Menü

"Kli­ma- und Bio­diver­sitäts­kri­se sind Zwillings­krisen"

Was stellt eine größere Gefahr dar - der Klima­wandel oder die Biodi­versitäts­krise? Ein Interview mit Professor Josef Settele, Agrar­biologe, und Bio­di­versitäts­forscher am Helm­holtz-Zentrum für Umwelt­forschung (UFZ).

Porträtfoto von Josef Settele
Biodiversitätsforscher Josef Settele (Foto: Bjoern Kray Iversen)

Was ist bedrohlicher: der Klima­wandel oder die Bio­diver­sitäts­krise?

Die Antwort kann nur lauten: beides – und das in Kombination. Die Krisen bedingen einander stark. Viele Arten sind explizit durch den Klima­wandel gefährdet, etwa weil ihr Lebensraum verloren geht und funktionierende Ökosysteme schwinden. Die Klima- und Biodiversitätskrise finden nicht in Isolation voneinander statt, sie sind Zwillingskrisen.

Woran zeigt sich das konkret?

Zum Beispiel am Borkenkäfer im Harz: Der dortige Forst­bestand ist durch Mono­kulturen – Fichten im Wesentlichen – anfällig für klima­tische Veränderungen. Gerade Dürren machen den Bäumen dort zu schaffen. Die mangelnde Baumar­tenvielfalt wiederum zieht es nach sich, dass ein Organismus, eben der Borkenkäfer, sich sehr gut breit machen und die Bäume schädigen kann. Wenn ich dort allerdings ein diverses Ökosystem hätte, also verschiedene Baumarten, wäre der Forst wider­stands­fähiger und weniger anfällig gegen eine solche Bedrohung von außen. Doch nun geht der Baumbestand durch den Borkenkäfer zurück – und damit auch der dort gespeicherte Kohlenstoff.

Weltklima- und Bio­diversitäts­rat haben 2021 erstmals einen gemeinsamen Report heraus­gegeben, mit Ihnen als Co-Autor. Naheliegend, oder?

Das stimmt. Doch war der Schritt damals nicht ohne. Vor allem der Weltklimarat hatte längere Zeit Bedenken, fasst er doch vor allem wissenschaftliche Veröffentlichungen zusammen. Der Welt­biodiver­sitätsrat ist hingegen bekannt dafür, pragmatischer und mitunter zielorien­tierter vorzugehen – und dafür auch lokales Wissen mit einzubeziehen. Doch die am gemeinsamen Bericht beteiligten Autorinnen und Autoren waren sehr offen. Mittlerweile haben sich die beiden Gremien ohnehin ange- nähert und planen, künftig mehr gemeinsam zu arbeiten, da passiert gerade viel. 

Ähnlich wie das Pariser Klima­abkommen von 2015 gibt es seit 2022 mit dem UN-Bio­diver­sitäts­abkom­men einen entsprechenden globalen Aktions­rahmen für den Biodiversitäts­schutz. Wie wichtig sind solche international vereinbarten Ziele?

Ohne sie hätten wir keine Basis. Wir brauchen ein Regelwerk, auf das wir uns global geeinigt haben. Auch wenn die Ziele nicht hinreichend sind, sind sie doch ein wichtiger Schritt. Aber vor allem müssen sie noch national umgesetzt werden – und hier hakt es noch gewaltig. Überschrittene Klima-Kipp­punkte und ausgestorbene Spezies: Ist es nicht schon zu spät – sowohl beim Klimaschutz als auch beim Erhalt der Biodiversität? Wir wissen ja nicht, was passieren würde, wenn wir uns nicht einsetzen. Wenn wir keine Verschlech­terung bekommen, wäre das schon ziemlich gut – gerade was die Biodiversität betrifft. Ob es bereits zu spät war, werden wir erst im Nachhinein wissen. Klar ist: Je weniger Erderhitzung, umso besser. Mittlerweile gehen wir nicht mehr von einer Million, sondern sogar von zwei Millionen Arten aus, die vom Aussterben bedroht sind, mit verheerenden Folgen auch für menschliches Leben – doch so weit kommt es nur, wenn wir nicht gegensteuern.
Noch bleibt uns Zeit. Natürlich werden manche Arten aussterben, aber wir können sicherlich auch einige bewahren.

Wo sollten wir ansetzen, um sowohl die Klima- als auch die Bio­diversitäts­krise zu lösen?

Natürlicher Klimaschutz ist hier wichtig. Die Idee dahinter: Sowohl das Klima als auch die Biodiversität sollen optimal geschützt werden. Nur mit technischen Maßnahmen wird es uns nicht gelingen, den Klimawandel auf die Reihe zu kriegen. Vielmehr brauchen wir die Kombination aus natürlichen und technischen Maßnahmen. Zu natürlichen Klima­schutz­maßnahmen zählt es etwa, Moore wiederzuvernässen, Böden vor Erosion zu schützen und Wälder aufzuforsten. Aber es geht auch darum, Ökosysteme zu erhalten, die zunächst unscheinbar wirken: In Mitteleuropa sind das etwa Halbtrocken­rasen, sprich artenreiche Wiesen, die beispielsweise von Schafen beweidet werden. Wenn Landwirtinnen und Landwirte sie nur wenig bis kaum bewirtschaften, können dort verschiedene Pflanzen und Insekten leben – und der Boden wiederum speichert viel Kohlenstoff. Durch den Erhalt dieser Kulturland­schaften springt also sowohl für das Klima als auch die Biodiversität viel raus: eine Win-win-Situation.

Das Interview führte Astrid Ehrenhauser. Dieser Beitrag erschien im Dezem­ber 2024 in der Einen-Welt-Presse ‘Schutz der Natur und der Biodiversität’.

Das könnte Sie auch interessieren


  • Alles andere reicht nicht

    27.11.2018
    Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad - Nur eine schöne Zahl oder ein realer Anspruch? Essay von COP24-Jugendbeobachterin Luisa Neubauer mehr

  • Das Problem ist der Konsum

    27.11.2018
    Wirtschaftswachstum und Klimaschutz – ein unauflösbarer Widerspruch? Essay von COP24-Jugendbeobachterin Elisa Brocksieper mehr

  • Migration als ultima ratio

    27.11.2018
    Klimagerechtigkeit: Welche moralische Verantwortung haben wir gegenüber Menschen, die durch den Klimawandel ihre Heimat verlassen müssen? Essay von COP24-Jugendbeobachter Marc Selariu mehr