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Debatte: Dem Klimawandel ein Gesicht geben

Beim Thema Ungleichheit müssen wir über das Klima sprechen, denn die Klimakrise ist ungerecht. Sie betrifft am stärksten jene, die am wenigsten dazu beigetragen haben: arme Menschen in den Ländern des Globalen Südens. Mit dem Projekt „KlimaGesichter“ wird für diese Themen sensibilisiert.

Sieben international aussehende Menschen sitzen auf Würfeln, auf denen die SDGs abgebildet sind.
Teilnehmende am Projekt „KlimaGesichter“ im Klimahaus Bremerhaven 8 Grad Ost. (Foto: Deutsche KlimaStiftung)

Die Klimakrise ist ungerecht. Sie betrifft am stärksten jene, die am wenigsten dazu beigetragen haben: Die sogenannten Länder des Globalen Südens, und dort insbesondere die in Armut lebenden Menschen. Diejenigen, die kaum zum CO2-Ausstoß beitragen und deren Lebensbedingungen durch Extremwetterereignisse wie Stürme, Dürren, Hitze oder Überschwemmungen besonders gefährdet sind. Auch wohlhabende Bevölkerungsgruppen und Länder im Globalen Süden sind von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen, haben aber häufig die Mittel sich – zunächst – besser zu schützen und anzupassen. Die Klimakrise droht, Ungleichheit innerhalb von Ländern und auch zwischen den Staaten zu verschärfen und führt zu starken Migrationsbewegungen. So verlassen jährlich mehrere Millionen Menschen weltweit Ihre Heimat, da die Auswirkungen des Klimawandels dort keine Zukunftsperspektiven mehr ermöglichen und migrieren in innerhalb Ihres Landes (Binnenmigration), in Nachbarländer oder über mehrere Ländergrenzen hinweg. Wir sprechen von klimabedingter Migration, beziehungsweise Klimaflucht.

Das Projekt „KlimaGesichter“ setzt genau an diesen Themenkontext an und verfolgt das Ziel, durch interkulturelle Bildungsarbeit die breite Öffentlichkeit für die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Klimagerechtigkeit und Klimaflucht zu sensibilisieren. Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung und interessierte deutsche Klimaschützende wurden im Rahmen des Projektes zu Klimaschutzbotschafterinnen und -botschaftern qualifiziert. Mit eigenständig konzipierten Workshops sensibilisieren sie über Veränderungen in Ihrem Herkunftsland im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Die Workshops der KlimaGesichter-Multiplikatoren leben von persönlichen Erfahrungen, Geschichten und Eindrücken. So geben sie dem Klimawandel sprichwörtlich „ein Gesicht“ und machen das Thema durch persönliche Geschichten für unterschiedliche Zielgruppen greifbarer.

Der Austausch und Kontakt mit den KlimaGesichter-Teilnehmenden aus mittlerweile 23 unterschiedlichen Ländern ermöglicht es, unterschiedlichste Perspektiven und Aspekte klimabedingter Migration zusammenzubringen und führt globale Ungerechtigkeiten vor Augen. Die folgenden Eindrücke basieren auf den persönlichen Erfahrungen und Geschichten eines KlimaGesichter-Teilnehmers:

Blick nach Madagaskar

Madagaskar ist bekannt für seine immense Artenvielfalt und einzigartige Flora und Fauna durch eine frühe Isolation in der Erdgeschichte. Weniger bekannt sind jedoch die unterschiedlichen Wetterextreme, die das Land aktuell plagen: So herrscht im Süden der Insel oft extreme Dürre, im Osten ereignen sich Starkregen und Überschwemmungen und im Westen erreichen heftige Stürme die Küste. In ihrer Form sind das alles „natürliche Wetter-Phänomene, die es schon aufgrund der geographischen Lage der tropischen Insel immer gegeben hat“ betont Dr. Tsiry Rakotoarisoa, ein KlimaGesicht-Teilnehmer aus Madagaskar. Gleichzeitig berichtet er aber auch über die zunehmende Häufigkeit und Intensität dieser extremen Wetterereignisse auf seinem Heimatland. Deren negative Auswirkungen auf die sowieso schon schwache Infrastruktur und Landwirtschaft haben katastrophale Folgen für die lokale Bevölkerung, wie zunehmende Armut und Hunger durch geringe Ernteerträge. Rakotoarisoa beobachtet, wie die Lebensbedingungen vor Ort erschwert werden und ein (Über-) Leben durch die Folgen des Klimawandels gefährdet ist, wobei in seinem Land pro Kopf 80-mal weniger CO2 pro Kopf ausgestoßen wird wie in Deutschland. Das Land zu verlassen, ist für viele Madagassen wegen mangelnder finanzieller Mittel keine Option. Die Folgen des Klimawandels verursachen eher eine starke Binnenmigration vom Land in die großen Städte. In Madagaskar als einem Land, wo die meisten Menschen in Armut leben und keine Sozialversicherung vorhanden ist, verursacht der Klimawandel eine rapide Zerstörung der Ökosystemen und dadurch eine höhe Gefährdung der Biodiversität, da die natürlichen Ressourcen für Viele das letzte und einzige Sicherheitsnetz für das Überleben darstellen. Solange die Grundbedürfnisse der Menschen nicht gesichert sind, ist es fast unmöglich, Menschen für Umweltschutz und Anpassung gegen den Klimawandel auf Madagaskar zu sensibilisieren und mobilisieren. „Keine Klimagerechtigkeit ohne Sozialgerechtigkeit“, so der promovierte Biologe Rakotoarisoa. Jenseits des Treibhausgassaustoßes müssen zudem Faktoren wie die Folgen der Kolonialzeit (etwa eine verbreitete Korruption, kein funktionierender Rechtsstaat) und der aktuellen unfairen globalen Wirtschaftsstruktur für eine globale (Klima)gerechtigkeit berücksichtigt werden.

Die Einblicke in die Lebenswelten und klimatische Veränderungen in anderen Ländern durch die KlimaGesicht-Teilnehmenden verdeutlichen erneut die Dringlichkeit von globalen Maßnahmen zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels. Lars Bedurke verweist in seinem DGVN-Debattenbeitrag darauf, dass die Lebensweisen im Globalen Norden nach wie vor fundamental zur Zerstörung der Regenwälder weltweit beitragen. Wir sind überzeugt: Gemäß des Verursacherprinzips stehen insbesondere die reichen Industrienationen in der Verantwortung, zum einen ihre Emissionen schnell und tief zu senken und zum anderen die Länder des sogenannten Globalen Südens bei Klimaschutz und Anpassung zu unterstützen. Klimafinanzierung muss dorthin fließen, wo der Bedarf am größten ist. Das sichert Entwicklungschancen und ist zentraler Beitrag zu mehr internationaler Klimagerechtigkeit.

Keine Klimagerechtigkeit ohne international verankerte Rechte für Klimageflüchtete

Weiterer wesentlicher Aspekt auf dem Weg zu mehr internationaler Klimagerechtigkeit ist eine einheitliche internationale Rechtslage zu klimabedingter Migration. Zwar verlassen Millionen Menschen weltweit Ihre Heimat, da Ihr Überleben dort durch die Folgen des Klimawandels in Gefahr ist – aber wo sie bleiben können, ist noch nicht ausformuliert: Der UN-Migrationspakt greift seit 2018 als erstes globales Übereinkommen zu internationaler Migration, berücksichtigt jedoch weniger die Lage geflüchteter Menschen. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1952, ist daher das einzige verbindliche globale Abkommen für Flüchtlinge. Folgen des Klimawandelns sind hierbei keine gültigen Fluchtgründe, genauso wenig wie Hunger oder Armut.

Um dieser schwierigen politischen und rechtlichen Herausforderung entgegenzutreten, hatte beispielsweise die Nansen-Initiative, initiiert von der Schweiz und Schweden, eine Schutzagenda erstellt. Als eine Art Aktionsplan soll er einzelnen Staaten helfen, eine bessere Politik für Klimavertriebene zu entwickeln. Seit 2015 wurde die Initiative als Platform on Disaster Displacement umbenannt. Sie versucht in erster Linie klimabedingte Fluchtgründe in den betroffenen Ländern zu bekämpfen, bevor es zur Flucht kommt. Eine Migration mit Würde zu gewährleisten, fall es zu Flucht gekommen ist. Und schließlich eine Einhaltung der Menschenrechte und Menschenwürde in den Aufnahmeländern. Eine zweite Initiative ist der Warschau Mechanismus (2013), der versucht ein internationales funktionierendes finanzielles Kompensierungssystem der Verluste und Schäden durch den Klimawandel zu etablieren. Der Mechanismus stößt an zwei Hauptproblemen: Es ist schwierig herauszufinden, wie viel Einfluss der Klimawandel bei einem Wetterextremereignis hat. Zudem fehlt die Bereitschaft vieler Länder, finanzielle Unterstützung bereitzustellen. Beide Initiativen sind zwar nicht verbindlich aber bitten immerhin eine gute Grundlage für mehr globale Klimagerechtigkeit in der Zukunft.

Antonia Sehlleier, Dr. Annika Mannah und Dr. Tsiry Rakotoarisoa von der Deutschen KlimaStiftung

Weitere Informationen:

  • Das Projekt „KlimaGesichter“ ist ein Verbundprojekt der Deutschen KlimaStiftung, dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen e.V. in Berlin und der Jugendwerkstatt Felsberg e.V. in Hessen und wird durch die Nationale Klimaschutz Initiative ermöglicht. Ziel ist: interkulturelle Bildungs- und Informationsarbeit zu den Themen Klimawandel – Klimaflucht für alle Bevölkerungsgruppen. Die Workshops der „KlimaGesichter“-Multiplikator*innen richten sich an alle Interessierten (Schulklassen, Einrichtungen der außerschulischen Jugendarbeit, Erwachsenbildungseinrichtungen, Organisationen, Kirchen, etc.).
  • Weiterführende Berichte einzelner KlimaGesichter-Multiplikator*innen sind einsehbar unter: https://klimagesichter.de/klimafilmspots/
  • Am 11.11.2021 findet die KlimaGesichter-Abschlusskonferenz „Klimaflucht als Asylgrund?! Warum Menschen vor dem Klima fliehen" im Klimahaus Bremerhaven 8° Ost statt. Anmeldungen und weitere Informationen unter: info@deutsche-klimastiftung.de

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