Weltklimarat IPCC: 1,5 Grad Celsius und nicht mehr
Nicht mehr als 1,5 Grad Celsius! So lautete in den letzten Jahren immer wieder die Forderung der Inselentwicklungsländer bei internationalen Klimaverhandlungen. Lange Zeit blieben sie ungehört, denn viele andere Regierungen waren der Auffassung, es werde schon mühsam genug werden, den globalen Temperaturanstieg auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Aber bei der UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015 wurden die 1,5 Grad als anzustrebendes Ziel in das internationale Klimaabkommen aufgenommen.
Der Weltklimarat IPCC wurde von der UN-Klimakonferenz in Paris gebeten, einen Bericht dazu zu erarbeiten, wie sich 1,5 Grad Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auswirken und was geschehen muss, um dieses Klimaziel zu erreichen. Dieser IPCC-Sonderbericht wird sowohl wissenschaftlich als auch politisch einen hohen Stellenwert haben. Die meisten bisher vorliegenden Klimaberichte orientieren sich am 2-Grad-Ziel.
Das IPCC-Plenum im April 2016 in Nairobi beschloss, zur Erarbeitung des Sonderberichtes ein internationales Expertengremium unterschiedlicher natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Fachrichtungen zu berufen. Das „Scoping Meeting“ (Sondierungstreffen) der mehr als 60 Fachleute in Genf vom 15.-18. August 2016 hatte zum Ziel, Schwerpunkte des Berichts zu erörtern und die Arbeitsweise zu planen. Die Ergebnisse werden beim nächsten IPCC-Plenum im Oktober 2016 in Bangkok vorgelegt und beschlossen. Der Sonderbericht selbst soll im September 2018 vom IPCC-Plenum verabschiedet werden.
Der Sonderbericht wird zur Messlatte dafür werden, ob die Länder genug für den Klimaschutz tun, betonte der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee bei der Eröffnung des Expertentreffens. Der Bericht werde die Grundlage dafür bieten, 2018 auf wissenschaftlicher Basis zu überprüfen, ob die Klimapläne der 195 UNFCCC-Vertragsstaaten ausreichen, um de Klimawandel im erforderlichen Umfang zu begrenzen.
Kann das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden?
Seit der Verabschiedung des internationalen Klimaabkommens in Paris wird von Klimawissenschaftlern intensiv debattiert, ob es noch möglich sein wird, das verbindlich festgelegte Ziel der Begrenzung der globalen Erwärmung von 2 Grad und das angestrebte Ziel von 1,5 Grad zu erreichen. Viele Experten gehen davon aus, dass eine Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs von 1,5 Grad erfordert, dass nach einer Übergangsphase von fünf Jahren nicht mehr klimaschädliche Emissionen ausgestoßen werden, als gleichzeitig gebunden werden können durch das das Anpflanzen von zusätzlichen Bäumen und die technische CO2-Abscheidung aus der Atmosphäre.
Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass eine derart gewaltige Zahl von Bäumen in kurzer Zeit gepflanzt werden kann, zumal große Bedenken bestehen, welche Auswirkungen dies auf die verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen und damit die Ernährung der Menschheit haben könnte. Die Technologien zur CO2-Abscheidung sind noch nicht ausgereift, und es bestehen Zweifel, ob es möglich sein wird, anschließend riesige Mengen Kohlendioxid über Tausende von Jahren sicher zu speichern.
Manche Fachleute gehen sogar davon aus, dass für das Erreichen der Klimaziele in einigen Jahren negative Emissionen („overshoot“) erreicht werden müssen, die neuen Emissionen also niedriger sein müssen als die Menge des neu gespeicherten CO2.
Bestehen unter diesen Umständen überhaupt Aussichten, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen? Sabine Fuss, ein deutsches Mitglied des IPCC-Expertengremiums, äußerte in Genf: „Es wird schwierig werden, aber es gibt auch Möglichkeiten.“
Entwicklungsländer plädieren für eine konsequente Reduzierung der Emissionen
Viele Entwicklungsländer stehen dem Vertrauen auf technische Lösungen des Problems klimaschädlicher Emissionen skeptisch gegenüber und plädieren für kurzfristig wirkende drastische Emissionsreduzierungen. Das 1,5-Grad-Ziel gibt ihren Forderungen Auftrieb, denn es kann ohne solche Reduzierungen keinesfalls erreicht werden. Bei einem Verfehlen dieses Ziels wird aber ein Untergang von pazifischen Inseln und niedrig gelegenen Küstenregionen in Ländern wie Bangladesch nicht mehr zu verhindern sein wird.
Besonders die „overshoot“-Debatte wird im Süden der Welt mit großen Vorbehalten aufgenommen. Emmanuel de Guzman, der Sekretär der Klimakommission der Philippinen, erklärte vor Beginn der Genfer Beratungen: „Es besteht die Gefahr, dass ‚overshoot‘ zu einem glitschigen Abhang auf dem Weg zu geringeren Ambitionen wird.“
Vom Ende des fossilen Zeitalters
Um überhaupt eine Chance zu haben, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wird nach Überzeugung vieler Klimafachleute die Nutzung fossiler Energiequellen bis Mitte des Jahrhunderts drastisch reduziert und bald darauf ganz beendet werden müssen. Auch wenn die exakten zeitlichen Szenarien im Laufe der Beratungen des IPCC-Expertengremiums noch präzisiert werden müssen, besteht kein Zweifel, dass der Sonderbericht deutlich machen wird, dass ein rascher Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung zum Erreichen der Klimaziele unverzichtbar ist.
Wenn sich das internationale Expertengremium den Einschätzungen des angesehenen deutschen Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber anschließt, wird es eine Schließung aller Kohlekraftwerke auf der Welt bis 2025 als erforderlich ansehen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Und bis 2030 müsste dann der Prozess der Dekarbonisierung abgeschlossen sein.
Nachhaltige Entwicklungsziele und Klimaziele können nicht voneinander getrennt werden
Breiten Raum nahm in den Präsentationen und bei den Beratungen in Genf ein, dass Entwicklungs- und Klimaziele aufs Engste miteinander verbunden werden müssen und nur gemeinsam zu erreichen sind. Deshalb wird der geplante IPCC-Sonderbericht ein Kapitel über nachhaltige Entwicklung, Armutsbeseitigung und die Reduzierung von Ungleichheit enthalten.
Nebojsa Nakicenovic, Energieökonom und stellvertretender Leiter eines internationalen Forschungsinstituts mit Sitz in Österreich, sprach in Genf von einer „fundamentalen Transformation“ der Weltwirtschaft, die durch eine solche Verbindung von Entwicklungs- und Klimazielen entstehen werde.
Wissenschaftliche Zusammenarbeit ohne politischen Druck
Eine große Chance des Expertengremiums besteht darin, dass es keinen unmittelbaren politischen Druck auf die Beratungen und die Formulierung des Berichtes gibt. Professor Harald Winkler, ein führender südafrikanischer Klimaexperte, äußerte sich positiv darüber, dass der Fokus beim ersten Treffen des neuen IPCC-Expertengremiums auf dem wissenschaftlichen Austausch gelegen habe: „Dies zeigte sich in einem guten, kollegialen Geist unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Genf – obwohl es manchmal unterschiedliche Auffassungen gab, war stets eine Bereitschaft vorhanden, voranzukommen und einen guten Informationsaustausch zu fördern.“
Es wird sich erweisen, ob das IPCC-Plenum, in dem die Regierungen aus aller Welt vertreten sind, den gleichen Geist ernsthafter wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Klimawandel und seiner Begrenzung aufbringen oder aber versuchen wird, für einzelne Länder unbequeme Erkenntnisse im Sonderbericht zu tilgen oder zu relativieren. Wenn das abgewehrt werden kann, hat dieser Bericht alle Aussicht, zu einer wichtigen Grundlage für ambitionierte gemeinsame Anstrengungen zur Begrenzung des Klimawandels zu werden. Man darf gespannt sein, welche Konsequenzen danach die UN-Klimakonferenz 2018 aus den Ergebnissen des Sonderberichts ziehen wird.
(Frank Kürschner-Pelkmann)