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Hunger als Waffe

Warum schafft es die Welt­gemeinschaft trotz wachsenden Fortschritts und Wohl­stand nicht, die Zahl der Millionen von hungernden Menschen zu senken? Das Welt­ernährungs­programm sieht bewaffnete Konflikte als Haupt­ursache von Hunger. Kriegerische Aus­einander­setzungen sind jedoch sowohl Ursache als auch Folge von Hunger.

Eine Gruppe von Menschen schaut in den Frachtraum eines Transportschiffs, das mit Weizen befüllt wird.
Im Jahr 2022 besuchte UN-Generalsekretär António Guterres den Hafen von Odessa in der Ukraine. Welche starken Auswirkungen Kriege und Konflikte auf die Produktion von Lebensmitteln und den Welthandel haben, zeigte zuletzt der Krieg in der Ukraine. Die Vernichtung von Nahrungsmitteln sowie die Erhöhung der globalen Preise für diese gefährden die Ernährungssicherheit weltweit. (UN Photo/Mark Garten)

Hunger stellt nach wie vor eines der größten globalen Probleme dar. In einem jährlich erscheinenden Bericht zur Ernährungs­sicherheit schätzten die Vereinten Nationen die Zahl der hunger­leidenden Menschen im Jahr 2023 auf zwischen 713 und 757 Millionen. Bis 2030 wird diese Zahl voraussichtlich auf 582 Millionen sinken. Damit ist das Ziel 2 für nach­haltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs), allen Menschen bis 2030 Zugang zu aus­reichend Nahrungs­mitteln zu ermöglichen und den Hunger zu besiegen, stark gefährdet.

Warum schafft es die Welt­gemeinschaft trotz wachsenden Fortschritts und Wohlstand nicht, diese Aufgabe zu bewältigen? Das Welt­ernährungs­programm (World Food Programme – WFP) sieht bewaffnete Konflikte als Haupt­ursache von Hunger. Und kriegerische Aus­einander­setzungen sind nicht nur Ursache von Hunger, sondern können auch Folge von Hunger sein.

Durch Kampf­handlungen werden Menschen vertrieben und Lebens­grundlagen zerstört. Das erschwert die Lebens­mittel­produktion, führt zu einer Ver­knappung von Nahrungs­mitteln und hat Hunger zur Folge. Gleich­zeitig entstehen neue Verteilungs­kämpfe um Land, Nahrung und Wasser, die durch den Hunger verursacht werden. Man kann von einem Teufels­kreis aus Gewalt und Hunger sprechen. Aktuelle Beispiele gibt es mehr als genug. In Palästina, Jemen und der Ukraine leiden eine hohe Anzahl an Menschen an akutem Hunger, die auf Grund von kriegerischen Aus­einander­setzungen verursacht wurden. Während in Syrien und dem Sudan Hunger und die Ernährungs­lage Faktoren waren, die zu Krisen geführt haben.

Hunger als Kriegs­strategie

Hunger wird immer wieder von Konflikt­parteien als Waffe eingesetzt. So zerstört die russische Armee in der Ukraine häufiger gezielt Infra­struktur zur Produktion und Lagerung von Getreide. Zudem ließ Russland im Jahr 2023 das Schwarz­meer­abkommen auslaufen und blockierte den Export von ukrainischen Gütern über das Schwarze Meer. Da sowohl Russland als auch die Ukraine weltweit zu den größten Produzenten von Sonnen­blumen­öl, Mais, Gerste und Weizen gehören, hat das Aus­wirkungen auf die globale Ernährungs­sicherheit. Russland nutzt dies, um Druck auf die Welt­gemeinschaft auszuüben und den Krieg in der Ukraine zum eigenen Vorteil zu beeinflussen.

Besonders besorgnis­erregend waren im Jahr 2024 auch die Äußerungen des israelischen Finanz­ministers Bezalel Smotrich. Er sagte, dass die vorsätz­liche Aus­hungerung der palästinensischen Zivil­bevölkerung »gerechtfertigt und moralisch « sein könne, solange die Terror­organisation Hamas israelische Geiseln in ihrer Gewalt habe. Dies würde nach internationalem Recht ein Kriegs­verbrechen darstellen und wurde daher zurecht vom UN-Hochkommissar für Menschen­rechte Volker Türk scharf kritisiert.

Inter­nationales Recht gegen Kriegs­verbrechen

Der UN-Sicherheits­rat reagierte bereits im Jahr 2018 mit der Resolution 2417 auf das Zusammen­spiel von Hunger und Konflikt. Darin wird festgestellt, dass das Aus­hungern von Zivil­personen als Methode der Kriegs­führung völker­rechtlich verboten ist. Alle Staaten werden auf­gefordert, dies zu unterbinden und dafür zu sorgen, dass die Grund­bedürfnisse der Zivil­bevölkerung gedeckt sind. Dies war zwar bereits durch Zusatz­protokolle der Genfer Konvention von 1977 verboten, hat aber einen wichtigen Impuls gesetzt. Im Jahr 2019 erweiterte der Internationale Straf­gerichts­hof (International Criminal Court – ICC) seine Zuständigkeit auf die Aus­hungerung von Zivilisten in inner­staatlichen Konflikten, was als praktische Konsequenz der Resolution gewertet wurde. Als der Chef­ankläger des ICC Karim Khan im Jahr 2024 Haft­befehle gegen Anführer der Hamas und Regierungs­mitglieder Israels wegen mutmaßlicher Kriegs­verbrechen und Verbrechen gegen die Mensch­lichkeit beantragte, bezog er sich unter anderem ganz konkret auf das »Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegs­führung als Kriegs­verbrechen«.

Will man allen Menschen Zugang zu aus­reichend Nahrungs­mitteln ermöglichen, muss man den Teufels­kreis aus Gewalt und Hunger durch­brechen. Das beste Mittel, um dies zu erreichen, ist die konsequente Ein­haltung und Durch­setzung internationalen Rechts. Solange bewaffnete Konflikte existieren, muss darauf gedrungen werden, dass das Völker­recht eingehalten und die Menschen­rechte geachtet werden. Bei Regel­verstößen müssen die Verantwort­lichen mit Konsequenzen rechnen. Das funktioniert aber nur, wenn die Mehr­heit aller Staaten die Urteile und Haft­befehle inter­nationaler Gerichte anerkennt. Da dies absehbar nicht der Fall sein wird, muss zumindest eine humanitäre Not­versorgung der Zivil­bevölkerung unter allen Umständen gesichert werden. Dazu braucht es vor allem auch die Zusagen der Industrie­nationen für die Bereit­stellung ausreichender finanzieller Mittel und den Willen, inter­national Verant­wortung zu übernehmen.

Frédéric Loew