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Brasiliens Abkehr vom Multilateralismus – Wohin steuert Bolsonaro?

Im Oktober 2018 entschied der Rechtsextreme Jair Bolsonaro die Präsidentschaftswahlen in Brasilien für sich. Besorgt schaut die internationale Gemeinschaft auf die Entwicklungen im Land. Wird Bolsonaro auf die Nationalismus-Karte setzen und sich von den Vereinten Nationen abwenden?

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro.

(Foto: Jeso Carneiro/flickr/CC BY-NC 2.0/Jair Bolsonaro)

Jair Bolsonaro, der sich gerne als Anti-Establishment-Vertreter inszeniert, ist ein alter Bekannter der brasilianischen Politik. Seit 25 Jahren mischt er als Abgeordneter im brasilianischen Parlament mit und wechselte insgesamt sieben Mal die Partei. Inzwischen hat er seine politische Heimat in der Partei Partido Social Liberal (PSL) gefunden, die er mit Hassreden gegen die afrobrasilianische Bevölkerung, Indigene, Frauen und Homosexuelle auf Kurs bringt.

Mit seiner Vereidigung am 01. Januar 2019 ist er nun Präsident des fünftbevölkerungsreichsten Landes der Erde geworden. Sein Kabinett setzt sich aus verschiedenen Strömungen zusammen: unter anderem Ultrakonservative mit evangelikalem Hintergrund, Neoliberale und Angehörige des Militärs. Sie alle unterstützen einen scharfen Schwenk nach rechts, haben aber durchaus unterschiedliche Interessen. Vermutlich wird Bolsonaro während seiner Amtszeit einen politischen Spagat hinlegen müssen, der nicht widerspruchsfrei bleiben wird.

Brasilien über alles

Außenpolitisch orientiert sich Bolsonaro vor allem am US-Präsidenten Donald Trump. In Anlehnung an Trumps „Amerika zuerst“ heizte Bolsonaro den Wahlkampf mit dem Slogan „Brasilien über alles“ an. Vom Multilateralismus hält er wie Trump wenig. Den Vereinten Nationen steht Bolsonaro entsprechend skeptisch gegenüber. Ähnlich denken viele seiner Vertrauten, wie zum Beispiel der Präsident seiner Partei PSL, Gustavo Bebianno, der den Vereinten Nationen sogar „linksextreme, globalisierende Tendenzen“ vorwarf. Zuletzt sprach Bolsonaro beim Weltwirtschaftsforum in Davos zwar von einer „Öffnung Brasiliens“. Diese bezog er allerdings nur auf Handelsfragen. Für Privatisierungen staatlicher Unternehmen sucht seine Regierung international nach finanzstarken Investoren.

Ausstieg aus dem Migrationspakt

Wie schnell aus Drohgebärden bittere Realität wird, zeigt sich beim Ausstieg Brasiliens aus dem UN-Migrationspakt. Noch im Dezember 2018 hatte der ehemalige brasilianische Präsident Michel Temer das 32-seitige Abkommen unterzeichnet. Die völkerrechtlich nicht bindende Übereinkunft soll international den Weg für eine sichere, geordnete und reguläre Migration ebnen. Sie wurde von mehr als 150 Staaten unterzeichnet. Obwohl das Thema Migration im brasilianischen Wahlkampf keine bedeutende Rolle einnahm, kündigte Bolsonaro an, sich wie Ungarn, Österreich und Italien aus dem UN-Pakt zurückzuziehen. Die USA waren bereits im Dezember 2017 aus den Verhandlungen ausgetreten.

Zu den Gründen von Brasiliens Ausstieg heißt es vom brasilianischen Außenminister Ernesto Araújo auf Twitter nur lapidar: Der Pakt sei ein „ungeeignetes Instrument“, um mit dem „Problem“ der Migration umzugehen. Grundsätzlich sei Migration zwar „willkommen“, sie dürfe aber nicht ohne Unterscheidung geschehen. Vermutlich geht es hier jedoch um Symbolpolitik. Mit dem Austritt kann Bolsonaro ein Zeichen in die brasilianischen Regionen schicken, die an der Grenze zu Venezuela liegen und in denen die Unzufriedenheit über die Migrationspolitik Brasiliens wächst. Zuletzt gab es in der Grenzstadt Pacaraima sogar gewaltsame Angriffe auf Flüchtlinge aus Venezuela. Auf der internationalen Bühne hat der Austritt noch eine weitere Funktion: Brasilien solidarisiert sich mit anderen rechtsgerichteten Regierungen, die den UN-Pakt ebenfalls verlassen haben. Zu guter Letzt ist es aber auch ein deutliches Zeichen an seine Wählerschaft, dass er seine Versprechen aus dem Wahlkampf einhält und dem Multilateralismus gegenüber die Karte des Nationalismus zieht.

Abkehr vom Pariser Klimaabkommen?

Auch beim Thema Umweltschutz zeichnet sich ein Alleingang Brasiliens ab. Mehrmals drohte Bolsonaro damit, aus dem Pariser UN-Klimaabkommen auszusteigen. Brasilien hat sich darin verpflichtet, die illegale Rodung des Amazonas-Regenwaldes bis 2030 komplett zu stoppen und die eigenen Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 2005 um 43 Prozent zu reduzieren. Würde Bolsonaro hier tatsächlich eine Kehrtwende vollziehen, hätte dies fatale Folgen nicht nur für Brasilien sondern für den gesamten Planeten.

Der Amazonas-Regenwald – er befindet sich größtenteils auf brasilianischem Staatsgebiet – ist der größte Regenwald weltweit. Im Hinblick auf den Klimawandel haben Regenwälder eine wichtige Fähigkeit: Sie binden riesige Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in Pflanzen und Böden und verringern dadurch den Anteil von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Die Zerstörung des Regenwalds kommt also einer Beschleunigung des Klimawandels gleich.

Entweder Bolsonaro hält den Klimawandel wirklich für ein Hirngespinst oder Umweltschutz ist ihm einfach egal. Anders lassen sich seine jüngsten Entscheidungen kaum deuten. Einen Tag nach Amtsantritt entmachtete er die Behörde „Fundação Nacional do Índio“ (FUNAI), die für den Schutz der Indigenen zuständig ist und unterstellte die Verwaltung der Gebiete dem Landwirtschaftsministerium. Dieses wird von Tereza Cristina geführt, einer Vertreterin der Agrarlobby. Geplant ist, die Gebiete in denen Indigene wohnen, für Rinderzucht, Landwirtschaft und Bergbau zu öffnen, kurzum: die Rodung voranzutreiben. Das käme einem doppelten Angriff gleich: Zum einen auf die Lebensräume der indigenen Bevölkerung zum anderen auf den Umweltschutz, denn die letzten unberührten Urwaldgebiete befinden sich genau dort.

Ob Bolsonaros Rechnung, wirtschaftliche Interessen über den Umweltschutz zu stellen, wirklich aufgeht, bleibt fraglich. Europäische Regierungen erwägen aktuell, genau aufgrund dieser Politik Wirtschaftssanktionen gegen brasilianische Produkte einzusetzen. Auch geplante Freihandelsabkommen könnten auf den Prüfstand kommen.

Mäßigung oder Radikalisierung?

Wird die brasilianische Regierung zurückrudern, um die internationale Gemeinschaft und mögliche Handelspartner nicht zu verschrecken? Oder wird sich Brasilien unter Bolsonaro weiter radikalisieren? Das Engagement Brasiliens in den Vereinten Nationen, darauf deutet vieles hin, wird während Bolsonaros Amtszeit stark zurückgeschraubt werden. Das ist bedauerlich, denn unter seinen Vorgängern hatte sich der Einsatz innerhalb der Vereinten Nationen zu einem wichtigen Eckpfeiler brasilianischer Politik entwickelt.

Ob das Interesse Bolsonaros an Investoren und intensiviertem Handel dazu führt, dass er seine Politik weniger nationalistisch und autoritär ausrichtet, bleibt fraglich. Seine antidemokratischen Tendenzen können niemandem verborgen bleiben. Er setzt auf eine Militarisierung des Landes, die bis in die Schulen hineinreicht. Außerdem verherrlicht er weiterhin die Militärdiktatur, die Brasilien von 1964 bis 1985 erschütterte.

Angesichts der instabilen Lage auf dem lateinamerikanischen Kontinent, die sich durch die aktuellen Umwälzungen in Venezuela noch weiter verschärfen könnte, sollten die Vereinten Nationen ein wachsames Auge auf Brasilien werfen. Nicht nur der Multilateralismus und der Klimaschutz sind in Gefahr, sondern auch die Menschenrechte.

Maheba Goedeke Tort

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