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Resilient, aber auch nachhaltig

Die Corona-Pandemie ist eine harte Bewährungsprobe für die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften, überall auf der Welt. Sie zeigt die Bedeutung von Resilienz als einem wichtigen Ansatz zur Bewältigung der vielfältigen Dimensionen dieser und weiterer aktueller und zukünftiger Krisen.

Überschwemmungen nach Tropensturm Jeanne in Haiti
Armut, Klimawandel, Pandemie – es braucht gezielte Investitionen in die Widerstandsfähigkeit der Menschen. (UN Photo/Sophia Paris)

Resilienz, d.h. Widerstandsfähigkeit oder auch Krisenfestigkeit, ist ein Konzept, dessen Relevanz sich angesichts der aktuellen Krisenerfahrungen stärker und breiter erschließt denn je. Bereits 2014 hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in seinem „Bericht über die menschliche Entwicklung“ Risikofaktoren analysiert, durch die mühsam erreichte Entwicklungsfortschritte zunichte gemacht werden könnten.

In welchem Ausmaß Schocks und Krisen Einbußen bei der menschlichen Entwicklung zur Folge haben, ist von der Fähigkeit der Menschen abhängig, sich auf darauf einzustellen und sie zu bewältigen. Diese Bewältigungs- und Anpassungsfähigkeit bezeichnet UNDP als menschliche Resilienz. Sie zu stärken ist im Laufe der vergangenen Jahre immer dringlicher geworden, um Gefahren für Leib und Leben, unsere Lebensgrundlagen und eine nachhaltige Entwicklung abzuwenden. Wir müssen lernen, uns auf solche Gefahren vorzubereiten, darauf zu reagieren und uns gut davon zu erholen.

Wessen Resilienz?

Dabei ist die Frage, wie einzelne Wirtschaftssektoren oder Unternehmen die Krise überstehen, unter Resilienz-Gesichtspunkten nur eine von vielen möglichen Fragestellungen. Sie zielt auf sektor- oder organisationsspezifisches Krisenmanagement ab, mit dem Ziel, baldmöglichst wieder zum „Normalzustand“ zurückzukehren, unabhängig davon, wie wünschenswert oder nachhaltig dieser eigentlich war. Resilienz heißt entsprechend „wertfrei“ betrachtet, einfach wieder „auf die Beine zu kommen“. Ob nach Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen – in der Vergangenheit ging es meist bald schon wieder weiter wie bisher – einschließlich sämtlicher Nachhaltigkeitsdefizite.

Breiter entwicklungspolitisch angelegt ist die Frage: Wie müssten Gemeinschaften und Gesellschaften aufgestellt sein, um mit Krisen oder unerwünschten Veränderungen bestmöglich umgehen zu können? Und: Welche „Vulnerabilitäten“ bestehen, d.h. inwiefern sind bestimmte Gemeinschaften oder Gruppen in einer Gesellschaft besonders gefährdet, anfällig oder verletzlich – also „vulnerabel“, und was muss man tun, um sie besser zu schützen und widerstandsfähiger zu machen?

Resilient wogegen?

Anders als eine Pandemie entwickeln und verschärfen sich viele Krisen über längere Zeiträume hinweg, darunter einige derjenigen, die laut dem Weltrisikobericht des Weltwirtschaftsforums als die wahrscheinlichsten gelten, wie ein Versagen der Klimapolitik, der dramatische Verlust an biologischer Vielfalt und Wasserkrisen. Andere Bedrohungen, wie zum Beispiel Naturkatastrophen, menschengemachte Umweltkatastrophen oder Cyber-Angriffe, können schockartig Krisen auslösen.

All diese Krisen könnten uns umso härter treffen, je mehr wir sie über die Coronakrise aus dem Blick verlieren. Und sie können zeitgleich auftreten und sich gegenseitig verstärken, zum Beispiel wenn der Klimawandel im sibirischen Permafrostboden Krankheitserreger freisetzt, die längst ausgerottet schienen, wenn durch Klimaveränderungen Tier- und Pflanzenarten aussterben oder es zu dramatischer Wasserknappheit kommt.

In einem Policy Brief „COVID-19 in an Urban World“ der Vereinten Nationen wird daher die Entwicklung und Umsetzung von Resilienz-Plänen empfohlen, in denen mehrere mögliche und absehbare Bedrohungen gleichzeitig berücksichtigt werden, darunter insbesondere Auswirkungen des Klimawandels wie Wirbelstürme und Hitzewellen unter Pandemie-Bedingungen. Solche Pläne sollten auf möglichst desaggregierten Daten bestehen, um ein besseres Verständnis der Vulnerabilitäten einzelner Regionen oder gesellschaftlicher Gruppen zu gewinnen und um gezielter in Krisenvorbeugung, -vorsorge und -bewältigung investieren zu können.

Um Resilienz-Perspektiven programmatisch in die Arbeit der Vereinten Nationen in den Mitgliedstaaten zu integrieren, haben die Vereinten Nationen mit der „UN Common Guidance on Resilience” eine Richtschnur veröffentlicht, die einen umfassenden und mehrdimensionalen Ansatz sicherstellen soll. Investitionen in Resilienz helfen in einer Krise, wirtschaftliche, ökologische und menschliche Verluste zu vermeiden und Entwicklungsfortschritte abzusichern. Sie lenken das Augenmerk auf Bereiche, in denen verschiedene Risiken sich überschneiden, und sie helfen besonders vulnerablen Gruppen.

Resilienz als Transformation

Was im Lichte der Corona-Krise und im Schatten vieler weiterer akuter oder bevorstehender Krisen nottut, ist zudem „transformative Resilienz“. Sie beschreibt die Fähigkeit von Systemen, sich komplett zu wandeln und gestärkt aus einer Krise hervorzugehen. Eingeübte Bürgerbeteiligung und gemeinsame Lernprozesse können helfen, durch Einbeziehung verschiedener Sichtweisen zu gut durchdachten und breit akzeptierten Lösungen zu kommen. Kooperation, Kommunikation und Vertrauen zwischen Regierungen, Wirtschaft und Gesellschaft stärken den Zusammenhalt in solchen Transformationsphasen.

Wirtschafltich lassen sich Krisen besser bewältigen, wenn Länder, Unternehmen und Gemeinschaften nicht nur von einer oder wenigen Einkommensquellen abhängig sind, sondern möglichst breit aufgestellt sind. Durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Selbstversorgung (vor allem, aber nicht nur in der Landwirtschaft), regionalen Wirtschaftskreisläufen und der Einbindung in internationale Versorgungs- und Wertschöpfungsketten werden riskante Abhängigkeiten vermieden.

Ein vorsorgendes Resilienz-Denken stützt und ergänzt das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, ersetzt es aber nicht. Es hilft, Schwachpunkte zu erkennen und auf Krisen besser vorbereitet zu sein. Nicht durch ein „Zurück zum Normalzustand“, sondern nur im Sinne von „Krisen als Chancen“ bei hoher Anpassungs- und Transformationsfähigkeit kann es zudem den Erhalt der Lebensgrundlagen heutiger und auch zukünftiger Generationen befördern. So gehen Resilienz und Nachhaltigkeit Hand in Hand.

 

Weitere Informationen:

UNDP/DGVN (Hg.): Bericht über die menschliche Entwicklung 2014. Den menschlichen Fortschritt dauerhaft sichern: Anfälligkeit verringern, Widerstandskraft stärken. New York/Berlin, 2014

Fathi, Karim: Resilienz im Spannungsfeld zwischen Entwicklung und Nachhaltigkeit. Anforderungen an gesellschaftliche Zukunftssicherung im 21. Jahrhundert. Springer VS, Wiesbaden, 2019

United Nations: Policy Brief COVID-19 in an Urban World. 2020

UNDP: UN Common Guidance on Helping Build Resilient Societies. Final Advance Draft -September 2020

 

Christina Kamp

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