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Die Komplexität von Klimamigration befreit nicht von Moral

Klimagerechtigkeit: Welche moralische Verantwortung haben wir gegenüber Menschen, die durch den Klimawandel ihre Heimat verlassen müssen? Essay von COP24-Jugendbeobachterin Rebecca Spittel

Gewalt und Überschwemmungen in Somalia zwingen Tausende zur Flucht. (UN Photo/Tobin Jones)

Die Frage, ob wir eine moralische Verantwortung angesichts der Folgen des Klimawandels haben, kann nur bejaht werden. Der Klimawandel ist menschengemacht – wir verursachen ihn durch unsere Emissionen und sind damit für die globale Erwärmung, Dürren und den erhöhten Meeresspiegel verantwortlich. Die erwarteten Folgen des Klimawandels werden unsere Umwelt und die Lebenswirklichkeit vieler Menschen entscheidend verändern. Die individuellen Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen, sind komplex. Klimaveränderungen reihen sich neben politischen, sozialen und ökonomischen Faktoren ein und können diese verstärken. Ob und wie viele Menschen aus diesem Grund ihre Heimat verlassen oder zur Flucht gezwungen sind, ist umstritten. Neben berechtigtem Zweifel am Begriff der „Umwelt- oder Klimaflüchtlinge“ rangieren Schätzungen von 50 bis zu 200 Millionen „Umwelt- und Klimaflüchtlinge“ im Jahre 2050. Die bisherigen Probleme der Benennung, Abgrenzung, Kategorisierung und Messbarkeit des Phänomens befreien jedoch nicht von grundsätzlichen ethischen Fragen. Führt der menschengemachte Klimawandel dazu, dass Menschen ihre Heimat verlieren oder auch nur dazu, dass klimawandelbedingte Faktoren in den komplexen Migrationsentscheidungen eine Rolle spielen , kommt uns eine Verantwortung gegenüber diesen Menschen zu. Aber einzelne Akteure auszumachen, die diese Verantwortung tragen, ist angesichts der vielen Ursachen des Klimawandels äußerst schwierig: Verursacher des Klimawandels sind schließlich Individuen genauso wie Unternehmen und Staaten. Auch, welche Verantwortung diesen Akteuren bei der Entschädigung der Betroffenen zukommt, ist angesichts der Komplexität des Themas nicht einfach zu bestimmen. Dennoch erlauben die aktuelle Situation der Klimamigrant*innen und obige Grundüberlegungen meines Erachtens grundsätzliche normative Schlüsse.

Die schwierige rechtliche und migrationssoziologische Abgrenzung der „Klimamigrantinnen“ und "-migranten" von anderen Migrantinnen- und Migrantengruppen scheint nur ein Grund für die bestehende rechtliche Lücke zu sein. Klimamigrantinnen und -migranten kommt kein eigener Schutzstatus zu. Die Anerkennung als Flüchtling durch die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) bleibt ihnen verwehrt. Auch wenn bisweilen eine Anpassung oder Schaffung neuer Kategorien gefordert wird, fürchten viele die Aufweichung des bestehenden engen Verständnisses der Genfer Flüchtlingskonvention. Dies befreit jedoch nicht von der Übernahme von Verantwortung. Die Überlegung Neuseelands, zu diesem Zwecke humanitäre Visa zu vergeben, ist ebenso eine Möglichkeit wie die Übernahme von Kontingenten aus besonders betroffenen Regionen. Mithilfe des „subsidiären Schutzes“ kann so der Nachweis einer zwangsweisen Migration umgangen werden. Wichtig ist zudem die Verabschiedung einer internationalen Schutzagenda, wie es die Nansen-Initiative verfolgt. Denn auch wenn die Berücksichtigung von Migrantinnen und Migranten als besonders verletzliche Gruppe unter anderem im Abschlussbericht der Pariser Klimakonferenz, festgehalten wurde, fallen grenzüberschreitende Migrant*innen nicht mehr unter die menschenrechtlichen Schutzplichten ihres eigenen Staates.

Der Großteil der Migrant*innen migriert jedoch innerhalb der eigenen Staatsgrenzen. Die Nationalstaaten haben deshalb die Verantwortung, ihrer Bevölkerung und den Binnenvertriebenen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Schwierig wird dies in Staaten mit schwacher Staatlichkeit und in Staaten, die schon jetzt nicht die sozialen und ökonomischen Mittel haben, eine ausreichende Versorgung ihrer Bevölkerung zu gewährleisten. Vor allem Staaten des globalen Südens sind deshalb besonders vom Klimawandel betroffen, die Faktoren vertiefen die bestehende Ungleichheit. Da die Industriestaaten die größten Verursacher von Emissionen und damit bedeutende Treiber des Klimawandels sind, kommt ihnen eine besondere Unterstützungspflicht gegenüber den Staaten des Globalen Südens zu. Angesichts der globalen Ungleichheit (nicht nur, aber auch wegen des Klimawandels) ist es ihre Aufgabe, gemeinsamen Handel und die zwischenstaatlichen Beziehungen unter dem Vorzeichen globaler Gerechtigkeit zu denken und die Staaten auf verschiedenste Weise zu unterstützen: Erste Schritte machte die Staatengemeinschaft mit der Einrichtung des Warschau-Mechanismus, der Entschädigungen bei dauerhafter und eindeutig auf den Klimawandel zurückzuführenden Katastrophen leistet. Je nach Staat könnten dies aber auch verstärkte Entwicklungszusammenarbeit oder materielle und personelle Hilfen bei der Anpassung sein.

Aber auch die Staaten des globalen Südens stehen in der Verantwortung: Sie müssen Diskriminierung, Korruption und Menschenrechtsverletzungen im eigenen Staat aktiv entgegenwirken. Nicht zuletzt gibt es besonders Schutzbedürftige, sogenannte „trapped“ – Menschen(-gruppen), die nicht die Ressourcen haben, um ihre Heimat zu verlassen und die deshalb zurückbleiben. Dies sind die Menschen, die die Klimaveränderungen wohl am heftigsten treffen werden. Bei allen (finanziellen) Anstrengungen dürfen wir die Verantwortung sich an den Klimawandel anzupassen (und gegebenenfalls zu migrieren) deshalb nicht allein auf die Menschen schieben, die in solchem Maße vom Klimawandel betroffen sind.

Alle Bemühungen um Anpassung und Unterstützung der Klimamigrantinnen und -migranten entschuldigen den Klimawandel und dessen Folgen nicht. Unser primäres Ziel und unsere größte Verantwortung bestehen folglich darin, unser Möglichstes zu tun, den Klimawandel zu begrenzen. Dazu stehen die internationale Staatengemeinschaft, die Nationalstaaten und wir als Individuen in der Pflicht.

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