Klimaverhandlungen in Bonn: Steigender Handlungsdruck und mühsame Kompromisssuche
„Sie können zufrieden sein!“, lautete eine Kernaussage in der Eröffnungsansprache von Christiana Figueres an die Teilnehmer der Klimaverhandlungen auf der Grundlage des UN-Rahmenabkommens UNFCCC in Bonn vom 16. bis 26. Mai 2016.
Die Exekutivsekretärin des UN-Klimasekretariats bewertete das Klimaabkommen von Paris vom letzten Dezember als „historischen Erfolg“. Nun komme es darauf an, es durch einen wirksamen Klimaschutz mit Leben zu füllen. Die französische Umweltministerin Ségolène Royal fügte hinzu, in Paris sei das Fundament gelegt worden, jetzt gehe es darum, die Wände und das Dach zu bauen.
Wie dringend dieses Haus benötigt wird, stellte die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) während der Verhandlungsrunde in Bonn dar. Im April 2016 wurden im zwölften Monat in Folge Hitzerekorde gemessen. Außerdem hat die WMO berechnet, dass die globale Durchschnittstemperatur im April um 1,1 Grad über dem Durchschnitt des 20. Jahrhunderts lag.
Trotz dieser alarmierenden Entwicklungen mussten in der ersten Phase der Bonner Klimaverhandlungen erneut viele Stunden dafür aufgewendet werden, sich in Tagesordnungs- und Geschäftsordnungsfragen zu einigen. Dabei ging es vor allem darum, welchen Stellenwert Anpassungsfragen in der Tagesordnung haben sollten und ob Finanzierungsfragen (anders als im Paris-Abkommen vorgesehen) in die nationalen Berichte zu den freiwilligen Klimazielen aufgenommen werden sollen, was die Industrieländer ablehnen.
Parallel und anschließend zu diesen Debatten gab es eine große Zahl formeller und informeller Treffen, bei denen es neben Klimaschutz und Anpassung auch um die Frage ging, wie die erforderlichen Mittel für die Finanzierung von Klimaprogrammen in Entwicklungsländern aufgebracht werden können.
Zähe Verhandlungen um ein Regelwerk
Im Zentrum der Verhandlungen in Bonn stand die Erarbeitung eines „rule book“ (Regelwerkes) für die Umsetzung des Klimaabkommens von Paris. Es müssen u. a. noch viele Details einer transparenten Berichterstattung über die Erfüllung der freiwillig übernommenen nationalen Klimaziele einvernehmlich geregelt werden.
Das erwies sich in Bonn als mühseliger Prozess, denn alte Auffassungsunterschiede aus der Zeit vor dem Paris-Abkommen lebten wieder auf. Eine ganze Reihe von Staaten ist gegen eine konsequente Transparenz und Vergleichbarkeit von nationalen Klimazielen und deren Umsetzung, weil dann die Dürftigkeit der eigenen Ankündigungen überdeutlich würde und ein höherer Druck zu erwarten wäre, diese Ziele nachzubessern.
Brasilien forderte, sich nicht auf das Zählen von Emissions-Einheiten, sondern auf das Erkennen von Fortschritten zu konzentrieren. Das würde allerdings den Druck auf Länder mit hohen Emissionen und niedrigen Klimaambitionen endgültig beseitigen – denn irgendwelche Fortschritte wird jede Regierung präsentieren können.
Außerdem setzen sich nun vor allem Schwellenländer wie China dafür ein, nicht nur bei den Klimazielen selbst, sondern auch bei den Maßstäben für die Überprüfung der Einhaltung dieser Ziele einen deutlichen Unterschied zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu machen, wobei sie sich selbst bei solchen Regelungen uneingeschränkt in die Gruppe der Entwicklungsländer einordnen wollen. In dieser und in vielen anderen Fragen zur praktischen Ausgestaltung des Klimaabkommens konnte in Bonn kein Einvernehmen erzielt werden.
Nationale Klimaschutzpläne weiter unzureichend
Inzwischen haben 189 Staaten ihre nationalen Klimaschutzpläne beim UN-Klimasekretariat eingereicht. Es zeigt sich allerdings, dass die addierten Klimaziele bei Weitem nicht ausreichen, um die globale Erwärmung auf 2 oder 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Schätzungen besagen, dass selbst bei Einhaltung aller Zusagen die globale Durchschnittstemperatur um etwa 2,7 Grad steigen würde.
Die „Internationale Energieagentur“ (IEA) nutzte die Bonner Klimaverhandlungen, um an die Regierungen der Welt zu appellieren, ihr Klimaschutzengagement drastisch zu beschleunigen und dafür vorhandene Technologien und politische Konzepte zu nutzen. Nur so sei es möglich, die in Paris vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Die IEA geht davon aus, dass u. a. die Energieeffizienz erhöht, ineffiziente Kohlenutzung vermindert, in erneuerbare Energieformen investiert und die Subventionierung von fossiler Energie reformiert werden muss.
Bedeutung der Klimawissenschaft angesichts politischer Blockadeversuche
Mit Sorge blickten viele Verhandlungsteilnehmer auf die kommenden Präsidentschaftswahlen in den USA und einen möglichen Wahlsieg des republikanischen Kandidaten Donald Trump. Er hat die von Menschen verursachte globale Erwärmung als „Bullshit“ bezeichnet und erklärt: „Das Konzept der Erderwärmung ist von und für Chinesen gemacht worden, um unsere Industrien weniger konkurrenzfähig zu machen.“ Beunruhigend sind auch die wiederholten Aussagen des saudiarabischen Energieministers Mohamad Al-Sabban: „Unser Vertrauen in die Klimaforscher und ihre Erkenntnisse ist zutiefst erschüttert.“
Dadurch gewann ein Treffen von Teilnehmern der Klimakonferenz und IPCC-Vertretern in Bonn einen hohen Stellenwert. Es wurde beraten, wie die Arbeitsergebnisse des Weltklimarates stärker für die Umsetzung des Abkommens von Paris und zur Motivierung der Länder zur Erhöhung ihrer Klimaschutzambitionen genutzt werden können. Es wurde zum Beispiel vorgeschlagen, dass die IPCC-Sachstandsberichte in Zukunft alle fünf Jahre jeweils ein Jahr vor den turnusmäßigen Überprüfungen der Klimaschutzmaßnahmen der einzelnen Länder erscheinen sollten.
Wichtige Leitungspositionen mit Frauen besetzt
Kurz vor dem Bonner Treffen berief UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die frühere mexikanische Außenministerin und erfahrene Klimadiplomatin Patricia Espinosa zur neuen Leiterin des Klimasekretariats in Bonn. Sie wird im Juli 2016 die Nachfolge von Christiana Figueres antreten, die nach dem desaströsen Scheitern der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen mit viel Geschick und Geduld den Abschluss des Klimaabkommens von Paris vorbereitet hatte.
In Bonn wurden die saudiarabische Diplomatin Sarah Baashan und die frühere neuseeländische Klimabotschafterin Jo Tyndall zu Ko-Vorsitzenden der UN-Klimaverhandlungen zur Umsetzung des Paris-Abkommens berufen. Damit werden erstmals die drei wichtigsten Leitungsaufgaben im Rahmen des UNFCCC-Prozesses von Frauen wahrgenommen. Bemerkenswert ist auch, dass bei den zurückliegenden UN-Klimakonferenzen der Frauenanteil unter den Delegierten bei lediglich 30 % lag, bei der entscheidenden Klimakonferenz in Paris aber bei immerhin 38 %.
Analysen und Vorschläge für einen wirksamen Klimaschutz
Die offiziellen „Roundtables“ und informelle Veranstaltungen am Rande der Bonner Klimaverhandlungen boten Gelegenheit, verschiedene, zum Teil brisante Themen zu diskutieren.
Bei mehreren Veranstaltungen zum Themenbereich Frauenengagement in Klimafragen wurde an die Präambel des Klimaabkommens angeknüpft, in der die Bedeutung der Stärkung von Frauen beim Schutz des Klimas betont wird. Dies wurde in Bonn von Frauen aus allen Regionen der Welt bekräftigt und mit konkreten Forderungen und Vorschlägen verknüpft. Es wurden u. a. Projekte aus Bangladesch und Vietnam vorgestellt, in denen Frauen dafür sorgen, Ernährungssicherheit und Widerstandsfähigkeit angesichts des Klimawandels miteinander zu verknüpfen.
Die European Climate Foundation organisierte ein Expertentreffen zur Begrenzung der klimaschädlichen Emissionen von Luft- und Schiffsverkehr. Diese Emissionen sind im Klimavertrag von Paris nicht berücksichtigt, tragen aber erheblich zur globalen Erwärmung bei und nehmen jedes Jahr um 3 bis 5 % zu. In der International Maritime Organization, einer Einrichtung der Vereinten Nationen, wird deshalb über eine Dekarbonisierung in der Schifffahrt und freiwillige Verpflichtungen zu Emissionsreduzierungen beraten.
Im Rahmen einer weiteren Veranstaltung ging es um die nationalen „Technology Action Plans“. Angestrebt wird die Integration dieser Pläne in nationale Entwicklungspläne sowie Konzepte zur Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen. Die libanesische Delegation stellte dar, wie das Land mit nachhaltigen Formen der Energieerzeugung, einer umweltfreundlichen Landwirtschaft, neuen Bustechnologien und diversen anderen Maßnahmen seine Emissionen um 15 bis 30 % vermindern und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels erhöhen will.
Bei einer „Climate Action Fair“ wurden in Bonn mit Ausstellungsständen und Veranstaltungen gelungene Beispiele dafür vorgestellt, wie zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr und im Autoverkehr Emissionen vermindert werden können. Außerdem wurden Beispiele für erfolgreiche Anpassungsprogramme präsentiert.
Überwiegend positive Stimmen zu den Verhandlungen in Bonn
Die scheidende UNFCCC-Exekutivsekretärin Christiana Figueres blieb ihrer Tradition treu, die Ergebnisse von Klimaverhandlungen in jedem Fall positiv zu bewerten, und so äußerte sie zur Umsetzung des Vertrages von Paris: „Wir befinden uns tatsächlich in einer aufregenden Zeit der Umsetzung mit einer Mischung von positiver Motivation, fortgesetztem Handeln und notwendiger technischer Arbeit. Als Planungstreffen für die UN-Klimakonferenz in Marrakesch/Marokko Ende des Jahres sendet die Bonner Konferenz ein sehr ermutigendes Signal!“
Jan Kowalzig, Klimaexperte bei Oxfam, kommentiert das Ende der Bonner Klimagespräche so: „Der erste Schritt zum Regelwerk des Pariser Klimaschutzabkommens ist getan. Insgesamt waren die Verhandlungen von konstruktiver und arbeitsamer Stimmung geprägt – allerdings auch, weil wirklich strittige Fragen nicht auf der offiziellen Tagesordnung standen: weder die völlig unzureichenden Klimaschutz-Selbstverpflichtungen noch die nach wie vor unzureichende finanzielle Unterstützung für die armen Länder.“ Immerhin hätten die reichen Länder in informellen Gesprächen zugesagt, in Marrakesch einen Plan für die Erfüllung ihrer finanziellen Zusagen vorzulegen.
Im November wird es nun bei der UN-Klimakonferenz in Marrakesch darauf ankommen, die zahlreichen weiterhin ungeklärten Details zur Ausgestaltung und praktischen Umsetzung des Klimaabkommens von Paris einvernehmlich zu regeln.
(Frank Kürschner-Pelkmann)