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Indikatoren der UN-Nachhaltigkeits-ziele: Die Agenda 2030 und die Situation in Deutschland

Ende 2017 hat das Statistische Bundesamt eine erste Bestandsaufnahme zur Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung in Deutschland vorgelegt. 175 Unterziele und Indikatoren wurden mit statistischen Angaben belegt. Die Durchsicht der Daten ergibt ein manchmal erschreckendes Bild, auch weil für viele Indikatoren aussagekräftige Daten fehlen. Ein Meinungsbeitrag von DGVN-Präsidiumsmitglied Dr. Kerstin Leitner.

Im September 2015 verabschiedeten die Vertreter der Mitgliedsländer in New York die Agenda 2030 mit 17 Zielen zur nachhaltigen Entwicklung, die universell gelten und bis 2030 erreicht werden sollen. Die deutsche Regierung hat schon während des Formulierungsprozesses und auch bei der Verabschiedung unmissverständlich die Geltung dieser Ziele für alle Länder akzeptiert, mit anderen Worten auch für Deutschland (siehe Bericht der Bundesregierung vom Juli 2016).

Etwa 2 Jahre später, im Oktober 2017, hat das Statistische Bundesamt in Wiesbaden nun eine erste Bestandsaufnahme vorgelegt mit Zahlen, die z.T. den Stand 2016 widergeben. 175 Unterziele und Indikatoren wurden mit statistischen Angaben belegt. Der Bericht ist eine willkommene Initiative und kann als ein robustes Werkzeug dienen den weiteren Verlauf der Erreichung der Ziele in Deutschland zu verfolgen.

Bei einer Durchsicht der Statistiken ergibt sich ein manchmal erschreckendes Bild, sowohl was die vorhandenen Daten anzeigen, aber noch viel mehr, wo die statistischen Werte fehlen. Das Gesamtbild, das sich ergibt, zeigt einen manchmal beschämenden Stand der Dinge in Deutschland. Zwar ist dies alles nicht wirklich neu, aber die Diskrepanz zwischen Zielvorstellungen, zu denen sich die Regierung bekannt hat, und der aktuellen Realität wirft ein zusätzliches Licht auf politische Entwicklungen in diesem Land, in Europa und der Welt. Wenn die Politik die transformative Kraft dieser Ziele nicht nutzt, dann müssen wir uns nicht wundern, dass verbale und tätliche Angriffe von Wutbürgern, Extremismus, Kriminalität und andere Gewalttätigkeiten zunehmen werden. Von einer Verstärkung der Ängste und der sozialen Verunsicherung friedliebender Bürger und Bürgerinnen einmal ganz zu schweigen.

Die 175 Indikatoren, die der Bericht enthält, lassen sich grob einteilen in drei Kategorien:

1.      Indikatoren, für die es Daten gibt: 104

2.      Indikatoren, für die Daten fehlen:    66

3.      Statistiken, die nicht unbedingt im nationalen Rahmen relevant sind: 5

Nun muss man sich nicht lange damit aufhalten, ob dies eine gute oder eine schlechte Widerspiegelung der Tatsachen ist. Entscheidender ist wohl zu schauen, wo es unbedingt zu Verbesserungen kommen muss. Zum Beispiel: Das definierte Ziel für 2030 lautet, es sollte keine statistisch nennenswerte Armut mehr in Deutschland geben. Allerdings lag 2015 der Anteil der Bevölkerung, der unter der nationalen Armutsgrenze lebt, bei 16,7% (gemessen laut Eurostat Definition). Dabei fällt zusätzlich auf, dass der Anteil bei Frauen höher ist als bei Männern. Da gibt es also viel zu tun, um dieses Ziel zu erreichen, zumal der Prozentsatz im Zeitraum 2010 – 2016 mehr oder weniger unverändert blieb.

Ähnlich problematisch ist die Lage in Bezug auf die landwirtschaftliche Produktion (Ziel 2). Laut Unterziel 2.4 sollen bis 2030 die Nachhaltigkeit der Nahrungsmittelherstellung und resiliente landwirtschaftliche Methoden angewandt werden. 2016 betrug die Ökoanbaufläche an der gesamten Agrarfläche in Deutschland gerade einmal 7.5%! Wenn man den Zuwachs seit 2010 zur Grundlage nimmt, dann werden es 2030 einmal 11% sein. Auch hier gilt, vieles muss getan werden, damit wir wenigstens bei 50% plus liegen werden.

Noch verheerender ist die Lage in Bezug auf die Ziele 12 (Nachhaltiger Konsum und Produktionsmuster) und 13 (Bekämpfung des Klimawandels) und seiner Auswirkungen. Für 9 der insgesamt 10 Indikatoren gibt es keine statistischen Angaben. Ebenso traurig sieht es bei den Daten für die Indikatoren zum Ziel 14  (Schutz der Ozeane und Meeresressourcen) aus; von 11 Indikatoren gibt es nur bei einem Daten. Nun ist es schwierig festzustellen, ob es die Statistiken gar nicht gibt, oder ob das Bundesamt die vorhandenden statistischen Daten nicht erfasst. Auf alle Fälle ist hier eine Lücke, die dringend gefüllt werden muss. Ebenso fehlen Angaben zu Unterziel 10.7, das sich mit einer gut gesteuerten Migrationspolitik beschäftigt. Mindestens für 2015 und 2016 würde man dazu Zahlen erwarten.

Wie sehr wir uns noch in den Fängen traditioneller Wirtschaftspolitik befinden, wird verständlich, wenn man sich im Gegensatz zu den obigen Zielen die Daten zu den Zielen 8 (dauerhaftes Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung )und 9 (Infrastruktur, Industrialisierung und Innovationen) ansieht. Da gibt es Daten zu 10 Indikatoren von insgesamt 11.

Zum Abschluss dieser kurzen Durchsicht des Berichtes noch ein paar Anmerkungen zur Gesundheitssituation (Ziel 3) und Gleichberechtigung der Frau (Ziel 5), insbesondere in der Bildung (Ziel 4). Zum einen fällt auf, dass es an manchen Stellen deutliche Verbesserungen gegeben hat, z.B. ist die Müttersterblichkeit in Deutschland zwischen 2010 und 2015 deutlich gesunken. Andererseits gibt es in anderen Bereichen keine nennenswerten Veränderungen, z.B. bei AIDS-Erkrankungen und Tod durch Herz-Kreislaufbeschwerden. Zwar ist die Dichte der medizinischen Versorgung pro 1000 Einwohner in den letzten Jahren verbessert worden, aber es gibt keine Daten zur Abdeckung grundlegender Gesundheitsleistungen, obwohl die genannten Kriterien eine statistische Erfassung relativ leicht ermöglichen würden.

Bei den Indikatoren zu Ziel 4 sind die Daten nicht durchgängig nach Geschlecht aufgeschlüsselt, und sagen deshalb wenig über die Gleichstellung von Männern und Frauen aus. Bei Statistiken zum Ziel 5 ist es erstaunlich festzustellen, dass es nicht zu allen Länderparlamenten Angaben zum Frauenanteil zu geben scheint, wobei Bayern mit nur einer Angabe (für 2013) unrühmlich auffällt. Aber auch Berlin glänzt mit gerade 2 Angaben für eine Zeitreihe über 7 Jahre nicht gerade. Darüber hinaus ließe sich trefflich darüber streiten, ob ein durchschnittlicher Frauenanteil von 25 – 30 Prozent in den deutschen Parlamenten eine angemessene Abbildung der Gesellschaft ist.

Für das Ziel 17 zur globalen Partnerschaft ist bemerkenswert, dass Deutschland nach wie vor das gewünschte und angestrebte Ziel, 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) für entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu leisten, auch 2015 nicht erreichte. Obwohl die Ausgaben insgesamt gestiegen sind und 2015 bei 0,52 % angelangt waren, verschlechterte sich der Anteil, der für die Zusammenarbeit mit den am wenigsten entwickelten Staaten (Least Developed Countries, LDCs) verwandt wurde, im Zeitraum 2010 – 2016 von 0,11 auf 0,08%. Mit anderen Worten die Ausgaben blieben konstant, während andere wuchsen. Das sagt noch nicht allzu viel über die Ursachen und ihre Wirkungen aus, aber ein kritischer Tatbestand ist es allemal.

Nochmals soll hervorgehoben werden, dass dieser Bericht sehr nützliche Angaben enthält, die Politiker, Beamte, Vertreter der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft informieren können über den Stand der nachhaltigen Entwicklung in Deutschland. Es wäre begrüßenswert, wenn dieser Bericht nicht nur periodisch auf den neuesten Stand gebracht würde, sondern auch als ein Mittel eingesetzt wird, die Indikatoren zu schärfen, um die transformative Natur der 17 Ziele voll einzufangen und widerzuspiegeln.

 

von Dr. Kerstin Leitner

Dr. Kerstin Leitner ist Mitglied im Präsidium der DGVN. Sie war von 1975 bis 2005 für die Vereinten Nationen tätig. Seit ihrer Pensionierung lehrt sie zu internationaler Politik an verschiedenen Universitäten in Deutschland.