aufmerksamkeit.

Allerdings sind es gerade die Vertreter*innen kleiner Inselstaaten selbst, die nicht willens sind, Begriffe wie „Climate Refugees“ oder Szenarien, in denen Migration als einzige adaptive Maßnahme gegen den Klimawandel angeboten wird, zu akzeptieren. Die Inselstaaten fürchten, dass diese Szenarien dafür sorgen, auf weitere Bestrebungen zu verzichten, den betroffenen Bevölkerungen durch nachhaltiges Wachstum und Adaptionsmaßnahmen zu helfen.

Heute sind die größten Emittenten von Treibhausgasen China, die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und Indien. Die Verantwortlichkeiten für den Klimawandel und dessen Bekämpfung können aber auf mehreren Ebenen betrachtet werden. Während China und Indien erst in den letzten Jahrzehnten zu großen Produzenten von Treibhausgasen wurden, tragen die USA und die Europäische Union eine große historische Verantwortung für den Klimawandel. Im Rahmen der Common but Differentiated Responsibilities stehen sie gerade aus diesem Grund in der moralischen Verpflichtung, eine Führungsrolle im Klimaschutz anzustreben.

Aber diese Führungsrolle kann mit Blick auf Menschen, die durch den Klimawandel gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, nicht darin bestehen, ihnen leichtfertig einen Flüchtlingsstatus zu gewähren, ohne sich der Symbolik dieses Aktes und der damit einhergehenden Konsequenzen bewusst zu sein. Alle Flüchtlinge, die unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, haben eine Gemeinsamkeit: Der Ort, an dem sie ursprünglich lebten und den sie zur Zeit nicht bewohnen können, da eine Gefahr für ihr Leben herrscht oder weil ihnen dort Verfolgung droht, existiert nach wie vor. Im Fall von Inselstaaten, die durch den steigenden Meeresspiegel unbewohnbar würden, ist dies schlicht nicht der Fall.

Daher besteht der moralische Führungsanspruch aller Staaten, die in der Vergangenheit und heute maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich waren, darin, diesen Menschen zu ermöglichen, weiterhin in ihrer Heimat zu leben. Es gilt: Mitigation vor Adaption. Das bedeutet, dass eine der Kernforderungen der G77 und der kleinen Inselstaaten (AOSIS) - nämlich die Erderwärmung auf nur 1,5 Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen - erreicht werden muss. Diese mittlere Erwärmung wäre der beste Garant dafür, dass möglichst wenige Menschen gefährdet sind und sich die Frage danach, was passieren soll, wenn diese ihre Heimat verlassen müssen, erst gar nicht in so großem Maße stellen wird. Weiterhin muss dafür gesorgt werden, dass vulnerable Staaten in der Lage sind, selbst resilient gegen die Folgen des Klimawandels zu werden. Das bedeutet, dass Finanzhilfen und Technologietransfers in gefährdete Regionen unerlässlich sind und dass gerade dort in großem Maße Adaptionsmaßnahmen getroffen und Capacity-Building betrieben werden muss.

Zunächst müssen also die Erhaltung des Territoriums, Menschenrechte und Selbstbestimmung im Fokus der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft stehen. Erst als ultima ratio kann deswegen die Migration akzeptiert werden. Sollte diese nötig sein, stehen wiederum die Verursacher des Klimawandels in der Verpflichtung, den Menschen aus diesen unbewohnbaren Gebieten, eine Migration und ein Leben in Würde zu ermöglichen.

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