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Debatte: Wir müssen China im Blick behalten

China gilt als Russlands wichtigster Verbündeter, der Ukrainekrieg ist auch Zeichen eines offenen Kampfes der politischen Systeme. Was bedeutet die chinesische Position für die aktuelle Lage – und die friedensstiftende Institution der Vereinten Nationen insgesamt? Ein Meinungsbeitrag.

Man sieht die Schultern von zwei Soldaten. Auf der einen ist eine chinesische Flagge als Abzeichen, auf der anderen das Logo der UN.
Auch chinesische Blauhelme sind Teil von UN-Friedensmissionen. (UN Photo/JC McIlwaine)

Seit drei Wochen herrscht Krieg in der Ukraine – und wir warten weiterhin auf eine klare Positionierung der chinesischen Regierung. Schon einen Tag nach dem Angriff Russlands brachte der ukrainische Botschafter in Japan China ins Spiel. Ein solches „Massaker“ sei dem 21. Jahrhundert nicht angemessen. Für eine zumindest offene Haltung Chinas sprach in der Folge, dass sich die chinesische Regierung trotz der beschworenen engen chinesisch-russischen „Partnerschaft ohne Grenzen (4.2.)“ im Sicherheitsrat enthalten hat.

So oder so ist China Russlands wichtigster Verbündeter, Chinas Stimme hat Gewicht. Beide Staaten kämpfen Seite an Seite gegen den sogenannten Westen, womit auch globale Regelsysteme und universale Menschenrechte gemeint sind. Beide Länder wollen den Großmachtstatus „zurück“. Experten gehen davon aus, dass die chinesische Regierung in die russischen Pläne eingeweiht war: Kurz vor der Eröffnung der Winterspiele im Februar 2022 gab es wohl die entscheidende Rückendeckung für Putins Einmarsch. Beide Staatsoberhäupter forderten gemeinsam einen Stopp der NATO-Osterweiterung. Der Einmarsch selbst erfolgte dann kurz nach dem Ende der Winterspiele, vermutlich um diese nicht zu beeinträchtigen.

Die Welt formiert sich neu

Dieses Bekenntnis zu einer gemeinsamen „Front“, die klare Legitimierung des russischen Einmarsches war deutlich. Was 2002 noch mit dem NATO-Russland-Rat begann – und dem Wunsch Putins, dem Bündnis beizutreten – endete nach dem Lissabon-Gipfel 2010. Seither formiert sich die Welt neu, es ist ein immer offenerer Kampf der politischen Systeme.Wir beobachten die Stärkung autokratischer Regime weltweit, die schleichende Austrocknung zivilgesellschaftlicher Räume, sowie die Umformung der Grundfesten einer friedensstützenden Institution, der Vereinten Nationen.

China – damals noch die Republik China – war eines von den 50 Ländern, die die UN-Charta ausgearbeitet und den Weg für die Gründung der Vereinten Nationen ebneten. Die Aufnahme der Menschenrechte in die UN-Charta – das Gründungsdokument der Vereinten Nationen, in dem die wichtigsten Grundsätze der internationalen Beziehungen kodifiziert sind – wurde von den Wissenschaftlern der chinesischen Delegation unterstützt.

Heute sind wir weit entfernt von Formaten der Kooperation oder des Konsenses. US-Präsident Bidens Demokratiegipfel letztes Jahr wird in China als Farce belächelt. In chinesischen Resolutionen ist zu lesen, nur in China gäbe es die wahre und „effiziente“ Demokratie, wahre Menschenrechte und eine geordnete Führungsnachfolge. Die Verankerung eigener Vorstellungen von Menschenrechtssystemen in UN-Dokumenten geschieht vor allem durch die Aufnahme von chinesischen scheinbar harmlosen rhetorischen Versatzstücken, die auf die Stärkung der Souveränität der Staaten abzielen. Was „Rule-of-Law“ wirklich bedeutet, möchte die chinesische Regierung zum Beispiel in Hongkong vorführen. Per Gesetzesdekret wird „aus der Ferne“ in Beijing eine politische Ordnung zu seinen Gunsten soweit verändert, dass ein Einmarsch nicht mehr nötig sein wird.

Einflusssphären und Energiesicherheit – es geht um's Ganze

Was steht auf dem Spiel? Unser Planet. Der Krieg ist auch ein Krieg um Energieressourcen und gegenseitige Abhängigkeiten. Der Krieg kommt inmitten einer existentiell bedrohlichen Klimakrise und expandierender Öl-, Kohle- und Gaskonzerne.

Es geht um Einflusssphären, deren Legitimierung, Energiesicherheit, den Zugang zur Arktis. Was als einigendes Element auch zwischen den USA und China hätte fungieren können, das Klimaschutzbündnis, droht zu zerbrechen. In Punkto Klimaschutz hat China allerdings mehr zu verlieren als Russland, dessen Wirtschaft abhängig ist vom Export fossiler Brennstoffe. China hatte zumindest vor, sich aktiv im Klimaschutz vor allem im Rahmen der Seidenstraßeninitiative zu engagieren.

Die in der chinesischen Verfassung verankerte Seidenstraßeninitiative selbst, das Kernprojekt der Ära Xi, steht nun auf dem Spiel. Die Ukraine ist zentraler Bestandteil dieser Initiative. Auch diplomatische Formate wie das 16+1 Format werden Makulatur. Am 14. März 2022 endeten die „zwei (wichtigsten) Sitzungen“ (Lianghui, 两会) des Nationale Volkskongress der Volksrepublik China (dem „Parlament Chinas“) und der Konsultativkonferenz der Kommunistischen Partei China. Sie geben die Marschrichtung vor: Klimaschutzambitionen rücken nun in den Hintergrund, (fossile) Energiesicherheit und ein stark erhöhter Militärhaushalt ins Zentrum. Dabei wäre die Klimakatstrophe auf lange Sicht folgenreicher, doch das Leid des Krieges ist jetzt, spürbar, sichtbar. Dabei ist die Lösung, die Energieautarkie und Umweltschutz vereint so nah: Erneuerbare Energien können beides. Menschenrechte und Klimaschutz, das darf keine Alternative sein. Im Gegenteil, der Schutz von Menschenrechten und unserem Klima, kann nur zusammen gehen.

Großmachtpolitik statt internationaler Verbindlichkeit

Man bekommt den Eindruck, dass die Pandemie die Weitsichtigkeit moderaterer Politiker und Politikerinnen verstummen lässt. Außenpolitik scheint getrieben von extrem nationalistischen DiplomatInnen. 2022 sollte das Jahr der Krönung des „höchsten Führers der Großmacht China“ (Volkszeitung) werden, zum 20. Parteitag im Herbst. UN-Verträge und Menschenrechtskonventionen werden mit den Füßen getreten, zugunsten einer Großmachtpolitik. Es geht um die Unterwerfung um jeden Preis, nicht mehr um überlegte Diplomatie und langfristige Ziele. Eine politische Kultur gewinnt die Oberhand, in der Verschwörungstheorien überlegtem Handeln gegenüberstehen. Eine Zeitenwende, die ein weiteres Mal der Welt vor Augen geführt, wie wenig internationale Verträge und Regelwerke wert sind. Die Ukraine kann sich, sollte sich China tatsächlich für Waffenlieferungen an Russland entscheiden, nicht mehr auf den China-Ukraine Vertrag aus dem Jahr 2013 verlassen (was sie seit der Annexion der Krim schon nicht konnte). Auch wir sollten uns der Realität nicht verschließen. Wir erleben seit vielen Jahren eine Abkehr der chinesischen Politik von Dialog und pragmatischer Politik. Das Bekenntnis zur UN-Charta und der Respekt der Souveränität anderer Staaten wird wertlos, sollte China weiter den Einmarsch legitimieren.

Zuviel steht auf dem Spiel, auch für China. Zurzeit erfährt China einen erneuten harten Rückschlag durch die Pandemie. Es gab bisher immer Raum für Neukalibrierung, betrachtet man etwa das Verhältnis Japan-China. Daher steigt mit jedem Tag des Krieges die Wahrscheinlichkeit, dass sich China einmischen wird. Wir hoffen für die Rückkehr einer auf die Zukunft gerichteten, verantwortungsvollen, verlässlichen und langfristig gedachten Politik. Und die weitere Auseinandersetzung, über Demokratie, Menschenrechte und Klimaschutz.

Dr. habil. Nora Sausmikat, Sinologin, China Desk urgewald e.V.

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