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Entwicklungsländer im digitalen Wettbewerb

Während digitale Technologien in großen Teilen der Welt rasche Verbreitung finden, haben sich die Erwartungen an breitere Entwicklungswirkungen der Digitalisierung in armen Ländern noch nicht ausreichend erfüllt. Unter welchen Rahmenbedingungen solche Technologien in Entwicklungsländern besser zur Bewältigung von Armut, Jugendarbeitslosigkeit und anderen großen Herausforderungen beitragen könnte, diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft bei der Brot für die Welt-Veranstaltung „Die digitale Dividende - ein leeres Versprechen“ am 10. Oktober in Berlin.

© Christina Kamp
(Foto: Christina Kamp)

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Digitalisierung auch für den globalen Süden neue Chancen eröffnet. Unzählige digitale Initiativen schießen aus dem Boden. In einigen afrikanischen Ländern, z.B. in Kenia, Ghana und Ruanda, zeigt sich besonders auf lokaler Ebene großes innovatives Potential für angepasste Lösungen, die das Leben der Menschen verbessern können. Die Weltbank ist in Bezug auf die „digitale Dividende“ aus höherem Wachstum, mehr Arbeitsplätzen und besseren öffentlichen Dienstleistungen allerdings skeptisch. Obwohl sich nach Daten im Weltentwicklungsbericht 2016 die Zahl der Internet-Nutzer zwischen 2005 und 2015 mehr als verdreifacht habe, fehle über der Hälfte der Weltbevölkerung immer noch der Netzzugang. Die Vorteile der Digitalisierung kämen vor allem den wohlhabenderen und besser ausgebildeten Bevölkerungsschichten zugute.

Die soziale Kluft vertieft sich weiter

Klaus Seitz, Leiter der Abteilung Politik, Brot für die Welt, teilt die Skepsis. „Digital dividend“ und „digital divide“ lägen nicht nur sprachlich nah beieinander, so Seitz in seiner Einführung zur Diskussionsveranstaltung. Zwar gäbe es durchaus Chancen auf neue sozio-ökonomische Entwicklungspfade, auch für eine an den Armen orientierte Entwicklung. Gerade Afrika könnte einzelne Schritte der Industrialisierung einfach „überspringen“. Doch zugleich bestehe auch die Gefahr einer stärkeren Polarisierung und zunehmender Ungleichheit.

Enttäuschte Erwartungen

Das Argument, globale Lieferketten würden durch die Digitalisierung effizienter, produktiver und transparenter und die Wertschöpfung am Anfang der Lieferketten würde sich erhöhen, habe sich nur zum Teil erfüllt, meint Sven Hilbig, Referent für Welthandel und Internationale Umweltpolitik bei Brot für die Welt. Am Beispiel des globalen Tee-Marktes zeigte er, dass mit zunehmender Digitalisierung zwar die Kommunikation zugenommen habe und das Management und die Kontrolle sich verbessert haben. Doch eine Wertsteigerung am Anfang der Kette habe es nicht gegeben. Gleichzeitig stünden die Teeproduzenten nun noch stärker in Konkurrenz mit anderen Anbietern auf dem globalen Markt.

Auch das Argument, die Schaffung neuer Märkte mit hohen Wachstumsraten würde zu einer Steigerung des Wohlstands führen, stellte Hilbig in Frage. Zwar nehme der digitale Handel sehr viel stärker zu als der analoge, doch das Gefälle zwischen den verschiedenen Weltregionen sei noch größer. Zudem drohe eine Rückverlagerung der Produktion, so genanntes Reshoring, wenn Firmen aus Industrieländern Offshoring-Prozesse rückgängig machen.

Das bestätigte auch Ayad Al-Ani, assoziierter Forscher am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin. „In 4-5 Jahren könnten Roboter nähen“, so seine Prognose. Entwicklungsländer und Schwellenländer stünden vor einer doppelten Herausforderung: auf den digitalen Zug aufzuspringen, während die heute vorhandene Industrie schon fast obsolet sei. Die Basis von Textilarbeitern und Zulieferern sei ohnehin schon fragil und könnte bald wegbrechen, befürchtet Al-Ani.

Viele kleine Apps können die Welt verändern

Digitale Lösungen seien oft auf westliche Bedürfnisse zugeschnitten, doch in Afrika müssten die Bedürfnisse vor Ort so befriedigt werden, wie es den Herausforderungen entspricht, fordert Anke Domscheit-Berg, MdB (Die Linke) und Mitglied im Ausschuss Digitale Agenda des Deutschen Bundestags. Mit Hinweis auf den Dokumentarfilm „Digital Africa“ verwies sie auf Beispiele für angepasste, in Entwicklungsländern oder für Entwicklungsländer entwickelte Lösungen.

Um zu zeigen, welchen großen Nutzen solche Ansätze haben können, beschrieb sie die App „Plantix“, einen mobilen „Pflanzendoktor“, mit dem sich Pflanzenschädigungen analysieren und mit Behandlungstipps Ernteerträge erhöhen ließen. Ähnlich hilfreich sei eine App, die beim Sammeln von Regenwasser helfe. Nicole Celikkesen, Beraterin im Sektorprogramm Digitalisierung für nachhaltige Entwicklung bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, verwies auf „mobile Bezahlsysteme in Afrika, die auch für uns interessant sein könnten“.

Die Herausforderung bestehe darin, solche Apps „zu den Menschen zu bringen, die sie brauchen“, so Domscheit-Berg, die aber auch davor warnte, sich nicht von positiven Einzelbeispielen blenden zu lassen. Denn zur Entwicklung im Süden brauche man immer noch Straßen, Bildung und Gesundheitssysteme.

Politik muss Rahmenbedingungen gestalten

Eine weitere große Herausforderung besteht in der Regulierung der Digitalisierung durch die Politik. Parminder Jeet Singh, Geschäftsführer der indischen Nichtregierungsorganisation IT for Change, fordert geeignete Rahmenbedingungen durch politische Handlungskonzepte zu gestalten. „Wir schieben die politischen Interventionen zu lange auf“, so Singh. Drei Bereiche hält er für besonders wichtig: die Regulierung, zum Beispiel von Plattformen, politische Handlungskonzepte zum Umgang mit Daten, zur Kontrolle von Daten und zur Dateninfrastruktur sowie offenere Wertschöpfungsketten. „Ich bin nicht glücklich darüber, wie politische Entscheidungsträger so wichtige Bereiche der Wirtschaft überlassen“, beklagte Singh.

Klüger als zu warten, dass die Regierung es verstehe, politische Handlungskonzepte aufzusetzen, findet dagegen Al-Ani die Entwicklung lokaler Innovationshubs, die sich an das globale System anbinden können. Solche Hubs, zum Beispiel in Beirut, Bengasi, Alexandria und sogar in Gaza, agierten ebenso transnational wie Seattle. Sie seien allerdings nicht mit dem Hinterland vernetzt.

Zunehmende Monopolisierung

Singh wies auf die Grenzen des Start-up-Diskurses hin. Die meisten Gründer, in Indien mittlerweile 80 bis 90 Prozent, fungierten quasi als Forschungs- und Entwicklungsabteilungen großer Firmen. Die Macht liege bei denen, die die Kontrolle über die Daten haben.

Domscheidt-Berg betonte die Gefahr der Monopolisierung. Es seien Monopole in einer Dimension entstanden, die es nie zuvor gegeben habe. Um die Marktmacht von Unternehmen wie Facebook zu brechen, müsse man (politisch) offene Schnittstellen erzwingen, die einen Austausch mit anderen Anbietern erlauben.

Richtige Schritte für die Politik

Neben einer klugen Regulierung von Monopolen brauche es gemeinwohlorientierte Innovationen, so Domscheidt-Berg. Schweden und andere skandinavische und baltische Länder seien dabei, mit künstlicher Intelligenz Anwendungen zu entwickeln, die einen hohen Mehrwert für die Gesellschaften haben: im Bildungs- und Sozialwesen, im Bereich Mobilität und im Gesundheitssektor.

Al-Ani schlug die Entwicklung gut regulierter demokratischer Plattformen vor, die ethische Kriterien verfolgen, wie z.B. genossenschaftliche Modelle, die gängigen Modellen etwas entgegensetzen könnten. Neben politischen Lösungsansätzen wies Celikkesen auf die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft hin, die – ebenso wie die Demokratie und die Menschenrechte – gestärkt werden müsse. Zwar habe die Digitalisierung positive Seiten, könne aber auch negativ eingesetzt werden. „Man muss Risiken weit in die Zukunft abschätzen können“, so Celikkesen.

Christina Kamp