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Tourismus in Corona-Zeiten

Weniger Fernreisen, weniger fliegen, mehr Naherholung – was in der Tourismuskritik zugunsten des Klimaschutzes schon lange gefordert wurde, gelingt derzeit im Bemühen, die SARS-CoV-2-Pandemie einzudämmen. Der Tourismus ist eine der von den Anti-Corona-Maßnahmen besonders betroffenen Branchen.

Menschenmenge in Prag. (Foto: Christina Kamp)

Anfang März hätte in Berlin die Internationale Tourismusbörse (ITB) stattfinden sollen. Sie war eine der ersten Großveranstaltungen, die angesichts steigender Infektionszahlen abgesagt wurden. Ein erster Schock für die Branche. Weitere folgten: Ausgangs- und Reisebeschränkungen bis hin zum „Lockdown“ in verschiedenen Ländern, geschlossene Grenzen, ausgesetzte Flüge, Bahn- und Busverbindungen.

Mit Stand vom 19. Juli 2020 hatten nach Erhebungen der Welttourismusorganisation (UNWTO) nur 40 Prozent aller Staaten die verhängten Reiserestriktionen gelockert, darunter etwa zur Hälfte europäische Länder, zu einem Viertel kleine Inselstaaten, die vom Tourismus besonders abhängig sind. Mit den nun vielerorts wieder oder weiter steigenden Infektionszahlen werden Reisewarnungen und -beschränkungen erneut aktuell.

Aus gutem Grund. Denn es war vor allem der internationale Reiseverkehr, der aus der Epidemie in China Anfang des Jahres in kurzer Zeit eine Pandemie machte. Reisende verbreiteten das Virus um den Erdball, Urlaubsorte wurden zu Hotspots. Denn der Tourismus fördert im eigentlich positiven Sinne genau das, was nun in Corona-Zeiten Gefahrenpotenzial birgt: persönliche Begegnungen, sowohl zwischen Gästen und Einheimischen als auch zwischen Reisenden untereinander, während der An- und Abreise und vor Ort.

Die Infektionsrisiken bestehen weiter. Doch Sorge bereiten mehr und mehr die drohenden Insolvenzen und der Verlust von Arbeitsplätzen, Einkommen und Deviseneinnahmen, auf die viele Länder angewiesen sind. Die Umsatzeinbußen im Tourismus in Folge der Pandemie erreichten laut UNWTO bereits Ende Mai eine Rekordhöhe von 320 Milliarden US-Dollar – das Dreifache der Kosten der Wirtschaftskrise von 2009.

Während der Verkauf und Konsum dinglicher Produkte meist aufgeschoben und nachgeholt werden kann, ist der Tourismus als Dienstleistungssektor ein reines Auslastungsgeschäft. Einmal entgangene Umsätze, z. B. durch leer bleibende Hotelbetten, können nicht mehr zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden.
 

Wirtschaftsfaktor Tourismus

Nach Schätzungen des Wirtschaftsverbandes World Travel & Tourism Council (WTTC) entfiel 2019 mehr als jeder zehnte Job weltweit direkt oder indirekt auf den Tourismus. Insgesamt waren das etwa 330 Millionen Arbeitsplätze. Seine Vernetzung mit anderen Wirtschaftsbereichen, sonst eine der Stärken des Tourismus, führt in der Krise zu Domino-Effekten. Denn wo keine Gäste mehr kommen, bricht nicht nur in der Hotellerie, sondern auch bei Zulieferern in Landwirtschaft, Gastronomie oder im Kunsthandwerk die Nachfrage weg.

Die meisten Tourismusbetriebe sind kleine oder mittelständische Unternehmen. Die Branche ist personalintensiv. Entsprechend viele Jobs sind in der Krise bereits verloren gegangen Laut UNWTO könnten 100 bis 120 Millionen Arbeitsplätze betroffen sein. In vielen dieser Jobs waren die Arbeitsbedingungen bereits vor der Krise prekär, die Bezahlung schlecht. Die Arbeit ist oft saisonal und vor allem in Ländern mit niedrigem Einkommen häufig im informellen Sektor angesiedelt, ohne soziale Absicherung. Entsprechend verfügen viele der im Tourismus Beschäftigten kaum über Ersparnisse, um die Corona-Krise gut überstehen zu können, und die Unternehmen kaum über Rücklagen. Die UNWTO fürchtet, dass die Pandemie und die Versuche, sie in den Griff zu bekommen, dazu führen könnten, dass der internationale Tourismus 2020 um 60 bis 80 Prozent schrumpft.
 

Resilienz des Tourismussektors

Auch in der Vergangenheit hat es durch Wirtschaftskrisen, Terroranschläge, Naturkatastrophen oder Epidemien Einbußen im Tourismusgeschäft gegeben. Meist hat sich die Branche schnell wieder erholt, und das obwohl touristische Reisen keineswegs „systemrelevant“ sind. Das Luxusgut Urlaub können sich global gesehen nur sehr wenige Menschen leisten. Doch für die, dies es können, scheint es unverzichtbar geworden zu sein.

Die UNWTO rechnet damit, dass sich der Inlandstourismus in vielen Ländern sehr viel schneller erholen wird als der internationale Reiseverkehr. Beliebte Sommerreiseziele, wie in Deutschland die Nord- und Ostseeküsten, stoßen gerade durch den einheimischen Tourismus bereits wieder an Kapazitätsgrenzen – wenngleich bei reduzierter erlaubter Auslastung und mit Abstandsregeln. In vielen anderen Teilen der Welt wird die wirtschaftliche Erholung jedoch noch lange auf sich warten lassen.
 

Systemimmanente Probleme

„Overtourism“ hat vor der Krise in verschiedenen Zielgebieten zu zahlreichen ökologischen und sozialen Belastungserscheinungen geführt. Beliebte Städte wie Venedig, Barcelona oder Dubrovnik konnten sich vor dem Besucheransturm kaum retten. Der Tourismus, insbesondere der Flug- und Schiffsverkehr, trägt erheblich zum Klimawandel bei. Sein Anteil wird auf fünf bis 14 Prozent geschätzt. Vielerorts bedeutet die Corona-Krise für Einheimische, Natur und Umwelt eine Erholungspause.

Doch die Krise löst die sektorimmanenten Probleme nicht. Dazu gehören das seit Jahrzehnten enorme Wachstum der Branche mit allen ökologischen Folgen, der hohe Flächen- und Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit vieler Länder und Regionen vom Tourismus und die Schwierigkeiten, Besucherströme räumlich und zeitlich zu entzerren.
 

Tourismus der Zukunft

Dass Flugzeuge am Boden bleiben, ist unter Klimaschutz-Gesichtspunkten durchaus wünschenswert. Es besteht jedoch die Gefahr, dass durch die Corona-Krise für den Klimaschutz nicht wirklich etwas gewonnen wird. Unternehmen könnten sich in Zukunft noch vehementer gegen Umweltauflagen wehren, Regierungen den Schutz der Umwelt und den Kampf gegen den Klimawandel noch zögerlicher angehen.

Schon jetzt zeigt sich, dass Programme zur Stützung der Wirtschaft kaum oder gar nicht genutzt werden, um den nötigen Wandel im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) herbeizuführen. Die Corona-Krise könnte mittelfristig ausgestanden sein. Der Klimawandel mit all seinen verheerenden Auswirkungen wird sich jedoch beschleunigen.

Doch wie kann ein wirklich „besserer“ Tourismus während und nach der Pandemie aussehen? In der Theorie besteht Einigkeit, dass er weniger negative und mehr positive gesellschaftliche und ökologische Wirkungen haben muss. „Building back better“ lautet der entsprechende Slogan der UNWTO. Im Rahmen des geplanten “World Travel Market” (WTM) im November in London sollen sich führende Tourismusverantwortliche aus verschiedenen Teilen der Welt damit beschäftigen und einen Plan für eine „sicherere, grünere und smartere Zukunft“ des Sektors entwerfen. Die Krise könnte als Chance für strukturelle Veränderungen gesehen und genutzt werden. Die Gefahr, dass es einfach nur um eine schnelle Rückkehr zur „Normalität“ gehen wird, ist jedoch groß.


Christina Kamp

 

Weitere Informationen:

ILO: The impact of COVID-19 on the tourism sector, ILO Sectoral Brief, Mai 2020

OECD: Tourism Policy Responses to the coronavirus (COVID-19). Aktualisiert 2. Juni 2020.

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