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Affenpocken: Alarmstufe rot

Die WHO hat angesichts der rasanten Verbreitung der MPX-Viren eine gesundheitliche Notlage ausgerufen, die koordiniertes internationales Handeln erfordert. Das geschieht nicht oft: Über die Hintergründe und Folgen der Entscheidung.

Ein Mann mit Brille und Anzug spricht in ein Mikrofon.
WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus erklärte die Affenpocken zur „gesundheitlichen Notlage“. (UN Photo/Violaine Martin)

Mit der höchsten Alarmstufe, die ihr zur Verfügung steht, erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Affenpocken am 23. Juli 2022 zu einer „gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite“ (Public Health Emergency of International Concern – PHEIC). So etwas geschieht nicht oft. Bevor eine Krankheit zur Notlage erklärt wird, wägt ein Komitee der WHO ab, ob dieser Schritt geboten ist. Im Falle der Affenpocken bestand keine Einigkeit, so dass es schließlich WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus war, der die Entscheidung traf. Die Anzahl der bestätigten Infektionen war nach WHO-Daten von Ende Juni bis Anfang Juli um 77 Prozent gestiegen. Als die Notlage ausgerufen wurde, waren bereits aus 75 Ländern Affenpockenfälle gemeldet worden. Anfang Mai waren es noch 47 betroffene Länder gewesen.

Aufgrund der hohen Zahl an Infektionen steigt das Risiko, dass sich das Virus nun immer schneller verbreitet und dabei auch mutiert. Zuletzt hatte Covid-19 die WHO veranlasst, im Januar 2020 eine gesundheitliche Notlage auszurufen und die Krankheit im März 2020 zur Pandemie zu erklären. Bei den Affenpocken besteht die Hoffnung, dass eine Pandemie verhindert werden kann.

Notlage als dringender Aufruf zum Handeln

Koordiniertes internationales Handeln wird jedoch für nötig gehalten, um einer weiteren Ausbreitung Einhalt zu gebieten. Die WHO hat – in Abhängigkeit von der jeweiligen epidemiologischen Lage in den Ländern – entsprechende Empfehlungen zur Eindämmung und Kontrolle des Ausbruchsgeschehens ausgesprochen. Dazu gehören eine verbesserte Diagnose und Aufklärung, die Isolation und Behandlung von Erkrankten, die Nachverfolgung von Kontaktpersonen und eine zielgerichtete Risikokommunikation. Länder mit Produktionskapazitäten für Affenpocken-Tests, Impfstoffe und Medikamente sollen ihre Produktion hochfahren.

Eine Impfung wird für Personen mit erhöhtem Expositions- und Infektionsrisiko empfohlen, entweder als Prophylaxe oder gegebenenfalls – aufgrund der relativ langen Inkubationszeit von 5 bis 21 Tagen – nach einer möglichen Ansteckung. Wichtig sei in jedem Fall, der Stigmatisierung und Diskriminierung einzelner Personen oder Gruppen entschieden entgegenzuwirken.

MPXV – Ein Virus aus dem Regenwald

Anders als SARS-CoV-2 sind die Affenpocken nicht neu. Sie kommen in verschiedenen west- und zentralafrikanischen Ländern insbesondere in der Nähe von Regenwaldgebieten bereits seit Jahrzehnten vor. Dort galten Nagetiere lange als Hauptüberträger des Affenpockenvirus Orthopoxvirus simiae (MPXV). Affen dagegen gelten als sogenannter Fehlwirt. Fehlwirte können zwar befallen werden und erkranken, der Erreger kann sich in ihnen jedoch nicht weiterentwickeln. Dass das Virus in anderen Teilen der Welt nun vorwiegend von Mensch zu Mensch übertragen wird, ist eine neue Entwicklung.

Die Verbreitungsmuster der Affenpocken haben sich verändert. Aktuell betreffen 98 Prozent der außerhalb Afrikas gemeldeten Fälle Männer, die Sex mit meist mehreren anderen Männern hatten. Es erscheint wie ein Déjà-vu: Auch bei HIV/Aids begann die Verbreitung zunächst auf ähnliche Weise, blieb aber nicht lange auf diese Gruppe beschränkt. Bereits Ende Juni hatte sich der WHO-Generaldirektor über eine anhaltende Übertragung der Affenpocken besorgt gezeigt: „Das würde bedeuten, dass sich das Virus etabliert und dann auch Hochrisikogruppen wie Kinder, immungeschwächte Menschen und schwangere Frauen betreffen könnte.“

Das Affenpockenvirus kann grippeähnliche Symptome und eitrige Hautläsionen auslösen, die schmerzhaft sein können. Da einige der Symptome Infektionskrankheiten wie Herpes oder Syphilis ähneln, wurden viele aktuelle Fälle in Kliniken erkannt, die eigentlich auf Geschlechtskrankheiten spezialisiert sind.

In Deutschland wurden im Mai 2022 die ersten Fälle von Affenpocken identifiziert. Mit Stand vom 9.8.2022 sind 2982 Affenpockenfälle aus allen 16 Bundesländern an das Robert-Koch-Institut gemeldet worden. Aktuell ist Europa mit mehr als 80 Prozent der Infektionen das Epizentrum des Ausbruchs. Entsprechend sieht die WHO hier auch das größte Ansteckungsrisiko. In anderen Regionen der Welt wird das Risiko derzeit als „moderat“ eingestuft.

Neue Verbreitungsmuster

In  den afrikanischen Ländern, wo das Virus endemisch ist, beträfen 40 Prozent der Fälle derzeit Frauen, sagte der Epidemiologe Dr. Otim Patrick Ramadan auf einer Pressekonferenz des WHO-Regionalbüros in der Demokratischen Republik Kongo. Eine Erklärung könnte sein, dass es oft Frauen sind, die sich um kranke Angehörige kümmern und dadurch mit dem Virus in Kontakt kommen. Affenpocken verbreiten sich vor allem durch engen Körperkontakt, aber auch durch Partikel auf gemeinsam genutzten Bettdecken, Handtüchern oder anderen Alltagsgegenständen.

Es besteht die Gefahr, dass sich die Affenpocken nun auch in Ländern dauerhaft etablieren könnten, wo sie früher – bis auf vereinzelte Fälle von Einschleppungen durch Reisende – nicht vorkamen. Aber auch in einigen afrikanischen Ländern könnten sie sich nun stärker ausbreiten. In Nigeria, der Demokratischen Republik Kongo und der Zentralafrikanischen Republik wurden 2022 mehr Fälle registriert als in den vergangenen Jahren. Nach Einschätzung der WHO hat die internationale Gemeinschaft vor dem globalen Ausbruch nicht genug investiert, um gegen die Affenpocken in einzelnen Ländern vorzugehen.

Fehlender Pocken-Impfschutz

Früher boten Pockenimpfungen auch gegen die Affenpocken einen gewissen Schutz vor einem schweren Verlauf – nach Schätzung der WHO sogar um die 85 Prozent. Doch nachdem die Pocken seit 1980 als erfolgreich ausgerottet gelten, wird dagegen nicht mehr geimpft, sodass dieser Schutz in den jüngeren Generationen mittlerweile wegfällt. Impfungen und Medikamente gegen die Affenpocken existieren zwar, sind aber noch nicht weit verbreitet und gerade in vielen afrikanischen Ländern kaum verfügbar.

Dort verläuft die Erkrankung bislang auch häufiger tödlich als etwa in Europa oder Nordamerika. Nach WHO-Daten haben – so das Robert-Koch-Institut – haben drei bis sechs Prozent der gemeldeten Fälle in den letzten Jahren in Zentral- und Westafrika zum Tod geführt, häufig bei Kindern (mit einer Fallsterblichkeit von bis zu elf Prozent) oder bei Personen mit anderen Gesundheitsproblemen.

Zunehmende Gefahr durch Zoonosen

Ob SARS, MERS, Ebola oder die Vogelgrippe – schon 2016, drei Jahre vor Covid-19, hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) von einer Zunahme der Zoonosen gewarnt. Alle paar Monate würde eine neue Infektionskrankheit beim Menschen auftreten, die aus der Tierwelt stamme. Oft seien zunächst wilde Tiere betroffen, doch Haustiere fungieren als „epidemologische Brücke“ zwischen Wildtieren und dem Menschen.

Es seien vor allem menschliche Eingriffe in die Natur und der Klimawandel, die diese Entwicklung vorantreiben, warnt UNEP. Wo Monokulturen und Massentierhaltung vorherrschen und biologische Vielfalt verloren geht – und das geschieht in rasantem Tempo – sinkt die natürliche Resistenz gegen Krankheitserreger. Mit der Zerstörung von Wäldern, dem Abbau von Rohstoffen und der Ausweitung der Landwirtschaft zerstört der Mensch Pufferzonen, die ihn von bislang unbekannten Krankheitserregern trennten.

Um die damit verbundenen Probleme in den Griff zu bekommen, setzt die WHO auf den Ansatz „One Health“. „Eine Gesundheit“ bedeutet, Menschen, Tiere und Ökosysteme als voneinander abhängig und Teile des gleichen Lebensraums zu begreifen und zu schützen. Der Ansatz soll helfen, von der Erkennung über die Vorsorge und den Umgang mit Krankheiten das gesamte Spektrum globaler Gesundheit in den Blick zu nehmen. Im Zusammenhang mit den Affenpocken wird der „One Health“-Ansatz jetzt besonders den Ländern empfohlen, in denen das Virus endemisch ist.

Von Christina Kamp

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