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IPCC-Bericht: Klimaschutz muss trotz Krisen im Fokus bleiben

Die Auswirkungen des Klimawandels werden größere Ausmaße annehmen, als vorhergesagt. Im neuen Bericht warnt der Weltklimarat eindringlich vor den gravierenden Konsequenzen der Tatenlosigkeit.

Eine Luftansicht von kleinen, grün bewachsenen Inseln im Meer
Das Nukunonu-Atoll im Südpazifik ist durch den Anstieg des Meeresspiegels als Klimawandelfolge bedroht. (UN Photo/Ariane Rummery)

Erst war es die Corona-Pandemie, jetzt ist es der Krieg in der Ukraine, der die Aufmerksamkeit bindet. Meldungen zum Ende Februar veröffentlichten zweiten Teil des neuen – sechsten – Sachstandsberichts des Weltklimarates (IPCC) wirkten in dessen Schatten wie Randnotizen. Dabei sind die Botschaften des Berichts heute dringender und wichtiger denn je – ebenso wie der entsprechende Handlungs- und Finanzierungsbedarf.

In weiten Teilen der Welt hat sich der Zustand der Ökosysteme verschlechtert, sie sind weniger resilient und weniger anpassungsfähig geworden. Hitzewellen, Dürren und Überflutungen überschreiten bereits die Toleranzschwellen von Tier- und Pflanzenarten und führen zu einem Massensterben, zum Beispiel bei einigen Baumarten oder bei Korallen. Häufigere und stärkere Extremwetterlagen haben dazu geführt, dass die Wasser- und Ernährungssicherheit weiter abgenommen hat und die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) noch schwieriger zu erreichen sein werden.

Irreversible Folgen von „Overshoot“

Mit einer Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius hat die Welt bereits in den kommenden zwei Jahrzehnten eine Vielzahl von nicht mehr vermeidbaren Klimarisiken zu bewältigen. Der Bericht warnt: Wird diese Schwelle auch nur zeitweise überschritten („Overshoot“), käme es zu zusätzlichen gravierenden Auswirkungen, von denen einige irreversibel sein werden. Dies betreffe vor allem Ökosysteme mit geringer Resilienz, wie Polar- und Bergregionen, wo Eis und Gletscher schmelzen. Die Risiken für die Gesellschaften werden zunehmen, ebenso wie potenzielle Schäden an der Infrastruktur und die Gefahren für niedrig gelegene küstennahe Siedlungen.

„Dieser Bericht ist eine unheilvolle Warnung vor den Folgen von Untätigkeit”, sagt Hoesung Lee, Vorsitzender des Weltklimarates (IPCC). „Er zeigt, dass der Klimawandel eine besorgniserregende und wachsende Bedrohung für unser Wohlergehen und einen gesunden Planeten darstellt. Was wir heute tun, wird darüber entscheiden, wie sich die Menschen anpassen und wie die Natur auf zunehmende Klimarisiken reagiert”.

Die Anpassungskluft

Wetterextreme treten immer häufiger zeitgleich auf, mit ‚lawinenartigen‘ Auswirkungen, die zunehmend schwieriger zu managen sein werden. Um immer schwerere Verluste von Leben, biologischer Vielfalt und Infrastruktur zu vermeiden, brauche es nicht nur einschneidende Reduktionen der Treibhausgasemissionen, sondern auch ehrgeizige, beschleunigte Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel.

Der Weltklimarat stellt fest, dass die Fortschritte in dieser Hinsicht bislang jedoch sehr ungleichmäßig verteilt waren. Besonders wenig geschehe zum Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen. Zudem wachse die Umsetzungslücke – die Kluft zwischen dem, was getan werden muss, um mit den zunehmenden Risiken umzugehen, und den Maßnahmen, die derzeit tatsächlich umgesetzt werden.

Der Bericht unterstreiche die Dringlichkeit, sofort und ambitionierter zu handeln, so Hoesung Lee. Halbherzige Maßnahmen seien keine Option mehr. Ebenso warnt der Bericht vor „falschen“ Lösungen mit unerwünschten Nebenwirkungen, die zu weiterer Zerstörung der Natur und noch mehr Emissionen führen könnten. Wie bereits der im August 2021 erschienene erste Teil des sechsten Sachstandsberichts unter dem Titel „Klimawandel 2022: Auswirkungen, Anpassung und Anfälligkeit“, bietet auch der zweite Teil regional aufgeschlüsselte Daten und Informationen für Entscheidungsträger.

Anpassung für klimaresiliente Entwicklung

Im Bericht wird geschätzt, dass heute etwa 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen in Umgebungen leben, die hochgradig anfällig für die Auswirkungen des Klimawandels sind. Die Vulnerabilität der Menschen und der Ökosysteme hängen eng zusammen.

In dem Bericht wird davon ausgegangen, dass die Risiken für Mensch und Natur kurzfristig stärker von deren Vulnerabilität bestimmt werden und von dem Maße, in dem sie Klimaveränderungen ausgesetzt sind, als von den unterschiedlichen klimabedingten Bedrohungen entsprechend verschiedener Emissionsszenarien. Das bedeutet: Wie stark und wie schnell der Klimawandel voranschreitet, hängt in hohem Maße vom Klimaschutz in der Gegenwart ab. Wie hoch die damit verbundenen Risiken sind, wird durch die Anpassungsmaßnahmen bedingt, die vorbeugend oder reaktiv getroffen werden. Die vorhergesagten Auswirkungen und die zu erwartenden Schäden und Verluste eskalieren mit jedem weiteren, auch geringen Fortschreiten der Erderwärmung.

Komplexe Gefährdungslagen

Klimabedingte und anderen Risiken treten zeitgleich auf und verschärfen sich gegenseitig. Haben die Menschen in vielen Ländern der Welt bereits erheblich unter der Corona-Pandemie gelitten, kommen nun steigende Preise für Energie und Grundnahrungsmittel wie Weizen hinzu. Durch anhaltende Trockenheit oder andere klimabedingte Wetterextreme könnte sich die Lage noch weiter zuspitzen.

Die im neuen IPPC-Bericht dokumentierten Belege über die bereits zu beobachtenden Auswirkungen des Klimawandels zeigen, dass selbst beim gegenwärtigen Stand der Erderwärmung Klimaresilienz eine enorme Herausforderung darstellt.

Das 1,5 Grad-Ziel in Gefahr

Das Zeitfenster schließt sich schnell, in welchem entschlossene Maßnahmen weltweit eine klimaresiliente Entwicklung auf den Weg bringen könnten. Erwärmt sich die Erde um mehr als 1,5 Grad, wird dies noch schwieriger und bei mehr als zwei Grad in einigen Regionen der Welt unmöglich.

Die Aussichten auf eine klimaresiliente Entwicklung sind zunehmend beschränkt, wenn nicht die Treibhausgasemissionen rapide gesenkt werden. Unter dem politischen Druck, dem eskalierenden gewaltsamen Konflikt in der Ukraine Einhalt zu gebieten, werden in vielen Ländern die energiepolitischen Weichen derzeit neu gestellt. Dies bietet Chancen, die Energiewende erheblich zu beschleunigen. Es besteht aber auch die Gefahr, dass der Klimaschutz weiter ins Hintertreffen geraten könnte.

Davor warnte UN-Generalsekretär António Guterres. Die Länder könnten sich darüber verzehren, ihren unmittelbaren Bedarf an fossilen Brennstoffen zu decken, dass sie dabei politische Handlungskonzepte zur Verringerung fossiler Energieträger vernachlässigen. „Das ist Wahnsinn“, so Guterres. Das Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, liege quasi „auf der Intensivstation“.

Der neue IPCC-Bericht plädiert für rasche, umfassende, effektive und innovative Maßnahmen, bei denen Synergien genutzt werden und Trade-offs zwischen Anpassung und Klimaschutz verringert werden, um eine nachhaltige Entwicklung voranzubringen. Der Gegenwart und Zukunft des Klimaschutzes will sich der Weltklimarat im dritten Teil seines Sachstandsberichts ausführlicher widmen, der am 4. April 2022 veröffentlicht werden soll.

Christina Kamp

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