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Brauchen Kleinbauern eigene Rechte – und wenn ja, welche?

Seit Oktober 2012 beschäftigt sich der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mit einer heiklen Frage: Haben und brauchen Bauern weltweit andere Rechte als der Rest der Menschheit? Besonders vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder und ethnische Minderheiten schützen die Vereinten Nationen bereits mit spezifischen Interpretationen der universellen Menschenrechte. Im Mai wurde in Genf nun zum vierten Mal über eine ähnliche Regelung für die Rechte der Bauern beraten. Der Agrarökonom Michael Brüntrup durchleuchtet in der jüngsten Ausgabe der Aktuellen Kolumne des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik den Entwurfstext.

© UN Photo/Kibae Park
(UN Photo/Kibae Park)

Bonn, 12.06.2017. Haben und/oder brauchen Bauern andere Rechte als der Rest der Menschheit? Dieser Frage geht seit Oktober 2012 eine offene Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen nach. Mitte Mai 2017 traf sich die Gruppe zum vierten Mal in Genf und versuchte, einen Text zu verfassen.

Warum sollte es eine spezifische Menschenrechts-Erklärung für Bauern geben?  Sind  die Menschenrechte etwa nicht universell, nicht diskriminierend und unteilbar? Nun, schon seit langem gibt es spezielle Auslegungen der universellen Rechte für verschiedene, meist besonders vulnerable Gruppen wie Frauen, Kinder, ethnische Minderheiten, indigene Gruppen oder Arbeiterinnen und Arbeiter. Wenn sich der Menschenrechtsrat jetzt den Bauern widmet, geschieht dies vor dem Hintergrund, dass 80% der Hungernden in ländlichen Regionen leben und von diesen wiederum 50% Kleinbauern sind. Sie sind sehr stark von den natürlichen Ressourcen Land und Boden, Wasser und Biodiversität abhängig. Eigentum an bzw. Zugang zu diesen Ressourcen ist oft in lokalen Traditionen gewachsen und nicht partiell oder sogar unfair im modernen Staatsrecht geregelt. Häufig sind staatliche Institutionen im Konflikt mit traditionellen. In nicht wenigen Ländern dieser Erde gibt es berechtigte Zweifel, ob der Zentralstaat im besten Sinne seiner Landbevölkerung agiert. Von daher ist die Begründung, dass Bauern besonders schwach sind und von speziellen Rechten abhängen, und dass beide – Bauern und Rechte – besonders geschützt und gefördert werden müssen, völlig nachvollziehbar und unterstützenswert.

Was steht im Entwurfstext? Zunächst eine Definition der Rechteinhaber: Es geht zunächst um Bauern (peasants). Zwar wird der Begriff des Bauern zunächst rein aus seinen Tätigkeiten in der Landbewirtschaftung abgeleitet, also im Sinne von Landwirt. Im weiteren Textverlauf wird jedoch klar, dass soziale Elemente, die Verbundenheit mit der Heimat, der traditionelle Lebensstil eine wichtige Argumentationsgrundlage bilden. Auffallend ist, dass neben Bauern und ähnlichen Gruppen wie Fischern und Hirten auch Landlose, Plantagenarbeiter und andere auf dem Land Arbeitende und Lebende eingeschlossen werden. Dies ist zwar nachvollziehbar, da diese Gruppen oft am stärksten benachteiligt sind, jedoch führt diese Ausweitung zu erheblichen Unstimmigkeiten bei konkreten Forderungen.

Nach einigen allgemeinen Artikeln folgt eine lange Liste mit Forderungen von Rechten auf den verschiedensten Feldern: legale, soziale, politische, ökonomische, ökologische. Sie sind aus den unterschiedlichsten Menschenrechtsdokumenten zusammengetragen. Viele sind schon daher grundsätzlich anerkannt, insbesondere die aus den grundlegenden Menschenrechtsabkommen. Viele andere hingegen werden aus Spezialabkommen oder Gutachten übernommen und verallgemeinert. Dabei entstehen teilweise problematische Forderungen: Es wird ein Recht auf Nahrungsmittelsouveränität postuliert, und das nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf der Ebene lokaler Gemeinschaften, die daraus das Recht auf eigene Agrarsysteme ableiten, und sogar das Recht des einzelnen Landbewohners, ausreichend eigene Nahrung zu produzieren. Eine Gefahr, die sich daraus ergibt, ist die Zersplitterung nationaler Märkte. Eine andere Gefahr resultiert aus der Forderung nach dem Recht auf Land für alle Landbewohner. Dies ist im Prinzip gleichbedeutend mit dem Anspruch auf das Land anderer Landbewohner. Aus der Möglichkeit (may consider) von Landreformen wird eine Pflicht (shall carry out). Konflikte sind vorprogrammiert, die nicht immer zielführend sein dürften, zumal es in vielen Regionen dieser Welt keine Großgrundbesitzer gibt, bei denen man sich „bedienen“ kann. Aus dem international anerkannten Landwirte-Privileg für Nutzpflanzen, im Rahmen von Gesetzen und gegebenenfalls Saatgut aufzuheben, zu nutzen, zu tauschen und zu verkaufen, wird im Entwurfstext das uneingeschränkte Recht der Bauern, Saatgut und genetische Ressourcen ohne Einschränkung zu behalten, zu kontrollieren, zu schützen und zu entwickeln.

Der Verfasser dieser Kolumne ist kein Menschenrechtsspezialist und weit davon entfernt, alle vorgeschlagenen Rechte im 30 Seiten langen Entwurfstext vollständig würdigen und einordnen zu können. Es geht beispielsweise um das Recht auf Souveränität über natürliche Ressourcen; das Recht auf Information in den die Bauern betreffenden Agrarmärkten; das Recht auf Wirkungsstudien bei allen Nutzungen bäuerlicher Ressourcen; das Recht, keinen Agrarchemikalien ausgesetzt zu sein; das Recht auf Zugang zu Märkten und fairen Preisen, die ein auskömmliches Einkommen garantieren; usw. Viele dieser Rechte wären nur kollektiv nutzbar. Man kann sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass für viele Probleme ein Rechtsansatz nur sehr bedingt geeignet ist, sinnvolle, realistische und realisierbare, widerspruchsfreie Maßnahmen abzuleiten. Statt vor allem die berechtigten Interessen und Rechte der benachteiligten Gruppen gezielt zu fördern, werden viele neue Probleme geschaffen.

Die Staatengemeinschaft sollte es sich gut überlegen, ob sie sich hinter diesen allumfassenden Forderungskatalog stellt. Weniger ist manchmal mehr. Die Aufwertung bestehender informeller Rechte an Ressourcen ist richtig, aber nicht die Ausdehnung auf alle Landbewohner und die Forderung nach völlig neuen Rechtetypen. Umso wichtiger ist eine aktive Unterstützung der ländlichen Räume und ihrer Menschen, damit sie im gleichen Umfang wie Städter von Entwicklung profitieren können. 

 

Michael Brüntrup, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

Der Text wurde ursprünglich in "Die Aktuelle Kolumne" des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) veröffentlicht.

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) zählt weltweit zu den führenden Forschungsinstituten zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik. Das DIE berät auf der Grundlage unabhängiger Forschung öffentliche Institutionen in Deutschland und weltweit zu aktuellen Fragen der Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem DIE veröffentlichen wir die "Aktuellen Kolumnen" mit UN-Bezug auch auf den Portalen der DGVN.

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