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Der UN-Welternährungsgipfel: kein Systemwandel in Sicht

Weltweit werden mehr Lebensmittel produziert als je zuvor. Trotzdem steigen die Hungerzahlen wieder und drohen, sich bis 2030 der Milliardengrenze zu nähern. Der UN-Gipfel zu Ernährungssystemen, der am 23. September in New York stattfand, sollte diesen Widerspruch angehen – mit eher mäßigem Erfolg.

Eine Frau mit Strohhut steht hinter einem Marktstand mit Gemüse.
Marktverkäuferin in Phnom Penh, Kambodscha. (Foto: Grossmann/Welthungerhilfe 2017)

Hunderte Akteure haben sich in den letzten 18 Monaten in unzähligen Online-Treffen beraten, Arbeitsgruppen gegründet und Vorschläge zu Papier gebracht. Nahezu Tausend Dialogveranstaltungen wurden abgehalten und einen dreitägigen Vorgipfel in Rom Ende Juli 2021 verfolgten fast 22.000 Interessierte. Am 23. September folgten die 157 Delegierten der UN-Mitgliedsstaaten nun der Einladung von UN-Generalsekretär António Guterres und trafen sich virtuell im Rahmen der Generalversammlung zum ersten UN-Gipfel zu Ernährungssystemen.

Der Zeitpunkt des Gipfels hätte nicht besser gewählt sein können: der Klimawandel und bewaffnete Konflikte machen die Erfolge in der Hungerbekämpfung zunichte, die Corona-Pandemie wirkt zusätzlich als Brandbeschleuniger und hat bisher schon Millionen von Menschen ihrer Ernährungssicherheit beraubt. Bereits vor der Pandemie aber stieg die Zahl der an chronischem Hunger leidenden Menschen wieder stark. Und während 811 Millionen Menschen hungern, ist jeder dritte Mensch weltweit mittlerweile übergewichtig oder fettleibig. Es ist also höchste Zeit, unser Ernährungssystem – also die Art wie wir Nahrungsmittel produzieren, verarbeiten, handeln und konsumieren – grundlegend zu transformieren.

Hunger: ein komplexes Problem

Eine Analyse dieses Systems zeigt, dass es ungerecht und nicht nachhaltig ist: Es werden weltweit – Kilokalorien basiert – zwar ausreichend Lebensmittel produziert, jedoch nicht genügend gesunde Lebensmittel. Hunger ist meist kein Problem der Verfügbarkeit, sondern des Zugangs. 40 Prozent der Weltbevölkerung haben schlicht nicht ausreichend finanzielle Ressourcen, um sich eine gesunde Ernährung zu leisten. Darunter sind ebenfalls Kleinbauern oder Landarbeiterinnen im Globalen Süden, die auch unsere Nahrungsmittel produzieren. Bewaffnete Konflikten wie zum Beispiel in Syrien oder dem Jemen, wie auch die sich eskalierende Klimakrise verschärfen die Situation zusätzlich. Die Betroffenen haben keine Reserven (mehr) und rutschen folglich in akute Hungerkrisen ab.

Unser Ernährungssystem leidet unter dem Klimawandel, befeuert ihn aber auch weiter: Es ist für circa ein Drittel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Landwirtschaft ist aber auch ein Hauptreiber für den Verlust der weltweiten Biodiversität. Landnutzungsänderungen, intensive Anbaumethoden, Massentierhaltung und andere Praktiken führen zu massiven ökologischen Schäden.

Das zweite UN-Nachhaltigkeitsziel (SDG 2), den Hunger bis zum Jahr 2030 zu überwinden, ist kaum noch zu erreichen. Seit Jahren drängen zahlreiche Akteure darauf, das globale Ernährungssystem neu aufzustellen und es gerecht, nachhaltig und krisenfest zu gestalten, was auch die Verwirklichung des Menschenrechts auf angemessene Ernährung einschließt. Folglich hatte António Guterres für den UN-Ernährungsgipfel ambitionierte Ziele definiert:  Es sollte ein historischer Gipfel werden, ein Gipfel, der mutige neue Maßnahmen einleitet, um den Negativtrend bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele umzukehren. Ein Gipfel, der konkrete Lösungen ausformuliert und weitgehende Verpflichtungen hervorbringt. Und er sollte integrativ sein – ein People’s Summit.

Leider konnte der Gipfel diese selbst gestellten Erwartungen kaum erfüllen, sie waren wohl zu hoch gegriffen.

Beliebigkeit statt Verbindlichkeit

Der Gipfel setzt maßgeblich auf freiwillige Verpflichtungen seitens ganz unterschiedlicher Akteure. Von NGOs bis zu Multinationalen Konzernen wurden alle Interessierten aufgefordert darzulegen, wie ihr Beitrag zur Verbesserung des Ernährungssystems aussehen wird. Wie diese Selbstverpflichtungen allerdings nachgehalten werden, ist völlig unklar. Durch die Ansprache eines ganzen Akteursbündels entsteht die Gefahr, dass sich Regierungen aus der Verantwortung stehlen. Weiterhin drohen die Ergebnisse durch mangelndes Monitoring hinter bereits bestehende Vereinbarungen wie den UN-Nachhaltigkeitszielen und dem Pariser Klimaabkommen zurückzufallen. Ein ausuferndes Ankündigungspotpourrie à la „alles kann, nichts muss“ ist eventuell ein gutes Aushängeschild für die Veranstalter, den Weg aus unseren multiplen Krisen wird es aber nicht ebnen.

Minimallösungen statt Systemwechsel

Im Vorbereitungsprozess des Gipfels wurden eine Fülle von Lösungsansätzen vor allem für die Überwindung von Hunger und Fehlernährung und die nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Ressourcen erdacht und erarbeitet. Auf dem Vorgipfel Ende Juli wurde dann aber klar: Die Probleme sollen jeweils in den Ländern gelöst werden. Alle Staaten wurden aufgefordert Nationale Aktionspläne dafür zu erarbeiten, wie sie die in ihrem Land identifizierten Schwachstellen im Ernährungssystem angehen wollen. Zwar ist es wichtig und richtig, kontextspezifische Lösungen zu entwickeln, der einseitige Fokus auf Nationalstaaten negiert jedoch globale Zusammenhänge. Die übergeordneten Aspekte wurden beim Gipfel dann auch weitestgehend ausgeblendet: Machtungleichgewichte im globalen Handels- und Finanzsystem wurden nicht angesprochen und die situationsangemessene wie gleichwohl fundamentale Umgestaltungen unseres Wirtschaftssystems ausgeklammert. Diese komplexen Themen müssen aber auf multilateraler Ebene zentral adressiert werden – dafür wurden die Vereinten Nationen einstmals gegründet. Was wir sehen ist der Versuch, das existierende System effizienter auszugestalten – dies wird aber nicht reichen, um allen Menschen auch der kommenden Generationen eine angemessene Ernährung zu ermöglichen.

Worauf es jetzt ankommt

Der Gipfel war ein wichtiger Auftakt. Allein schon die Tatsache, dass sich eine Vielzahl von Akteuren erstmalig auf höchster Ebene mit „Ernährungssystemen“ beschäftigte ist ein Erfolg – wenn auch ein den großen Ankündigungen unangemessener. Dies kann aber nur der Beginn eines wirklichen Systemwechsels sein. Die Nationalen Aktionspläne müssen sich daran messen lassen, ob sie die Situation der Menschen verbessern, die von den ökologischen und sozialen Folgekosten des globalen Ernährungssystems am stärksten betroffen sind:  Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sowie indigene und andere sozial benachteiligte Gruppen. Repräsentantinnen und Repräsentanten dieser Gruppen müssen an der Ausgestaltung der Aktionspläne angemessen beteiligt werden und in der Lage sein, ihre Regierungen beim Wort zu nehmen.

Insbesondere im Globalen Norden braucht es eine institutionalisierte Politikfolgenabschätzung, die prüft, inwieweit sich Gesetze oder politische Initiativen auf Ernährungssysteme im Globalen Süden und das Recht auf Nahrung benachteiligter Gruppen auswirken. Machtgefälle im internationalen Handels- und Finanzsystem müssen nachhaltig überwunden werden – nur dann können wir dafür Sorge tragen, dass sich künftig auch 10 Milliarden Menschen gesund ernähren können, ohne die Natur und das Klima zu zerstören.   

Lisa Maria Klaus, Referentin für Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, Welthungerhilfe

Harry Hoffmann, Projektleiter Landwirtschafts- und Ernährungspolitik, Welthungerhilfe

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