Hunger als Waffe
Warum schafft es die Weltgemeinschaft trotz wachsenden Fortschritts und Wohlstand nicht, die Zahl der Millionen von hungernden Menschen zu senken? Das Welternährungsprogramm sieht bewaffnete Konflikte als Hauptursache von Hunger. Kriegerische Auseinandersetzungen sind jedoch sowohl Ursache als auch Folge von Hunger.

Hunger stellt nach wie vor eines der größten globalen Probleme dar. In einem jährlich erscheinenden Bericht zur Ernährungssicherheit schätzten die Vereinten Nationen die Zahl der hungerleidenden Menschen im Jahr 2023 auf zwischen 713 und 757 Millionen. Bis 2030 wird diese Zahl voraussichtlich auf 582 Millionen sinken. Damit ist das Ziel 2 für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs), allen Menschen bis 2030 Zugang zu ausreichend Nahrungsmitteln zu ermöglichen und den Hunger zu besiegen, stark gefährdet.
Warum schafft es die Weltgemeinschaft trotz wachsenden Fortschritts und Wohlstand nicht, diese Aufgabe zu bewältigen? Das Welternährungsprogramm (World Food Programme – WFP) sieht bewaffnete Konflikte als Hauptursache von Hunger. Und kriegerische Auseinandersetzungen sind nicht nur Ursache von Hunger, sondern können auch Folge von Hunger sein.
Durch Kampfhandlungen werden Menschen vertrieben und Lebensgrundlagen zerstört. Das erschwert die Lebensmittelproduktion, führt zu einer Verknappung von Nahrungsmitteln und hat Hunger zur Folge. Gleichzeitig entstehen neue Verteilungskämpfe um Land, Nahrung und Wasser, die durch den Hunger verursacht werden. Man kann von einem Teufelskreis aus Gewalt und Hunger sprechen. Aktuelle Beispiele gibt es mehr als genug. In Palästina, Jemen und der Ukraine leiden eine hohe Anzahl an Menschen an akutem Hunger, die auf Grund von kriegerischen Auseinandersetzungen verursacht wurden. Während in Syrien und dem Sudan Hunger und die Ernährungslage Faktoren waren, die zu Krisen geführt haben.
Hunger als Kriegsstrategie
Hunger wird immer wieder von Konfliktparteien als Waffe eingesetzt. So zerstört die russische Armee in der Ukraine häufiger gezielt Infrastruktur zur Produktion und Lagerung von Getreide. Zudem ließ Russland im Jahr 2023 das Schwarzmeerabkommen auslaufen und blockierte den Export von ukrainischen Gütern über das Schwarze Meer. Da sowohl Russland als auch die Ukraine weltweit zu den größten Produzenten von Sonnenblumenöl, Mais, Gerste und Weizen gehören, hat das Auswirkungen auf die globale Ernährungssicherheit. Russland nutzt dies, um Druck auf die Weltgemeinschaft auszuüben und den Krieg in der Ukraine zum eigenen Vorteil zu beeinflussen.
Besonders besorgniserregend waren im Jahr 2024 auch die Äußerungen des israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich. Er sagte, dass die vorsätzliche Aushungerung der palästinensischen Zivilbevölkerung »gerechtfertigt und moralisch « sein könne, solange die Terrororganisation Hamas israelische Geiseln in ihrer Gewalt habe. Dies würde nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen darstellen und wurde daher zurecht vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk scharf kritisiert.
Internationales Recht gegen Kriegsverbrechen
Der UN-Sicherheitsrat reagierte bereits im Jahr 2018 mit der Resolution 2417 auf das Zusammenspiel von Hunger und Konflikt. Darin wird festgestellt, dass das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung völkerrechtlich verboten ist. Alle Staaten werden aufgefordert, dies zu unterbinden und dafür zu sorgen, dass die Grundbedürfnisse der Zivilbevölkerung gedeckt sind. Dies war zwar bereits durch Zusatzprotokolle der Genfer Konvention von 1977 verboten, hat aber einen wichtigen Impuls gesetzt. Im Jahr 2019 erweiterte der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court – ICC) seine Zuständigkeit auf die Aushungerung von Zivilisten in innerstaatlichen Konflikten, was als praktische Konsequenz der Resolution gewertet wurde. Als der Chefankläger des ICC Karim Khan im Jahr 2024 Haftbefehle gegen Anführer der Hamas und Regierungsmitglieder Israels wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragte, bezog er sich unter anderem ganz konkret auf das »Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung als Kriegsverbrechen«.
Will man allen Menschen Zugang zu ausreichend Nahrungsmitteln ermöglichen, muss man den Teufelskreis aus Gewalt und Hunger durchbrechen. Das beste Mittel, um dies zu erreichen, ist die konsequente Einhaltung und Durchsetzung internationalen Rechts. Solange bewaffnete Konflikte existieren, muss darauf gedrungen werden, dass das Völkerrecht eingehalten und die Menschenrechte geachtet werden. Bei Regelverstößen müssen die Verantwortlichen mit Konsequenzen rechnen. Das funktioniert aber nur, wenn die Mehrheit aller Staaten die Urteile und Haftbefehle internationaler Gerichte anerkennt. Da dies absehbar nicht der Fall sein wird, muss zumindest eine humanitäre Notversorgung der Zivilbevölkerung unter allen Umständen gesichert werden. Dazu braucht es vor allem auch die Zusagen der Industrienationen für die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel und den Willen, international Verantwortung zu übernehmen.
Frédéric Loew