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„Wir wollen unsere Heimat nicht zwangsweise verlassen“

Um die Vertreibung der Menschen durch den Klimawandel ging es bei einer gut besuchten Podiumsdiskussion in Berlin kurz vor dem Abschluss des Bonner Klimagipfels. Zwei Klimabotschafterinnen aus Kiribati machten auf sehr persönliche Weise deutlich, welche menschlichen Schicksale dahinterstehen und wie der Klimawandel nicht nur die Lebensgrundlagen, sondern auch Hoffnungen, Kulturen und Lebensstile zerstört. Doch es bleibt die Hoffnung auf Gegensteuern und das Einhalten von Klimaschutzzielen, in Deutschland durch den Ausstieg aus der Kohle.

Klimabotschafterin aus Kiribati berichtet in Berlin über die Klimafolgen und Klimaflucht.
Klimabotschafterin Vasiti Tebamare aus Kiribati bei der Veranstaltung der DGVN, der Deutschen Klima Stiftung und der Klima-Allianz Deutschland in der Bremer Landesvertretung in Berlin am 16. November 2017. (Bild: H.C. Neidlein)

„Ende Juni fiel in Berlin innerhalb von 24 Stunden so viel Regen wie sonst in einem halben Jahr. Die Medien berichteten rauf und runter. Nach 48 Stunden war – dank Feuerwehr und Technischem Hilfswerk das Wasser aus den Kellern gepumpt und die Welt war im Wesentlichen wieder die alte. In Kiribati und in 21 weiteren südpazifischen Inselstaaten hilft keine Feuerwehr und kein THW, denn das Wasser, das sie bedroht kann man nicht abpumpen. Den steigenden Meeresspiegel kann man nicht wirksam aufhalten und mit den kleinen Staaten verschwinden 22 Kulturen, 22 Arten einen ein Lied zu singen oder einen Witz zu erzählen, 22 Arten zu lachen, zu weinen und 22 Arten unseren Kindern „Gute Nacht“ zu sagen. Alles weg! Und die Welt wird nie wieder die alte sein“. Auf diese Weise verdeutlichte Arne Dunker, Vorstand der Deutschen Klimastiftung, wie der Klimawandel Menschen in Ozeanien und anderen weniger entwickelten Ländern des Südens existentiell trifft und ganze gewachsene Gesellschaftssysteme bedroht. „Und die Medien – Stille! Climate Silence nennt man das in Amerika, wo das der Klimawandel in den Medien noch weniger eine Rolle spielt als hierzulande. Und hier ist es schon verdammt leise. Außer, ja außer es ist Weltklimakonferenz!“, so Dunker.

Wanderausstellung Klimaflucht an der Spree

Während in Bonn am zweitletzten offiziellen Verhandlungstag der COP 23 noch die Delegationen tagten, lud nun die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) zusammen mit der Deutschen Klima Stiftung und der Klima-Allianz Deutschland zu einer Podiumsdiskussion in die Bremer Landesvertretung in Berlin ein. Dort wurde auch die Wanderausstellung Klimaflucht zum ersten Mal in der Hauptstadt präsentiert, die seit zwei Jahren durch Deutschland tourt und zuvor auch bei der COP 23 in Bonn gezeigt wurde. „Wir wollen damit verstärkt darauf hinweisen, wie der Klimawandel Millionen von Menschen in die Flucht zwingt“, unterstrich Dr. Lisa Heemann. DGVN-Generalsekretärin.

Hier gibt es keine Bettler

„Ich bin so stolz auf unser Land. Wir sind gemessen am Bruttosozialprodukt eines der ärmsten Länder der Welt, aber hier gibt es keine Bettler, wir sind gewohnt zu teilen. Wir haben keine Altersheime, wir leben hier mit unseren Eltern und Großeltern zusammen“. Gebaut wird meist mit lokal verfügbaren Materialien berichtete Vasiti Tebamare, Klimabotschafterin von Kiribati, die die COP 23 zu einem Abstecher nach Berlin nutzte.  Der 110.000 Einwohner zählende Inselstaat erstreckt sich über 33 Inseln Mikronesiens und Polynesiens, die über ein weites Gebiet nördlich und südlich des Äquators verstreut liegen. „Gesundheit, Frieden und Wohlstand“ ist das offizielle Motto der Republik, die am 12. Juli 1979 ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich erklärte. Kiribati ist im besonderen Maße vom Klimawandel bedroht. Nach Berechnungen der Weltbank könnte die Inselgruppe im Jahr 2050 größtenteils nicht mehr bewohnbar und spätestens 2070 überschwemmt sein, wenn nicht bald mit engagierten Klimaschutzmaßnahmen gegengesteuert wird.

Versalzene Brunnen und geschlossene Schulen

Vasiti Tebamare veranschaulichte mit eindrucksvollen Bildern wie ernst die Situation auf den flachen Inseln in der Weite des Pazifiks schon ist. So nahmen Stürme und Überschwemmungen stark zu. Häuser und Straßen in Küstennähe werden unterspült und teilweise weggeschwemmt. Schüler können tagelang die Schulen nicht mehr besuchen, weil die Straßen nicht mehr passierbar sind oder der Schiffsverkehr zwischen den Inseln bei extremen Wetterlagen eingeschränkt ist. Hausbrunnen können aufgrund des steigenden Salzgehalts des Wassers nicht mehr für Trinkwasser genutzt werden. Landwirtschaftliche Anbauflächen können nicht mehr genutzt werden und teure Importe sind notwendig. Eltern lassen ihre kleinen Kinder aufgrund der steigenden Hitze und UV-Einstrahlung ihre Kinder nicht mehr so häufig draußen spielen. „Leute und Politiker, die den Klimawandel leugnen sollten einmal zu uns kommen, um die Folgen mit eigenen Augen zu sehen“, sagte Tebamare.

Mangroven zum Küstenschutz

Gegensteuern vor Ort ist kaum oder nur begrenzt möglich. Eine wichtige Maßnahme zum Küstenschutz ist der Schutz und die Neuanpflanzung von Mangroven, die die Wucht der Wellen abmildern und Erosion minimieren. Auch die Nutzung einer klimaschonenden Stromversorgung mit Photovoltaik, meist kleine Anlagen zur Eigenversorgung, wird weiter vorangetrieben, berichtete Tebamare im Gespräch. Zudem wird auch mit internationaler Unterstützung die Ausbildung und Bildung vor allem von Kindern und Jugendlichen vorangetrieben, um deren beruflichen Zukunftschancen, auch im Falle von einer erzwungenen Auswanderung zu verbessern. So bat der frühere Präsident Kiribatis Anote Tong das benachbarte Neuseeland bereits 2010 darum rund 100 Übersiedler jährlich aufzunehmen. Seit 2016 nimmt Neuseeland eine kleine Quote Klimaflüchtlinge auf. 2012 kaufte Kiribati etwa 24 Quadratkilometer Land der zu Fidschi gehörenden Insel Vanua Levu auf.

Alles tun, damit die Menschen dableiben können

 „Wir wollen unsere Heimat nicht zwangsweise verlassen, wir lieben unser Land“, sagte Maria Tiimon, Pacific Outreach Officer von der Nichtregierungsorganisation Pacific Calling Partnership. „Kiribati ist eine friedliche Insel, wir sollten alles tun, damit die Menschen dortbleiben können“, betonte sie. Sie selbst hat sich vor einiger Zeit entschieden nach Australien umzusiedeln, weil sie dort bessere berufliche Perspektiven sieht. „Doch Migration muss eine freiwillige Entscheidung sein, keine erzwungene“, unterstrich Tiimon. „Als ich meinem Vater damals erzählte, dass ich nach Australien ziehen will und ihn fragte, ob er mitkommen wolle, wünscht er mir alles Gute, aber zog es vor in seiner Heimat zu bleiben“, erzählte sie.

Migration muss freiwillige individuelle Entscheidung bleiben

„Wir wollen den Menschen helfen, dort zu bleiben, wo sie leben wollen und ihre Heimat nicht zwangsweise verlassen zu müssen“, unterstrich auch Ilse Hahn, Referatsleiterin für Grundsatzfragen Flucht und Migration im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). „Migration muss eine freiwillige Wahlentscheidung jedes Einzelnen bleiben“, unterstrich sie. Skeptisch beurteilt sie, ebenso wie Malte Hentschke, Referent bei der Klima-Allianz Deutschland eine bisher fehlende rechtliche Anerkennung von Klimaflüchtlingen in der UN-Flüchtlingskonvention. Doch dennoch ist es wichtig die Situation von Klimaflüchtlingen und deren rechtliche Stellung zu verbessern, unterstrichen sowohl Hahn als auch Hentschke. Oliver Hasenkamp von der DGVN berichtete von einer Initiative des Premierministers von Tuvalu auf der COP 23, eine UN-Konvention auf den Weg zu bringen, welche sich mit klimabedingter Immigration befasst.

Kohleausstieg in Deutschland überfällig

Doch einig waren sich die Referenten mit den beiden Vertreterinnen Kiribatis, dass es primär darum gehen muss, die klimaschädlichen Emissionen der Hauptverursacherländer zu reduzieren. “Wir sind sehr enttäuscht, dass Australien und Deutschland nicht zu ihren Verpflichtungen im Klimaschutz stehen“, sagte Tiimon. „Wir haben eine absolute Bringschuld“, unterstrich Hentschke. Ein Plädoyer, dem sich auch Dr. Jacob Schewe, Klimaphysiker beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) anschloss. Der größte Hebel, um das für Deutschland vereinbare Klimaziel einer 40-prozentigen CO2-Reduzierung bis 2020 noch zu erreichen, ist der zeitnahe Kohleausstieg. Darüber herrschte Einigkeit bei der Veranstaltung. Man darf gespannt sein, ob eine neue Bundesregierung dies umsetzt. In Folge geht es darum die gesamte Wirtschaft, Energieversorgung und Infrastruktur umzubauen und unseren Lebensstil zu verändern, um die Emissionen bis 2050 um 95 Prozent zu verringern, eine Herkulesaufgabe.

Die Klimabotschafterinnen aus Kiribati zeigten sich jedoch trotzdem zuversichtlich, obwohl die COP 23 in Bonn nicht den großen Durchbruch brachte.  „Die vielen guten Initiativen von unten geben uns viel Hoffnung, dass wir gemeinsam umsteuern können“, sagte Maria Tiimon. „Aber wir brauchen jetzt Taten, nicht erst morgen oder übermorgen“, unterstrich sie.

Hans-Christoph Neidlein

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